Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar um "5 vor 12"

Der Eintritt in Notre-Dame muss kostenlos bleiben

Die uneigennützige Gabe ist ein zivilisatorisches Moment, das das Christentum zur europäischen Kultur beigetragen hat. Politiker sollten lieber zweimal überlegen, bevor sie dies aufgeben.
Eintritt von Notre-Dame muss kostenlos bleiben
Foto: IMAGO/Jumeau Alexis/ABACA (www.imago-images.de) | Gerade die Franzosen wissen ein Lied davon zu singen, wie sehr das christliche Kulturerbe die Herzen auch von Nichtgläubigen anrühren kann.

Dem französischen Staat geht das Geld aus. Das macht sich auch im Kulturbetrieb bemerkbar, weshalb die Kulturministerin Rachida Dati nun einen wenig originellen Vorschlag aus dem Ärmel gezogen hat: Warum nicht zukünftig von Touristen (nicht von den Betern) Eintritt in die Kathedrale Notre-Dame verlangen, die am 8. Dezember wiedereröffnet wird?

Lesen Sie auch:

„Mit nur fünf Euro pro Besucher würden 75 Millionen Euro pro Jahr zusammenkommen. Auf diese Weise würde Notre-Dame de Paris alle Kirchen in Paris und Frankreich retten“, so die Rechnung, die die Kulturministerin gegenüber dem „Figaro“ aufmacht und die auf den ersten Blick etwas für sich hat – auch aus Sicht vieler Katholiken

Keine Vorzugsbehandlung von Gläubigen

Beim Eintritt in Kirchen, die zuallererst Orte des Gebets sein sollen, zwischen Touristen und Gläubigen unterscheiden? Das klingt auch für Kirchgänger verlockend. Wer würde nicht gerne auch in weltbekannten Monumenten wie dem Kölner Dom, Notre-Dame oder Sacré-Coeur einmal ungestört beten wollen, ohne dabei von Touristenhorden wie Zootiere angestarrt zu werden? Und ja, es fühlt sich ungerecht an, wenn man beim Petersdom unterschiedslos inmitten von Touristenscharen auch dann eine Stunde anstehen muss, wenn man am Grab Johannes Pauls II. beten möchte. Dass Katholiken in der Regel deutlich mehr für den Erhalt von Kirchengebäuden zahlen als der Durchschnittstourist über seine Steuern fordert ebenfalls den Gerechtigkeitssinn heraus.

Aber: Liegt nicht gerade in der selbstlosen Gabe ein ganz grundlegendes Moment des Christentums und der Botschaft Christi? Christen sollten aus mehreren Gründen sehr vorsichtig sein, wenn es darum geht, Vorschläge wie die der französischen Kulturministerin zu unterstützen. Eine Vorzugsbehandlung von Gläubigen beim Besuch bestimmter Gebäude würde aus Katholiken genau das machen, was ihnen sowieso schon von manchen vorgeworfen wird: eine exklusive Sekte. Das Zeichen, das nach außen gesendet wird, lautet: „Wir wollen unter uns bleiben.“  Vielen – vielleicht den meisten – Touristen wird das egal sein, manchen aber nicht. Und wenn auch nur einer die Botschaft empfängt: „Du bist hier unerwünscht“, ist das einer zu viel. 

Evangelisierende Kraft christlicher Glaubensorte nicht unterschätzen

Auch sollten Christen die evangelisierende Kraft ihrer Glaubensorte – gerade der besonders erhabenen und darum berühmten – nicht unterschätzen. Wie viele Touristen sich von ihnen anrühren lassen, oder gar mehr oder weniger bewusst auf der Suche nach einer Verbindung zum Heiligen sind, weiß nur Gott. Wer aber schon einmal mit einer Gruppe Nicht-Gläubiger eine Kirche betreten hat, weiß zumindest, dass vielen instinktiv klar ist: Hier tritt man heraus aus der Welt des Alltags und hinein in das Sakrale – und das macht etwas mit dem Besucher, der die spirituellen Antennen auch nur ein wenig ausgefahren hat.

Gerade die Franzosen wissen ein Lied davon zu singen, wie sehr das christliche Kulturerbe die Herzen auch von Nichtgläubigen anrühren kann. Eine Umfrage der Französischen Bischofskonferenzen unter den erwachsenen Neugetauften – 12.000 waren es dieses Jahr – ergab, dass jeder Dritte seine Bekehrung einer Konfrontation mit einem religiösen Bau- oder Kunstwerk zu verdanken hat.

Zugegeben: Massentourismus ist ein echtes Problem. Aber hier gäbe es aber andere Lösungen als das Eintrittsgeld. Nichts spricht zum Beispiel dagegen, eine tägliche Obergrenze an Touristen einzuführen und über kostenlosen Ticketvertrieb feste Uhrzeiten für Besuche zu vergeben.

Die Kirche Frankreichs unterliegt den Verlockungen des Geldes nicht, auch wenn letzteres an allen Ecken und Enden fehlt. „Die grundlegende Aufgabe der Kirchen ist es, jeden Mann und jede Frau bedingungslos und damit notwendigerweise kostenlos aufzunehmen, unabhängig von ihrer Religion oder ihrem Glauben, ihren Ansichten und ihren finanziellen Mitteln“, erklärte das Erzbistum Paris auf den Vorschlag Rachida Datis. 

Warum es sich lohnt, Kirchengebäude zu erhalten

Bleibt die Frage nach der Instandhaltung der Kirchengebäude und die ist brandaktuell. Von den 40 Kirchen, die seit Anfang 2023 in Frankreich gebrannt haben, sind nur einige der Brandstiftung zum Opfer gefallen. Vielfach war die überalterte Elektrik oder das Fehlen von Brand- und Alarmanlagen (geschweige denn automatischen Löschanlagen) schuld. In den meisten Fällen wäre es Aufgabe der öffentlichen Hand, hier zu investieren, denn 90 Prozent des französischen Kirchenbestands gehört den Kommunen. Das gilt auch für die Kathedrale Notre-Dame: Das Erzbistum Paris ist „nur“ Nutznießer des Gebäudes.

Kann aber die Lösung sein, Besucher durch ein Eintrittsgeld in die Pflicht zu nehmen? Noch einmal: Die uneigennützige Gabe ist ein zivilisatorisches Moment, das das Christentum zur europäischen Kultur beigetragen hat. Auch Politiker sollten lieber zweimal überlegen, bevor sie dies aufgeben. Denn aus dem Geist der Uneigennützigkeit heraus bietet die Kirche ihre Dienste kostenlos an und aus der gleichen Quelle entspringt auch die Großzügigkeit der vielen tausend Spender, die den raschen Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame überhaupt erst ermöglicht haben. Daraus nun Geld schlagen zu wollen und wenn es auch für die Erhaltung des christlichen Kulturerbes eingesetzt wird? Schwierig.

Denn was ist der eigentliche Kern des Problems? Wenn Kirchengebäude vergammeln, dann ist das nur ein Symptom für die schwindende Glaubenskraft des alten Europas. Anstatt Menschen Geld für etwas aus der Tasche zu ziehen, das ihnen offensichtlich gleichgültig geworden ist, sollten sich Kirche und Politik Gedanken darüber machen, warum es sich eigentlich lohnt, Kirchengebäude zu erhalten. Als tote Zeugen einer toten Vergangenheit? Das ist offensichtlich zu wenig.

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.
Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung-  Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Franziska Harter Christen Jesus Christus Johannes Paul II. Katholikinnen und Katholiken Notre Dame: Geschichte einer Wiedergeburt Notre-Dame Wiederaufbau

Weitere Artikel

Es ist soweit: Die ersten Bilder aus dem Inneren der neu erstandenen Kathedrale gehen um die Welt.
29.11.2024, 18 Uhr
Franziska Harter
Leo XIV. erklärt, was er meint, wenn er von „einem unbewaffneten und entwaffnenden Frieden“ spricht. Die vorherrschende „Logik der Gegensätze“ treibe die globale Aufrüstung an.
18.12.2025, 18 Uhr
Guido Horst
Wie Leo XIV. den Frieden auf Erden mit der Menschwerdung Gottes verband: Die Trilogie des Papstes zum Fest der Geburt des Herrn.
29.12.2025, 12 Uhr
Guido Horst

Kirche

Am Samstag kommen 10.000 Gott suchende Menschen: Gebetshausgründer Johannes Hartl freut sich auf die MEHR-Konferenz. Der „Tagespost“ erzählt er, wieso.
31.12.2025, 14 Uhr
Elisabeth Hüffer
Leo XIV. ruft zum gegenseitigen Austausch auf, um auch bei Missverständnissen den Weg zur Versöhnung zu ebnen. Wir veröffentlichen eine Reihe seiner deutlichsten Appelle.
31.12.2025, 14 Uhr
Redaktion
Vom Heiligen Jahr bis zum Synodalen Ausschuss, von vakanten Bischofssitzen zu eucharistischen Initiativen: Eine kleine kirchliche Jahresbilanz und Vorschau auf 2026.
31.12.2025, 10 Uhr
Regina Einig
Für Leo XIV. durchlebt die Welt eine Phase starker Konflikte, in der viele Mächte das schüren, was Franziskus als „Dritten Weltkrieg in Stücken“ bezeichnet hat.
30.12.2025, 14 Uhr
Redaktion