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Robert Plum: Eine Kirche stellt weitaus mehr dar als nur ein Denkmal

Kirchliche Bauwerke abreißen oder umnutzen. Der Theologe Robert Plum forscht über die Zukunft von Gotteshäusern nach dem Ende der Volkskirche. Was aus Kirchen werden kann.
Kirche anders genutzt
Foto: Christoph Driessen (Christoph Driessen) | Wie können Kirchengebäude genutzt werden, wenn die Kirche sie nicht mehr braucht?

Herr Dr. Plum, Sie sind Koordinator des Projektes „Sakralraumtransformation in Deutschland“ und überdies als Forscher tätig. Vor welchen Fragen stehen Sie?

Worum geht es denn eigentlich bei diesen Gebäuden? Sind sie nur steinerne Behälter, oder sind sie mehr als das? Manchmal sind sie natürlich auch Denkmäler, und kunsthistorische Gebäude. Was hat das aber mit dem Glauben zu tun? Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Herangehensweisen, kunsthistorische, architektonische, ökonomische, religionswissenschaftliche, philosophische und theologische, spielen in unserem Forschungsprojekt auch eine Rolle.

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Was heißt das konkret?

Uns beschäftigt die Frage, wie wir in der alltäglichen Praxis der Kirchenumnutzung dafür sorgen können, dass diese Prozesse strukturierter verlaufen, dass wir den Interessen von möglichst vielen gerecht werden, dass dabei die verschiedenen Sichtweisen mit einbezogen werden, und dass wir auch noch irgendwie dem Anspruch des Gebäudes gerecht werden.

Sie meinen dessen emotionale Bedeutung?

Ja, obwohl nicht nur das. Manche dieser Gebäude stehen schon lange da, in dieser bestimmten Stadt, in der Mitte dieses bestimmten Dorfes, oder in diesem bestimmten Viertel. Manchmal verkörpern sie eine lange, komplexe Geschichte, oder „Narrativen“, wie man so schön sagt. Man muss sich schon mit dieser bestimmten individuellen, baulichen, kunsthistorischen und religiösen Geschichte auskennen, wenn man nicht respektlos damit umgehen möchte. Es ist deswegen für uns genauso wichtig, dass wir die direkt Betroffenen – das können Einzelpersonen sein, aber auch religiöse Gemeinschaften – miteinbeziehen. Denn sie sind es, die diese Gebäude etwas angeht, auch wenn gilt, dass immer weniger Menschen sie für die wöchentliche Liturgie aufsuchen. Diese Gebäude können einen großen emotionalen Wert für Menschen haben, sowohl für die immer kleiner werdende Gruppe von Kirchenbesuchern, als auch für andere, nichtkirchliche Menschen.

Was unterscheidet Kirchen von anderen Denkmälern?

Als Theologe bin ich natürlich geneigt zu sagen, wenn es um Kirchbauten geht, dass eine Kirche noch einen zusätzlichen, besonderen Status und Wert hat im Vergleich zu anderen Denkmälern, wie zum Beispiel einem alten Schulgebäude, einem ehemaligen Rathaus, das in einem bestimmten architektonischen Stil gebaut wurde, oder einem alten Waisenhaus. Aber was ist denn genau dieser besondere Status? Manchen fragen ja umgekehrt: Wäre es nicht viel wichtiger auf das Geschehen zu achten das in diesen Gebäuden stattfindet, oder wenigstens stattfinden sollte? In unserer Forschung suchen wir danach, was die Funktion solcher Gebäude für eine sich verändernde Gesellschaft und für eine sich stark verändernde Religiosität oder Spiritualität sein kann, ohne jetzt eine Philanthropie für misshandelte Gebäude nachzustreben.

Das heißt, Kirchen werden überflüssig?

Nein, das hängt von unserer Bereitschaft ab auch diese Gebäude auf eine neue Zukunft hin zu öffnen. Es werden übrigens auch im 21. Jahrhundert noch interessante, manchmal prestigeträchtige Kirchenneubauten von Architekten entworfen und gebaut. Diese Architekten sehen den Bau einer Kirche noch immer als etwas sehr Wichtiges an, genauso wie es auch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war, als zum Beispiel der verstorbene Gottfried Böhm neue Kirchen gebaut hat. Und interessant ist auch, dass es an Orten wie an Flughäfen, in Fußballstadien, Krankenhäusern und Einkaufszentren so genannte „Räume der Stille“ gibt. Diese Räume befinden sich also in einem anderen Gebäude und sind also weniger sichtbar, oft bescheidener, als viele traditionelle Gotteshäuser. Das gleiche gilt übrigens oft auch für die innere Gestaltung dieser Gebäude: auch die ist oft schlichter, enthält in viel geringerem Maß die bekannten religiösen Symbole, oder sie zeigt gerade eine Kombination aus allen Arten von religiösen Symbolen, die aus verschiedenen Religionen kommen.  Religion scheint also nicht verschwunden zu sein, sie zeigt sich auf neue Weisen, und sie manifestiert sich auch äußerlich, in Gebäuden, in neuen Kirchbauten, oder älteren Kirchen, die ein neues Leben bekommen.

"Daneben gibt es natürlich auch Kirchen,
die beispielsweise zu Wohnungen,
einem Konzertsaal, oder Kolumbarien umgenutzt wurden."

Wie zeigt sich diese Entwicklung im Kirchbau?

Die inzwischen entstandene Landschaft der Kirchbauten spiegelt diese neuen Entwicklungen zum Teil schon wider und es haben sich verschiedene Arten von „Mischformen“ entwickelt: Wir kennen seit langem die so genannten „ökumenischen Kirchenzentren“. Hier ist es ein Anliegen der Architektur, die zwei christlichen Konfessionen miteinander in Kontakt zu bringen, also nicht nur in Formeln, sondern in einem Gebäude, sei es in getrennten Räumen nebeneinander oder in gemeinsamen Räumen, in denen sich beide Konfessionen treffen. Ich finde es interessant zu sehen, dass es hier nicht die sich in Büchern äußernde Theologie, sondern die Kirchengebäude waren, die bei der Förderung des ökumenischen Dialogs Vorreiter, Inspiratoren gewesen sind. Außerdem gibt es Kirchengebäude, die multifunktional gestaltet sind, was heißt, dass sie sowohl für traditionelle liturgische Zwecke verwendet werden können, als auch zum Beispiel für kulturelle Zwecke, etwa Kunstausstellungen. Daneben gibt es natürlich auch Kirchen, die beispielsweise zu Wohnungen, einem Konzertsaal, oder Kolumbarien umgenutzt wurden. Diese große Vielfalt wurde inzwischen übrigens vielfach dokumentiert.

Wie kann man die Umnutzung einer Kirche gut begleiten?

Viele fragen uns, was es zu tun gibt, wenn man sich als Religionsgemeinschaft von seiner Kirche verabschieden muss. Da gibt es viele Unklarheiten zwischen kirchenrechtlichen Vorschriften und pastoralen Fragen. Wie verabschiede ich mich als Gemeinde von meiner Kirche? Gibt es hier empfohlene oder vorgeschriebene Rituale? Zunächst ist es wichtig einzusehen und anzuerkennen, dass der Abschied von einem solchen Gebäude, ob es nun kunst- oder architekturhistorisch einzigartig ist oder nicht, für Menschen tatsächlich schmerzhaft sein, dass er als Trauerprozess empfunden werden kann, vielleicht einigermaßen vergleichbar mit den Gefühlen, die der Abschied von einem geliebten Menschen auslöst: Mit diesem Gebäude sind ja oft Erinnerungen verbunden, vielleicht wurden Kinder hier getauft, oder die Eltern und Großeltern wurden hier verabschiedet. Überdies sind diese Gebäude für manche eine Art Sprache, die sie über alle Landesgrenzen hinaus intuitiv wiedererkennen. Damit tragen sie dazu bei, dass man sich überall auf der Welt zu Hause fühlen kann.

Welche Rituale gibt es für die Verabschiedung von einer Kirche?

Um sich von einem Kirchengebäude zu verabschieden, gibt es offiziell die Möglichkeit, dass der Bischof ein Kirchengebäude profaniert. Das ist aber nicht immer notwendig, ebenso wenig wie es vorgeschrieben ist, dass diese Profanierung öffentlich, in Anwesenheit der Gemeinde, und mit einem Ritual stattfinden muss. Es ist aber gut zu wissen, dass es solche Rituale gibt, die es einer Gemeinde ermöglichen den Verlust zu bewältigen. Diese Rituale können für Kirchengemeinden eine heilende Wirkung haben.

Welche Erfahrung haben Sie mit der Umnutzung von Kirchen gemacht?

Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Umnutzungen von Kirchen leider oft konfliktbehaftet sind. So sehr sich Religion und Kirche auch von offiziellen politischen Fragen distanzieren möchten, und sollten, die Umnutzung von Kirchen geht oft mit Konflikten einher, da Emotionen, der wirtschaftliche Wert eines solchen Gebäudes und alle möglichen anderen, zum Beispiel kunsthistorischen oder architekturhistorischen Interessen eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der neuen Nutzung spielen. Deswegen ist es ratsam, von Anfang an darauf zu achten, möglichst alle Beteiligten und Interessierten so gut wie möglich in den Umnutzungsprozess mit einzubeziehen. Hier ist zunächst Geduld und politisches Feingefühl erfordert. In einem nächsten Schritt ist das Einbeziehen verschiedener Arten von Wissensressourcen erforderlich, um zu verhindern, dass eine einzige Perspektive die anderen dominiert.

Das heißt konkret?

Wer sich zum Beispiel konkret mit der großen Pluralität der Formen auskennt, die umgenutzte Kirchengebäude annehmen können, kann auch vermeiden, dass die Diskussion sich zu schnell auf eindeutige, unbefriedigende Lösungen konzentriert. Darüber hinaus ist es wichtig, die Kommunikation mit dem Denkmalschutz, sofern dies für das betreffende Objekt zutrifft, schon früh zu suchen und offen zu halten, damit dieser nicht nur nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wird, sondern auch in der Hoffnung, dass der Verwertungsprozess zu einem Synergieprozess werden kann. Nur so kann verhindert werden, dass der Umnutzungsprozess eine gesellschaftliche Spaltung zur Folge hat. Und nur so besteht die Hoffnung, dass die gemeinsame Suche nach einer neuen Nutzung für das betreffende Gebäude auch ein neues Miteinander schafft.

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Was ist Ihre Perspektive in dem Projekt?

In meinem Forschungsprojekt beschäftigt mich vor allem die Frage wie wir in unserem Nachdenken über neue Nutzungen von Kirchgebäuden wenigstens auch den neuen, im philosophischen Sinne „politischen“ Fragen unserer Gesellschaft gerecht werden können. Eines der heikelsten Themen unserer Gesellschaft hat für mich immer wieder mit dem  Vermeiden von Exklusion zu tun. Die Identität einer christlichen Gemeinde kann, meine ich, nicht bedeuten, dass man sich behaglich in seinem eigenen Kreis verschließt. Andererseits ist es natürlich auch so, dass eine christliche Gemeinde genau das sein möchte, eine „christliche“ Gemeinde, und dass diese christliche Identität für sie nicht gleichgültig ist.

Ist es nicht so, dass unsere Gesellschaft dringend Räume braucht, die diese schwierigen Aushandlungsprozesse mit anderen ermöglicht, Räume überdies, die die von vielen Menschen gesuchten, flüssigeren Gemeinschaftsformen ermöglicht, und könnten nicht Kirchgebäude ausgezeichnete Kandidaten für solche Prozesse sein? Überdies, und zum Schluss, wäre es gut, dass wir den Plausibilitätsverlust vieler dieser Gebäude als eine Einladung verstehen können, um die mittlerweile als selbstverständlich hingenommenen Schranken zwischen dem Heiligen und dem Profanen, die in diesen Räumlichkeiten oft verkörpert werden, in Frage zu stellen und zu dekonstruieren. Das ermöglicht es, Ehrfurcht nicht als etwas an sich Positives zu betrachten, und damit nicht jede Dichotomie als ein Naturgesetz. Vielleicht, wenn es mir erlaubt ist, das noch hinzuzufügen, ist das auch im Geiste des Evangeliums.


Robert Plum studierte Theologie und Philosophie an der Radboud Universität Niejmegen. Seit 2020 koordiniert er das DFG-Forschungsprojekt „Sakralraumtransformation. Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland.“

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