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Kommentar um "5 vor 12": Drei katholische Nächte

Man kann in diesen Monaten den Eindruck haben, dass sich die Kirche an allen Ecken und Enden in einem Auflösungsprozess befindet. Wie soll das weitergehen?
Die Zukunft der Kirche
Foto: Imago Images | Wie kann die Kirche ihren Auflösungsprozess stoppen? Ohne Schmerzen und Ernüchterung dürfte ein solcher Prozess wohl nicht ablaufen.

Es sind starke Worte, die Tomasz Terlikowski, einer der bekanntesten konservativen Kirchen-Journalisten Polens zur aktuellen Lage der Kirche findet: Von einer „finsteren Nacht“ schreibt der 46-Jährige, und seine Äußerungen zielen nicht nur auf die durch Missbrauchsskandale durchgeschüttelte Kirche seines Landes, sondern auf die Kirche weltweit. Weitere Kirchen-Skandale sieht er am globalen Horizont aufziehen, „auch an Orten, die bisher als ruhig galten wie Afrika oder Asien“, so zitiert ihn die FAZ.

Düstere, aber realistische Perspektive

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Eine düstere Perspektive, aber wohl eine realistische. Tatsächlich kann man in diesen Monaten den Eindruck haben, dass sich die Kirche an allen Ecken und Enden in einem Auflösungsprozess befindet. Wankende Hirten,  widersprechende Lehrverkündigungen und streitende Gläubige treten einher mit schrumpfenden Mitglieder- und Sympathiezahlen. Bei Jung und Alt, auch in Regionen, die man lange Zeit für „Bollwerke“ des Glaubens hielt. Hat man zu lange Hoffnung mit Wunschdenken, Glaube mit Illusionen verwechselt? Die Realität schlägt nun ähnlich brutal zu wie vor 30 Jahren in der DDR und der Sowjetunion. Diesmal allerdings auf katholisch. 

Wie soll das weiter- und ausgehen? Die Reihen zusammenhalten und durch? Vielleicht hat der belgische Historiker Professor David Engels Recht, der in seinem aktuellen Buch „Was tun?“ schonungslos feststellt: „Ja, das Christentum, das in den letzten Jahrzehnten mit solchem Erfolg zertrümmert wurde, wird mehr oder weniger völlig aus der politischen Sphäre verschwinden und sich teils in eine politisch korrekte Mitläuferorganisation, teils in ein fundamentalistisches Widerstandsnetz verwandeln.“ 

Dann würde aber nicht nur eine reinigende Nacht vor den Katholiken liegen, sondern auch eine Nacht, in welcher die Geister geschieden werden - ohne dass beide Seiten in einem vollkommen hellen Licht erscheinen. Ohne Schmerzen und Ernüchterung dürfte ein solcher Prozess deshalb wohl nicht ablaufen. Zumal durch den Verlust des Zentrums auf Seiten des sich radikalisierenden „Widerstandnetzes“ vielleicht auch noch eine dritte Nacht zu erleben sein wird: die Nacht, in welcher alle religiösen Gewissheiten zu verschwinden scheinen, weil die kirchlichen Selbstheilungskräfte, auf die man vertraute, nicht mehr wirken und der heilende Kern nicht mehr zu erkennen ist.

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