In der ARD Mediathek findet sich aktuell eine Doku über den jungen Maler Leon Löwentraut (27). In geradezu schockierender Naivität stellt sich hier ein wirtschaftlich erfolgreicher Maler mit seinem Umfeld zur Schau, ein Künstler, dem die Kunst wesensfremd ist. Die Autoren des Beitrags verzichten in Gänze auf Einordnungen und Kommentare. Stattdessen geben sie dem Künstler, seinen Eltern, einem Galeristen und zwei Kritikern reichlich Raum für persönliche Einschätzungen. Auch Vernissagen-Publikum kommt mit kurzen Statements zu Wort. Während sich der ZEIT-Feuilletonist Hanno Rauterberg wenigstens um fachliche Betrachtung bemüht und der Kunstkritiker Hajo Schiff den fragwürdigen Verlauf der Karriere beleuchtet, ist das Publikum durchweg geblendet vom zur Schau gestellten wirtschaftlichen Erfolg und äußert sich zur Kunst, wenn überhaupt, sachfremd. Champagner-Empfänge, Charter-Hubschrauber und Poolvilla färben auf die bunt-dekorativen Bilder ab, die offensichtlich auf schnellen Effekt produziert sind. Mama und Papa preisen ihren Mustersohn vor der Kamera in hagiografischer Opulenz.
Man könnte den Kunstfall des Leon Löwentraut als ulkige Anekdote aus einem flirrenden Kunstbetrieb der Gegenwart abtun, wo es selten um tatsächliche Qualität und ihre Maßstäbe, aber immer um Geld und Glamour geht. Doch die aktuelle Debatte um sechs neue Fenster für Notre-Dame de Paris zeigt die tiefe Verunsicherung und das Ausgeliefertsein von Politik und Öffentlichkeit gegenüber dem dominierenden Kunstmarktgeschehen.
Konkret sollen in der Pariser Kathedrale sechs denkmalgeschützte Fenster ohne Not durch moderne ersetzt werden. Die neuen Glasfenster werden in Zusammenarbeit mit der traditionsreichen Glaswerkstatt „Atelier Simon-Marq“ aus Reims gefertigt. Die Künstlerin hinter den Bildentwürfen: Claire Tabouret (44), eine erfolgsverwöhnte, südfranzösische Gegenwartsmalerin, die in Los Angeles lebt und arbeitet. Sie stellt prominent aus und ist inzwischen in mehreren angesehenen Sammlungen bekannter Milliardäre vertreten. Nun sind ihre Entwürfe im Grand Palais zu besichtigen, die aufflammende Debatte erfasst die internationale Kunst- und Kulturszene.
Laut und ich-bezogen
Skepsis überwiegt: Wie ist es zu rechtfertigen, dass wunderbar erhaltene, denkmalgeschützte Fenster entfernt werden, um sie durch moderne Glasmalerei zu ersetzen? Eugène Viollet-le-Duc, der berühmte französische Architekt, der Notre-Dame im 19. Jahrhundert umfassend restaurierte, ließ damals die Kapellenfenster im neogotischen Stil der Zeit anfertigen. Bei dieser Arbeit setzte er auf zeitgenössische Glasmaler und Handwerker seiner Zeit, etwa Alfred Gérente und andere, die nach mittelalterlichem Vorbild neugestaltete, farbige Scheiben einsetzten. Eine dienende, handwerklich durchwirkte Kunst ordnete sich damals der Sakralität des Raumes unter und schenkte der Kapelle ein magisches Licht, das die Andacht des Raumes wahrte.
Heute stehen die Kreativität und der individuelle Ausdruck der Künstlerin im Vordergrund, ihren Freiheitsanspruch formuliert sie laut und ich-bezogen, eigene Botschaften treten an die Stelle kanonisierter Ikonologie. Claire Tabouret macht von den gewährten Freiheiten reichlich Gebrauch. Bei ihrer Darstellung des Pfingstgeschehens tritt Maria im sexy Outfit einer Malibu-Schönheit im Strandgewand auf, ihr offenes Haar betont den ekstatischen Ausdruck, unter dem Gewand drücken sich ihre nackten Schenkel ab. Die Apostel um sie herum haben noch nicht „gecheckt“, was eigentlich „abgeht“, sie schauen ohne Ausdruck verschlafen ins Leere. Im Prinzip ist nichts dagegen zu sagen, dass Maria in ihrer Pariser Kirche eine besondere Ausnahmestellung zuteilwird. Aber ist die „Magd des Herrn“ wirklich theologisch angemessen dargestellt?
Zudem verwirren handwerkliche Unzulänglichkeiten. Die Streben des Maßwerks in den Fenstern durchtrennen die Bildentwürfe, die offensichtlich nicht an den architektonischen Vorgaben entlang gearbeitet wurden. Vielmehr wurden die Fenster, wie es scheint, im Nachhinein auf die Entwurfskartons projiziert. Es kommt zu absurden Schnitten, Verkürzungen und Verlängerungen, die jede figürliche Plausibilität vermissen lassen. Keine Frage, der „Boh“-Effekt angesichts der strahlenden Farbigkeit ist vorprogrammiert, aber trifft das die dem Raum eigentlich angemessene, sakrale Intention?
Präsident Macron selbst hat sich für diese Maßnahme und die Künstlerin Claire Tabouret starkgemacht. Wohl unwissentlich demonstriert er damit ein trauriges Vakuum in der französischen Gegenwartskunst. Tatsächlich fällt einem niemand ein, der als Franzose oder Französin die aktuelle Malerei auch international prägen würde und sich für diese Aufgabe aufgedrängt hätte. Kein Wunder, dass Frankreich immer wieder deutsche Größen wie Richter oder Kiefer in den großen Schauen der Gegenwartskunst feiert. Wirklich mutig wäre es gewesen, statt einer vom Kunstmarkt abgesegneten Erfolgsmalerin einigen eher unbekannten Vertretern der lebendig-vibrierenden Street-Art-Szene aus den Banlieues eine Chance zu geben. Hier ist auch der Glaube vielfach lebendig mit den bunten Einträgen migrantischer Milieus. Die immer wieder notwendige Reflexion des uns alle verbindenden Pfingstwunders – es wäre hier für ein innovatives Kunstprojekt, das die Nation und die Welt versöhnt, bestens aufgehoben gewesen.
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