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David Rosen: „Ein goldenes Zeitalter“

Der israelische Rabbiner David Rosen lobt die Beziehungen zwischen Judentum und katholischer Kirche.
Papst Franziskus in Auschwitz
Foto: KNA | Ein schwerer Gang: Papst Franziskus besucht 2016 das Vernichtungslager Auschwitz.

Rabbi Rosen, vor 75 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit, das Papst Johannes Paul II. als „Golgotha der modernen Welt“ bezeichnete. Papst Franziskus mahnt eindrücklich, dass das Grauen der Shoah nicht vergessen werden darf: „wir dürfen nicht vergessen“. Wie blicken Sie auf das Gedenken der Shoah in der katholischen Kirche?

Das entscheidende, 1998 von der vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum veröffentlichte Dokument „Wir erinnern: Eine Reflexion über die Shoah“ war ein bedeutender Schritt, doch es zeigt bis heute, wie eine umfassende Selbstkonfrontation vermieden wird – besonders hinsichtlich der Rolle der Kirchenführung in der Zeit der Shoah. Und es ist besonders problematisch, dass selbst dieses Dokument innerhalb der katholischen Kirche oft nicht bekannt ist. Das Mindeste, was der Vatikan tun könnte, wäre, sich jedes Jahr an Shoah-Gedenktagen darauf zu beziehen.

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Ende letzten Jahres erklärte Papst Franziskus angesichts des weltweit wieder zunehmenden Judenhasses: „Das ist weder menschlich noch christlich. Die Juden sind unsere Geschwister.“ Wie beurteilen Sie die Rolle der katholischen Kirche im Kampf gegen Antijudaismus und Antisemitismus?

Sicherlich gibt es viele katholische Verantwortliche, Theologen und Institutionen, die tapfer daran arbeiten, allen Antisemitismus in der Kirche zu eliminieren und in der breiteren Gesellschaft zu bekämpfen.

Ich glaube jedoch, dass viel mehr getan werden könnte. So ist zum Beispiel die „neue Theologie“ der Kirche in Bezug auf Juden und Judentum selbst in der Kirche als Ganzes nicht ausreichend bekannt, und daher bestehen immer noch antisemitische Stereotypen und falsche Darstellungen des Judentums – besonders im Gebrauch der Schrift.

Welche konkreten Maßnahmen erhoffen Sie sich von der katholischen Kirche?

Es gibt keine Weisungen des Vatikans, die grundlegenden Texte wie das Konzilsdokument „Nostra aetate“, die Dokumente der vatikanischen Kommission für die Beziehungen zum Judentum sowie die zu diesem Thema wichtigen von den letzten drei Päpsten gehaltenen Reden und Predigten zu verpflichtenden Texten in der Priesterausbildung zu machen. Das Ergebnis ist eine weit verbreitete Unwissenheit, die noch immer in größeren Teilen – vielleicht der Mehrheit – der Kirche besteht. Zwar werden vielerorts die Shoah-Gedenkfeiern von den Ortskirchen geleitet. Dies sind jedoch die Ausnahmen, und es gibt keine diesbezüglichen Anweisungen des Vatikans. Dennoch anerkennen wir mit Dankbarkeit den Beitrag der letzten drei Päpste zur Bekämpfung des Antisemitismus, dieser Geißel der Menschheit. Sie haben bekräftigt, dass der Antisemitismus eine „Sünde gegen Gott und gegen den Menschen“ und unvereinbar mit dem Christentum ist.

Wie hat die Shoah das heutige Judentum verändert?

Sehr sogar. Das Trauma der Shoah zeigt sich in vielen Aspekten des israelischen Lebens; und in der Diaspora ist es oft der Hauptfaktor für die jüdische Identität der Menschen.

Was sind Ihrer Meinung nach grundlegende Fragen, um die es im gegenwärtigen jüdisch-katholischen Dialog gehen sollte?

Wir befinden uns in der Tat in einem „goldenen Zeitalter“, was das jüdisch-katholische und das jüdisch-christliche Verhältnis betrifft. Noch nie zuvor gab es so viel positive Interaktion und Zusammenarbeit zwischen den beiden Gemeinschaften, besonders in den Vereinigten Staaten, wo es etwa dreißig Institutionen oder Universitätsabteilungen und Lehrstühle gibt, die jüdisch-christliche Studien und Beziehungen – vor allem von und mit der katholischen Kirche – fördern.

Dennoch stellt sich die Frage, wie man sicherstellen kann, dass diese Beziehung nicht einfach nur das Gebiet von Spezialisten und interreligiösen Aktivisten ist, sondern das Erbe der Kirche als Ganzes wird und sich auf die jüdische Gemeinschaft als Ganzes auswirkt.

Die letzten drei Päpste haben alle eine bedeutende Rolle in dieser Hinsicht gespielt, und heute haben wir nicht nur eine formelle bilaterale Beziehung zwischen dem Weltjudentum und dem Heiligen Stuhl, sondern auch – dank des Heiligen Johannes Paul II. – eine spezielle bilaterale Kommission zwischen dem Vatikan und dem Oberrabbinat von Israel.

 

Hintergrund

Rabbiner David Rosen ist der internationale Direktor für interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee. Zudem ist er Mitglied der Kommission des israelischen Oberrabbinats für den interreligiösen Dialog und gehört dem Rat der religiösen Institutionen des Heiligen Landes an.

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