Dem französischen Staat geht das Geld aus. Das macht sich auch im Kulturbetrieb bemerkbar, weshalb die Kulturministerin Rachida Dati nun einen wenig originellen Vorschlag aus dem Ärmel gezogen hat: Warum nicht zukünftig von Touristen (nicht von den Betern) Eintritt in die Kathedrale Notre-Dame verlangen, die am 8. Dezember wiedereröffnet wird?
„Mit nur fünf Euro pro Besucher würden 75 Millionen Euro pro Jahr zusammenkommen. Auf diese Weise würde Notre-Dame de Paris alle Kirchen in Paris und Frankreich retten“, so die Rechnung, die die Kulturministerin gegenüber dem „Figaro“ aufmacht und die auf den ersten Blick etwas für sich hat – auch aus Sicht vieler Katholiken.
Keine Vorzugsbehandlung von Gläubigen
Beim Eintritt in Kirchen, die zuallererst Orte des Gebets sein sollen, zwischen Touristen und Gläubigen unterscheiden? Das klingt auch für Kirchgänger verlockend. Wer würde nicht gerne auch in weltbekannten Monumenten wie dem Kölner Dom, Notre-Dame oder Sacré-Coeur einmal ungestört beten wollen, ohne dabei von Touristenhorden wie Zootiere angestarrt zu werden? Und ja, es fühlt sich ungerecht an, wenn man beim Petersdom unterschiedslos inmitten von Touristenscharen auch dann eine Stunde anstehen muss, wenn man am Grab Johannes Pauls II. beten möchte. Dass Katholiken in der Regel deutlich mehr für den Erhalt von Kirchengebäuden zahlen als der Durchschnittstourist über seine Steuern fordert ebenfalls den Gerechtigkeitssinn heraus.
Aber: Liegt nicht gerade in der selbstlosen Gabe ein ganz grundlegendes Moment des Christentums und der Botschaft Christi? Christen sollten aus mehreren Gründen sehr vorsichtig sein, wenn es darum geht, Vorschläge wie die der französischen Kulturministerin zu unterstützen. Eine Vorzugsbehandlung von Gläubigen beim Besuch bestimmter Gebäude würde aus Katholiken genau das machen, was ihnen sowieso schon von manchen vorgeworfen wird: eine exklusive Sekte. Das Zeichen, das nach außen gesendet wird, lautet: „Wir wollen unter uns bleiben.“ Vielen – vielleicht den meisten – Touristen wird das egal sein, manchen aber nicht. Und wenn auch nur einer die Botschaft empfängt: „Du bist hier unerwünscht“, ist das einer zu viel.
Evangelisierende Kraft christlicher Glaubensorte nicht unterschätzen
Auch sollten Christen die evangelisierende Kraft ihrer Glaubensorte – gerade der besonders erhabenen und darum berühmten – nicht unterschätzen. Wie viele Touristen sich von ihnen anrühren lassen, oder gar mehr oder weniger bewusst auf der Suche nach einer Verbindung zum Heiligen sind, weiß nur Gott. Wer aber schon einmal mit einer Gruppe Nicht-Gläubiger eine Kirche betreten hat, weiß zumindest, dass vielen instinktiv klar ist: Hier tritt man heraus aus der Welt des Alltags und hinein in das Sakrale – und das macht etwas mit dem Besucher, der die spirituellen Antennen auch nur ein wenig ausgefahren hat.
Gerade die Franzosen wissen ein Lied davon zu singen, wie sehr das christliche Kulturerbe die Herzen auch von Nichtgläubigen anrühren kann. Eine Umfrage der Französischen Bischofskonferenzen unter den erwachsenen Neugetauften – 12.000 waren es dieses Jahr – ergab, dass jeder Dritte seine Bekehrung einer Konfrontation mit einem religiösen Bau- oder Kunstwerk zu verdanken hat.
Zugegeben: Massentourismus ist ein echtes Problem. Aber hier gäbe es aber andere Lösungen als das Eintrittsgeld. Nichts spricht zum Beispiel dagegen, eine tägliche Obergrenze an Touristen einzuführen und über kostenlosen Ticketvertrieb feste Uhrzeiten für Besuche zu vergeben.
Die Kirche Frankreichs unterliegt den Verlockungen des Geldes nicht, auch wenn letzteres an allen Ecken und Enden fehlt. „Die grundlegende Aufgabe der Kirchen ist es, jeden Mann und jede Frau bedingungslos und damit notwendigerweise kostenlos aufzunehmen, unabhängig von ihrer Religion oder ihrem Glauben, ihren Ansichten und ihren finanziellen Mitteln“, erklärte das Erzbistum Paris auf den Vorschlag Rachida Datis.
Warum es sich lohnt, Kirchengebäude zu erhalten
Bleibt die Frage nach der Instandhaltung der Kirchengebäude und die ist brandaktuell. Von den 40 Kirchen, die seit Anfang 2023 in Frankreich gebrannt haben, sind nur einige der Brandstiftung zum Opfer gefallen. Vielfach war die überalterte Elektrik oder das Fehlen von Brand- und Alarmanlagen (geschweige denn automatischen Löschanlagen) schuld. In den meisten Fällen wäre es Aufgabe der öffentlichen Hand, hier zu investieren, denn 90 Prozent des französischen Kirchenbestands gehört den Kommunen. Das gilt auch für die Kathedrale Notre-Dame: Das Erzbistum Paris ist „nur“ Nutznießer des Gebäudes.
Kann aber die Lösung sein, Besucher durch ein Eintrittsgeld in die Pflicht zu nehmen? Noch einmal: Die uneigennützige Gabe ist ein zivilisatorisches Moment, das das Christentum zur europäischen Kultur beigetragen hat. Auch Politiker sollten lieber zweimal überlegen, bevor sie dies aufgeben. Denn aus dem Geist der Uneigennützigkeit heraus bietet die Kirche ihre Dienste kostenlos an und aus der gleichen Quelle entspringt auch die Großzügigkeit der vielen tausend Spender, die den raschen Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame überhaupt erst ermöglicht haben. Daraus nun Geld schlagen zu wollen und wenn es auch für die Erhaltung des christlichen Kulturerbes eingesetzt wird? Schwierig.
Denn was ist der eigentliche Kern des Problems? Wenn Kirchengebäude vergammeln, dann ist das nur ein Symptom für die schwindende Glaubenskraft des alten Europas. Anstatt Menschen Geld für etwas aus der Tasche zu ziehen, das ihnen offensichtlich gleichgültig geworden ist, sollten sich Kirche und Politik Gedanken darüber machen, warum es sich eigentlich lohnt, Kirchengebäude zu erhalten. Als tote Zeugen einer toten Vergangenheit? Das ist offensichtlich zu wenig.
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