Die von den katholischen Ordensgemeinschaften in Deutschland vorgelegte Missbrauchs-Untersuchung stößt auf ein gemischtes Echo. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig signalisierte der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) Unterstützung für einen „strukturierten Aufarbeitungsprozess“. Er hoffe zugleich, „dass die DOK dabei zusätzlich starke Unterstützung aus dem Kreis der Orden und Diözesen erhält“, sagte Rörig der "Katholischen Nachrichten-Agentur" (KNA).
Vorwürfe gegen mindestens 654 Ordensleute
Zuvor hatte der Dachverband die Ergebnisse eine Befragung von 392 Ordensgemeinschaften vorgestellt. Daran hatten sich mit 291 Gemeinschaften etwa drei Viertel beteiligt, in denen 88 Prozent der heutigen Ordensmitglieder leben. In den zurückliegenden Jahrzehnten gab es demnach Missbrauchsvorwürfe gegen mindestens 654 Ordensleute sowie 58 Angestellte. Wenigstens 1.412 Kinder, Jugendliche oder Schutzbefohlene waren von sexuellen Übergriffen betroffen. In der Befragung wurde nicht zwischen Vorkommnissen sexualisierter Gewalt mit oder ohne strafrechtliche Relevanz unterschieden. Dem Bericht zufolge beziehen sich die Vorwürfe auf „Grenzverletzungen, Übergriffe, sexuellen Missbrauch“. Ferner wurde der Zeitraum der Vorkommnisse nicht erhoben. In 88 Fällen wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, in 907 nicht, in 417 Fällen liegt dazu keine nähere Angabe vor. Der Befragung zufolge lehnten 150 Betroffene ausdrücklich die Einschaltung der Staatsanwaltschaft ab.
Rörig verwies auf die im Juni mit der Deutsche Bischofskonferenz verabschiedete „Gemeinsame Erklärung“, die das Zusammenwirken von Kirchenvertretern, Experten und staatlichen Stellen bei der Aufarbeitung von Missbrauch verbessern soll. Die Orden blieben bei dieser Vereinbarung bisher außen vor. Nun aber sollten die Verhandlungen zu verbindlichen Strukturen, Standards und Kriterien einer umfassenden Aufklärung und unabhängigen Aufarbeitung auch unter Miteinbeziehung der Orden „zügig beginnen“, forderte Rörig.
Kritik von Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch"
Kritik kam von der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“. Viel zu lange hätten sich die meisten Ordensgemeinschaften der Verantwortung verweigert. „Und auch jetzt meinen sie, dass sie alle Zeit der Welt haben, um erst einmal in Gespräche einzutreten, ob und wie sie ihre Geschichte von Gewalt und sexuellem Missbrauch aufklären wollen“, erklärte Sprecher Matthias Katsch.
Er forderte, alle Aktenbestände der Ordensgemeinschaften zu sichern und sie den Staatsanwaltschaften zur Verfügung zu stellen, sofern es einen Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch gebe. „Sofern dann eine Verjährung festgestellt ist, was in vielen Fällen zu erwarten ist, müssen die so gesicherten Unterlagen einer baldigst einzurichtenden zentralen Aufarbeitungskommission zugeleitet werden.“
Einheitliches System mit DBK angestrebt
Laut DOK-Generalsekretärin Agnesita Dobler streben die Orden ein einheitliches System zusammen mit der Bischofskonferenz an. Allerdings benötigten die Gemeinschaften Unterstützung bei der Finanzierung. Das Konzept der Bischöfe sieht Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall vor. Die Bischöfe dringen ihrerseits auf ein einheitliches und transparentes Vorgehen in Deutschland. Betroffene erwarteten „einen einheitlichen Umgang mit diesen Fragen“, erklärte der Missbrauchsbeauftragte der Deutsche Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, am Mittwoch in Bonn. DT/reg/KNA
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.