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Günter de Bruyn ist gestorben

Verstand sich als „christlich-pazifistischen Individualisten“: Der Schriftsteller Günter de Bruyn ist im Alter von 93 Jahren gestorben.
Schriftsteller Günter de Bruyn
Foto: dpa | Sein Glaube half ihm im Kampf ums Überleben im Krieg und in den schwierigen Zeiten der DDR-Diktatur.

Auf die Frage, welche Bedeutung der Tod für ihn habe, antwortete Günter de Bruyn vor einigen Jahren, dass er immer vertrauter mit ihm werde, je älter er werde. Nun ist der in Berlin geborene, katholische Schriftsteller am 4. Oktober im Alter von 93 Jahren in seinerHeimat Brandenburg verstorben. Die Nachricht von seinem Tode wurde selbst in den Hauptnachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender vermerkt, was seine Bedeutung für den Kulturbetrieb dieses Landes noch einmal ausdrücklich hervorhebt. In diesem Kontext sind nicht nur die Ergebnisse seines umfangreichen literarischen Schaffens, sondern auch weite Teile seiner Vita, die sich einerseits als quasi exemplarisch für eine ganze Generation erweist, andererseits aber auch etliche außergewöhnliche Züge offeriert, interessant.

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Untersuchte Krisenzeiten deutscher Geschichte

1926 geboren, wurde er nach einer Kindheit in der Endphase der Weimarer Republik in den Strudel der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs gerissen, war Flakhelfer, im Arbeitsdienst sowie Soldat und gehörte zu jenem Teil der Deutschen, der unter sowjetisch-stalinistischer Vorherrschaft die Gründung der DDR erleben musste. In diesem deutschen Teilstaat entwickelte sich de Bruyn mit Hörspielen, Erzählungen und Romanen zu einem bekannten und erfolgreichen Schriftsteller. Bekannte Titel aus dieser Schaffensphase sind der Roman „Buridans Esel“ und die Biografie „Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter“. Er war Mitglied im Zentralvorstand des Schriftstellerverbandes und im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR. In einem Brief gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann gehörte er zu den Mitunterzeichnern, den Nationalpreis der DDR lehnte er im Jahre 1989 ab.

Nach der sogenannten Wende konnte er im wiedervereinigten Deutschlandseinen erfolgreichen Weg als anerkannter Schriftsteller bis ins hohe Alter fortsetzen, ja sogar ausbauen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden, zu seinem achtzigsten Geburtstag gratulierte Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich. Zu seinen Veröffentlichungen in der nun gesamtdeutschen Bundesrepublik zählen Essays zu historischen und literaturwissenschaftlichen Themen sowie Romane und Erzählungen mit partiell autobiografischen Zügen.

„ Sein katholischer Glaube trägt ihn“

1992 publizierte er das erste von zwei autobiografischen Werken mit dem Titel „Zwischenbilanz“. Er wolle nicht mehr um sein Leben herum schreiben, sondern es direkt und ehrlich darstellen; alles mitzuteilen, verspreche er nicht. Der Autor kündigt bereits in diesem Buch an, mit achtzig eine Lebensbilanz vorzulegen, was 1996 unter dem Titel „Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht“ auch geschieht. Der Gedanke liegt nahe, dass, wer sich zu dieser Art der „Mitteilungsprosa“ entschließt und Anspruch darauf erhebt, breite Rezeption zu erfahren, auch etwas Substanzielles mitzuteilen haben muss. Bei Günter de Bruyn steht dies außer Zweifel.

Mit stilistischer Brillanz, einer nie langweiligen inhaltlichen Breite und der ihm eigenen Reflexionsdichte entfaltet er Kindheit und Jugend in der Zeit der heraufziehenden Katastrophe, seinen Kampf ums Überleben im Krieg und sein Leben in der DDR-Zeit. Er gibt Einblick in seine Ängste und inneren Widerstände in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Totalitären, das er in zwei Ausprägungen erlebt hat. Sein katholischer Glaube trägt ihn und hat wahrscheinlich maßgeblichen Anteil daran, dass er seine innere Distanz zu den ideologisch geprägten Ausformungen und Perversionen nicht verliert.

Interessante Einblicke in die Kindheit, immer sensibel, immer kritisch 

Man darf behaupten, dass es sich bei de Bruyn sicher nicht um einen Widerstandskämpfer zelotischer Ausprägung gehandelt hat. Er entwickelt aber in diesen von Untiefen geprägten Krisenzeiten deutscher Geschichte eine ganz spezifische Persönlichkeit, die er selbst als die eines „christlich-pazifistischen Individualisten“ definiert hat. Nicht zuletzt offenbaren seine autobiografischen Schilderungen auch interessante Einblicke in sein christlich geprägtes Familienleben der Kindheit, in das katholische Leben in der Berliner Diaspora und in sein Erleben von Markensteinen der Zeitgeschichte, wie den 17. Juni 1953 oder die Sprengung des Berliner Stadtschlosses, immer aus der Perspektive des die Dinge aufmerksam, sensibel und kritisch beobachtenden und reflektierenden Verfassers.

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Neben diesen autobiografischen Schriften widmet er sich der schriftstellerischen Auseinandersetzung mit seiner märkischen Heimat, der preußischen Kultur- und Geistesgeschichte, aber auch dem Prozess des deutsch-deutschen Zusammenwachsens. Gerade auch seine essayistische, detaillierte Beschäftigung mit dem Kulturleben Berlins in der Zeit der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert dürfte dabei Ergebnis quasi unendlicher Recherche und akribischer Fleißarbeit sein. Seine Erzählung der Lebensgeschichte des romantischen Dichters Zacharias Werner ist gerade auch aus katholischer Perspektive lesenswert, da sie den Leser mit einer Künstlervita konfrontiert, die in Konversion zum katholischen Glauben und Priesterweihe des Protagonisten gipfelt.

Geistige Wachheit bis ins hohe Alter

Im Jahre 2018 erscheint der letzte Roman Günter de Bruyns, der bezeichnenderweise den Titel „Der neunzigste Geburtstag“ trägt. Hinter der hier enthaltenen Thematisierung der bundesdeutschen Zeitgeschichte und Gesellschaft, entfaltet vor allem am Beispiel der Flüchtlingspolitik, steht ein über 90jähriger Autor, der sich bis ins hohe Alter geistiger Wachheit erfreut. Interessant ist, dass dieses Alterswerk des katholischen Autors auch Betrachtungen über den aktuellen Zustand der Kirche einschließlich eines durchaus kritischen Blicks auf eine sich dem Zeitgeist ergebende Institution enthält.

In der Gesamtschau zeigt sich, dass die Beschäftigung mit dem Kirchlichen oder Katholischen zu keiner Zeit Schwerpunkt seines literarischen Schaffens gewesen ist, dass dieselbe aber durchaus an zahlreichen Stellen aufblinkt. Nur nach erstem, oberflächlichem Urteil über den Schriftsteller, sein Leben und Werk scheinen das Brandenburgisch-Märkische und das Katholische somit eine Koexistenz des Heterogenen darzustellen. Günter de Bruyn betonte auch im hohen Alter, dass er an den Gott der Christen glaube. Das in der christlichen Erziehung in ihm grundgelegte Katholische hat er im märkischen Sand zwar nie wie eine Monstranz vor sich hergetragen, er hat es aber auch nie geleugnet. Ja, man könnte sagen, es war stets innerer Kompass eines Mannes, der insgesamt eher als Vertreter einer „milden Observanz“ bezeichnet werden kann und dessen Protagonisten – fast folgerichtig – durchgehend keine „Schurken“ darstellen.

Zufriedenheit und Ruhe in der Abgeschiedenheit der Natur

Der abschließende Blick auf Leben und Werk Günter de Bruyns wäre dabei unvollständig, enthielte er nicht auch eine Erwähnung seines selbst gewählten örtlichen Lebensumfeldes. Die Lage seines Hauses, durch den Titel eines seiner Bücher, „Abseits“, treffend beschrieben, als „einsam“ zu bezeichnen, stellt dabei fast eine euphemistische Charakterisierung dar. Bereits in DDR-Zeiten hatte er sich entschieden, eine alleinstehende, verfallene Mühle mitten im märkischen Wald wieder herzurichten und zu beziehen. Dort fand der feinsinnige Beobachter von Natur und Kultur, der die „unzeitgemäße Stille“ der ihn umgebenden Landschaft liebte, Zufriedenheit und Ruhe für sein schriftstellerisches Schaffen.

Günter de Bruyn, ein intellektueller Eremit unserer Gegenwart, der eine breite Leserschaft durch seine Bücher in einer mehr als hektischen Zeit zum Innehalten und Nachdenken gebracht hat, ist für immer gegangen, hinein in eine nun immerwährende Stille.

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