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Kardinal Koch wirbt für eine franziskanische Kirchenreform

Der Heilige aus Assisi zeigt auf, wie eine wirksame Reform geht. Das kann auf den Synodalen Weg übertragen werden.
Kardinal Kurt Koch ist ein Mann der vorsichtigen Formulierungen.
Foto: Francesco Pistilli | Kardinal Koch ist ein Mann der vorsichtigen Formulierungen.

In der Kirche heute wird das Wort „Reform“ sehr oft verwendet. Es wird ein „Reformstau“ diagnostiziert, man spricht von notwendiger „Kirchenreform“ und man bezeichnet bestimmte Gruppierungen innerhalb der Kirche als „Reformkatholiken“ oder als „Reformtheologen“. Es wird prognostiziert, dass nach den angesagten Reformprozessen in der Katholische Kirche in Deutschland nichts mehr so sein wird, wie es vorher gewesen ist. Es wird postuliert, dass man auch die DNA der Kirche reformieren und die Kirche gleichsam neu erfinden müsse. Das Wort „Reform“ wird heute inflationär gebraucht, und es scheint, dass Sinn und Gehalt dieses Wortes eindeutig festgelegt sind. 

Von daher ist es angezeigt, genauer danach zu fragen, was unter „Reform“ zu verstehen ist. Um ein prominentes Beispiel zu nennen: Der „Synodale Weg“ in der Kirche in Deutschland versteht sich als Antwort auf die MHG-Studie. Eine dezidierte Antwort auf die schrecklichen Taten sexualisierter Gewalt in der Kirche ist in der Tat dringend nötig. Sieht man freilich genauer hin, kann der „Synodale Weg“ für sich nicht in Anspruch nehmen, die Reformantwort schlechthin auf die grossen Herausforderungen zu sein, vor denen der christliche Glaube und die Kirche heute in unseren Breitengraden stehen.

Reform in der Kirche, nicht der Kirche

Was unter „Reform“ verstanden wird, hängt von der Diagnose ab, die man über die Situation der Kirche heute stellt. Sieht man die Ursache für die heute viel besprochene Kirchenkrise vor allem in bestimmten Entwicklungen in der heutigen Sozialgestalt der Kirche, wird man die notwendige Reform vor allem in der Änderung von Kirchenstrukturen erblicken und von ihr eine Erneuerung der Kirche erhoffen. Diagnostiziert man hingegen die Ursache für die heute schwierig gewordene Situation der Kirche in erster Linie als Glaubenskrise, die sich auch in einem rapide voranschreitenden Schwund an Glaubenswissen selbst innerhalb der Kirche anzeigt, wird man unter Reform das Bemühen um eine neue Evangelisierung erblicken, wie es alle Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil uns stets ans Herz gelegt haben, wie es Papst Franziskus in seinem„Schreiben an das pilgernde Volk in Deutschland“ im vergangenen Jahr in Erinnerung gerufen und wie es bereits Papst Benedikt XVI. während seines Deutschlandbesuchs im Jahre 2011 mit dem Stichwort der „Entweltlichung“ angemahnt hat.

Hinter diesen Ermahnungen steht die Überzeugung, dass eine Reform der Kirche theologisch gar nicht möglich ist, wohl aber eine Reform in der Kirche stets notwendig ist. Denn die Kirche ist nicht von uns Menschen gemacht und kann deshalb auch nicht von uns reformiert werden. Die Kirche ist vielmehr das Geschöpf und Werk Gottes, und ihre DNA ist im apostolischen Glauben und in ihrer sakramentalen Verfassung vorgegeben. Die Kirche kann sich deshalb die Sakramente nicht selber geben; sie kann sie nur von Christus empfangen und an die Gläubigen weitergeben. Die Kirche entsteht immer wieder neu um den Altar herum, nämlich von der Eucharistie her.

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Eine Reform in der Kirche kann folglich nie zum Ergebnis haben, dass das Reformierte nicht mehr mit dem vor der Reform Gegebenen identisch wäre. Eine wahre Reform betrifft konkrete Erscheinungsformen und Verwirklichungen, nicht hingegen das Wesen der Kirche. Sonst würde es sich nicht um eine Erneuerung, sondern um eine Wesensverwandlung handeln, die das zu Reformierende zu etwas anderem machen würde, als was es vorher gewesen ist. Eine wahre Reform hat die Erneuerung des Glaubens und der Kirche zum Ziel, nicht hingegen einen neuen Glauben und eine neue Kirche. 

Erneuerung ist Vertiefung

Wahre Erneuerung der Kirche lässt sich am besten verdeutlichen mit einem Blick in die Geschichte, in der es vielfältige Reformen gegeben hat. Denken wir zum Beispiel an den heiligen Franziskus von Assisi. In der bedrängenden Zeit damals ist es nicht der mächtige Papst Innozenz III. gewesen, der die Kirche vor dem Einsturz bewahrt und erneuert hat, sondern der unbedeutende Ordensmann Franz, der die Kirche aber nicht durch Spaltung und auch nicht ohne den Papst, sondern nur in Gemeinschaft mit ihm erneuert hat. Sein Lebenszeugnis zeigt, dass auch im katholischen Glauben Reform ein positives Wort ist, dass aber der katholische Grundsatz der steten Reformbedürftigkeit der Kirche jeden Bruch mit der kirchlichen Gemeinschaft und auch mit dem Papst als dem Hüter des apostolischen Glaubens zu vermeiden trachtet. In Franz von Assisi darf man den wohl radikalsten Reformer in der Kirche wahrnehmen. Er hält uns zugleich vor Augen, dass die eigentlichen und authentischen Reformer in der Kirche stets die Heiligen sind. Sie haben vorgelebt, dass wahre Erneuerung nicht ein Weniger an Christsein bedeutet und nicht eine „church light“ zum Ziel hat, sondern ein Mehr und eine Vertiefung.

Diese Überzeugung hat das Zweite Vatikanische Konzil mit den Worten zum Ausdruck gebracht: Die Kirche ist „zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Busse und der Erneuerung“ (Lumen gentium 8). Die Kirche ist heilig, weil sie von Gott geschaffen und weil ihr Innerstes Jesus Christus ist. Sie ist aber stets der Reinigung bedürftig, weil sie Kirche der Sünder ist, die vom christlichen Weg abkommen und mit ihrem sündigen Verhalten der Kirche Schaden zufügen und deshalb wieder auf den rechten Weg zurückfinden müssen. Reform in der Kirche bedeutet in erster Linie Umkehr, und zwar zu jener Heiligkeit, die uns in der Taufe geschenkt ist. Solche Umkehr ist vor allem auch jenen zugemutet, die zu einem besonderen Dienst in der Kirche berufen sind; sie bekennen in jeder Heiligen Messe im eucharistischen Hochgebet ihre Sünden: „Auch uns, deinen sündigen Dienern, die auf deine reiche Barmherzigkeit hoffen,… schenke gnädig Verzeihung.“ 

Erneuerte, nicht neue Kirche

Reform in der Kirche kann freilich nicht nur Erneuerung der einzelnen Christen bedeuten, sondern muss auch die Erneuerung der kirchlichen Form dort einschließen, wo geschichtliche Entwicklungen dazu beitragen, dass die Kirche in ihrem ursprünglichen und von Jesus Christus gegründeten Sinn aus der Form geraten ist, sich in einer verweltlichten Deformation zeigt und deshalb ihre ursprüngliche und authentische Form wiederfinden muss. Wahre Erneuerung besteht in der Rückbesinnung auf das Ursprüngliche, das zugleich als normativ zu betrachten ist. Erneuerung der Kirche muss stets ursprungsgetreu verwirklicht werden, wie es dem Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils entspricht. Die Konzilsväter sind von der Notwendigkeit einer Erneuerung der Kirche von innen her überzeugt gewesen und haben die Kirche von den Quellen des Glaubens in der Heiligen Schrift und bei den Kirchenvätern her erneuert, damit sie ihre Sendung in den Herausforderungen der damaligen Zeit und damit zeitgemäß wahrnehmen kann.

Für das Konzil sind Ursprungstreue und Zeitgemäßheit keine Gegensätze gewesen, wie sie es nach dem Konzil weithin geworden sind und wie sie bis in die heutigen innerkirchlichen Polarisierungen nachwirken. Denn das Konzil hat keine neue Kirche im Bruch mit der Tradition intendiert, sondern eine erneuerte Kirche aus dem Geist der christlichen Botschaft, die ein für allemal offenbart und in der lebendigen Tradition überliefert ist. Ohne den christlichen Glauben in einer vergangenen Zeit festzuhalten und ohne ihn den geistigen Strömungen der damaligen Zeit zu opfern, wollte das Konzil den christlichen Glauben ursprungstreu und zeitgemäß zugleich verkünden, um den Menschen die Wahrheit und Schönheit des christlichen Glaubens so zu verkünden, dass sie ihn als Geschenk für ihr Leben annehmen können. In diesem Sinn ist es ein „Reformkonzil“ gewesen.

Vor derselben Aufgabe einer authentischen Erneuerung steht die Kirche auch heute. Sie wird ihr dann in glaubwürdiger Weise gelingen, wenn sie die Überzeugung des christlichen Glaubens verlebendigt, dass Christus die wahre Neuheit ist, die von keiner anderen Neuheit eingeholt werden kann und die im Mittelpunkt allen kirchlichen Lebens stehen muss. Wahre Erneuerung in der Kirche bedeutet, uns nach jener Neuheit auszurichten und uns von ihr her formen zu lassen, die von Gott her kommt. Als Christen und als Kirche werden wir dadurch erneuert, dass wir in der Neuheit Gottes leben, wozu Paulus die Christen in Rom aufgerufen hat: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12, 2). 

In dieser Zumutung des Apostels Paulus kann man geradezu die Magna Charta wahrhaftiger Erneuerung in der Kirche erblicken. Wenn alle Reformbemühungen heute der Erneuerung des christlichen Denkens dienen, werden sie die Ehrenbezeichnung „Reform“ verdienen.

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