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Synodale Selbstermächtigungen

Wer ist der wahre Souverän? Die Beschlüsse des Synodalforums I zu Macht und Gewaltenteilung in der Kirche.
Die Beschlüsse des Synodalforums I zu Macht und Gewaltenteilung in der Kirche.
Foto: Dean Lewins (AAP)

Zu den Grundannahmen des Synodalen Weges rechnet die Überzeugung, eine der wesentlichen Ursachen der tiefen Krise der Kirche in Deutschland sei ein (nie näher definierter) „klerikaler Machtmissbrauch“. Abhilfe schaffen soll das aus Staatslehre und Staatsrecht geläufige Modell der „Gewaltenteilung“, das indes nicht im dort verwandten (und auch im Kirchenrecht rezipierten) Sinne der Unterscheidung von gesetzgebender, ausführender und rechtsprechender Gewalt verwendet wird (vgl. c. 135 § 1 CIC). Vielmehr soll es, wie es in der erläuternden Bezeichnung des „Synodalforums 1“ („Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“) heißt, um etwas Anderes – vor allem Weitergehendes – gehen: die „gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“. Jenes Forum wollte klären, wie zwei Ziele erreicht werden könnten, „Machtabbau“ und „Verteilung von Macht“. Offenbar scheint niemandem aufgefallen zu sein, dass diese beiden Ziele zueinander in einem nicht einfach aufzulösenden Spannungsverhältnis stehen: Wird Macht abgebaut, braucht sie nicht mehr verteilt zu werden. Worum es dem Synodalen Weg letztlich geht, macht ein näheres Studium seiner Texte deutlich, nämlich um eine andere Verteilung von „Macht“.

„Gemeinsam beraten und entscheiden“

Gut illustriert dies der Handlungstext „Gemeinsam beraten und entscheiden“. Auf der 5. Synodalversammlung vom März 2023 wurde er aus Zeitgründen nicht verabschiedet. Stattdessen wurde er an den von der 4. Synodalversammlung im September 2022 „eingesetzten“, freilich weder in Satzung noch Geschäftsordnung des Synodalen Weges auch nur erwähnten „synodalen Ausschuss“ überwiesen (für den wiederum es bislang weder Satzung noch Geschäftsordnung gibt). Auf diese und weitere prozedurale Merkwürdigkeiten (Wertung von Enthaltungen als nicht abgegebene Stimmen, angeblicher „Vorrang“ der namentlichen vor der geheimen Abstimmung) ist hier nicht weiter einzugehen. Konzentrieren wir uns auf den Inhalt des Handlungstextes: Aus einleitend in loser Folge zitierten Textbausteinen aus der Konzils-Konstitution „Lumen gentium“ und Normen des Kirchenrechts, speziell der Aufgabe des Diözesanbischofs zur Förderung der verschiedenen Ausprägungen des Apostolats, gelangt der Handlungstext zur überraschenden Schlussfolgerung, „deshalb“ gehöre es zur Aufgabe des Bischofs, in seiner Diözese „verbindliche Strukturen der Mitwirkung und Mitbestimmung der Gläubigen“ zu schaffen sowie (nicht ohne Redundanz) „gemeinsame Entscheidungen gemeinsam im verbindlichen Gremien der Diözese zu treffen“. Ein auf der Vollversammlung der Bischofskonferenzen beschlossener und von einem der Diözesanbischöfe eingebrachter Änderungsantrag unternahm es, die Passage durch die Klausel zu entschärfen, „synodale Gremien“ könnten „die im Kirchenrecht festgelegte Autorität der sakramentalen Amtsträger nicht außer Kraft setzen“.

Was meint nun „gemeinsames Beraten und Entscheiden“? Der Diözesanbischof soll – mit Zustimmung der „bestehenden synodalen Gremien der Diözese“ (wer immer das auch sein mag) – Ordnungen für „synodale Räte“ auf diözesaner und pfarrlicher Ebene erlassen. Diese Räte sollen von den „wahlberechtigten Gläubigen“ in Diözese beziehungsweise Pfarrei „in freien, gleichen und geheimen Wahlen“ gewählt werden.
Dem diözesanen Rat wird die Möglichkeit eröffnet, durch einfachen Mehrheitsbeschluss (zahlenmäßig nicht begrenzt) „weitere Mitglieder“ zu kooptieren, also sich selbst zu ergänzen. Vergegenwärtigt man sich die anhaltend niedrige Wahlbeteiligung bei Pfarrgemeinderatswahlen (sie betrug etwa voriges Jahr in Bayern im Durchschnitt 12, 75 Prozent), liegt hier ein gravierendes Legitimationsproblem: Ein solcher Rat hätte noch nicht einmal ein Viertel der Gläubigen hinter sich; und dieses Viertel würde von den zusätzlich berufenen Mitgliedern nicht einmal wissen.

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Verlagerte Entscheidungskompetenzen

Gegenstand des „gemeinsamen Beratens und Entscheidens“ sollen „Themen von bistumsweiter Bedeutung“ beziehungsweise „alle wichtigen Entscheidungen“ der Pfarrei sein. Offenkundig geht der Handlungstext davon aus, dass das eigentlich beschlussfassende Organe jener „synodale Rat“ ist. Und ein rechtswirksamer (!) Beschluss soll dann zustande kommen, wenn der Bischof oder der Pfarrer ihm zustimmt. Halten wir also als Zwischenergebnis fest: Die Entscheidungskompetenz wird verlagert, vom Bischof beziehungsweise Pfarrer auf den „synodalen Rat“. Die „Macht“ ist, gemäß dem gesteckten Ziel, anders verteilt.

Was aber geschieht, wenn der Bischof oder der zuständige Pfarrer einem „Beschluss“ nicht zustimmen? Für diesen Fall haben die Autoren des Handlungstextes ein komplexes Mediationsverfahren ersonnen: Es hat eine neuerliche Beratung stattzufinden. Bleibt auch sie ohne Einigung, soll der „synodale Rat“ dem „Votum“ von Bischof oder Pfarrer mit Zwei-Drittel-Mehrheit widersprechen können. Ändert der Bischof oder der Pfarrer seine Meinung auch weiterhin nicht, soll ein Schlichtungsverfahren einsetzen, an das sich alle Beteiligten vorab zu halten verpflichten. Betrifft das Verfahren die diözesane Ebene, sollten auch „Bischöfe und Synodale aus anderen Diözesen“ (!) beteiligt werden können. Der von der Bischofskonferenzen eingebrachte Änderungsantrag beabsichtigt wohl, für die nunmehr „Konsensverfahren“ genannte Mediation etwas höhere Hürden zu errichten: Sie soll nur dann stattfinden, wenn sich „herausstellt“ (Wie?), dass „das Vertrauensverhältnis erschüttert“ ist (Was heißt das? Wer befindet darüber?)

Die Rolle des Pfarrers

Für die pfarrliche Ebene bringt dieses Procedere nichts grundstürzend Neues. Schon bisher reduzieren zahlreiche diözesane Pfarrgemeinderatssatzungen – in deutlichem Spannungsverhältnis zum universalen Kirchenrecht – die Rolle des Pfarrers gegenüber Beschlüssen des Pfarrgemeinderats auf ein „Vetorecht“. Erweist sich eine Einigung als nicht möglich, findet entweder ein Schlichtungsverfahren statt, oder es entscheidet der Ordinarius als nächsthöhere Instanz. Was schon in der Vergangenheit nicht wenige Bischöfe ihren Pfarrern auferlegten, soll künftig auch sie selbst treffen.

Den Autoren der bereits geltenden Satzungen wie erst recht des Handlungstextes dürfte kaum bewusst gewesen sein, dass ein solches Grundmodell der Zuordnung von Bischof beziehungsweise Pfarrer und „synodalem Rat“ beziehungsweise Pfarrgemeinderat seit geraumer Zeit in einem praktisch relevanten Regelungsbereich der deutschen Rechtsordnung anzutreffen ist: im staatlichen Kommunalrecht. Hier muss der Bürgermeister einem Gemeinderatsbeschluss widersprechen, den er für rechtswidrig hält. Gelingt keine Einigung, muss er die Angelegenheit der Rechtsaufsichtsbehörde vorlegen, die dann entscheidet. Im Kommunalrecht ist diese Regelung angemessen, da die Gemeindeordnungen Bürgermeister und Gemeinderat als gleichberechtigte Hauptorgane der Gemeinde konstituieren.

Bischöfe und Pfarrer können auf Macht nicht „verzichten“

Im Kirchenrecht in dies grundlegend anders: Dem Bischof kommt in seiner Diözese „alle“ ordentliche, eigenberechtigte und unmittelbare Gewalt zu (c. 381 § 1 CIC). Den Pfarrern obliegt es, in der ihnen anvertrauten Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des – in unserem Kontext: vor allem – des Leitens „auszuüben“, während die Laien dabei „mithelfen“, und zwar „nach Maßgabe des Rechts“ (c. 519 CIC). Im tiefsten Grunde ihres Herzens (und – kanonistischen wie ekklesiologischen – Verstandes) ist den Autoren des Handlungstextes das beträchtliche Spannungsverhältnis ihres Modells mit der hierarchischen Verfassung der Kirche nicht verborgen geblieben.

Freiwilliges Teilen von Macht

Sie versuchen es durch einen Kunstgriff aufzulösen, den eine isolierte Stimme aus der Kanonistik in die Frankfurter Debatten eingespeist hat, nämlich die Vorstellung, Bischof und Pfarrer könnten in „Selbstbindung“, natürlich „freiwillig“, ihre „Macht“ mit „synodalen Räten“ teilen. Eine solche Vorstellung legt ein grundsätzlich unzutreffendes Verständnis von „Kompetenz“ (der juristischen Kategorie für „Macht“) offen: Wie im staatlichen Recht auch, sind Kompetenzen von den zuständigen Amtsträgern wahrzunehmen und auszuüben.
Diese können schlichtweg nicht auf sie „verzichten“ oder sie auf andere, von der Rechtsordnung gerade nicht für zuständig erklärte oder ihr gar gänzlich unbekannte Akteure (wie „synodale Räte“) verlagern. Eine Kompetenz ist – anders als ein (Grund-)Recht – ihrem Träger zur Wahrung des (kirchlichen) Gemeinwohls übertragen, nicht zur eigenen Entfaltung. Kurzum: Auf Grundrechte kann der Berechtigte verzichten, der Amtsträger auf seine Kompetenzen nicht.

Der Souverän der Kirche

Hinter all diesen ekklesiologischen und kirchenrechtlichen Eigenmächtigkeiten steht eine Grundannahme, die eine führende Stimme des Synodalen Weges in unverhüllter Rede artikuliert hat: die „Synodalversammlung“ sei „der Souverän“. Das stellt die Dinge auf den Kopf: Kirchliches Handeln ist nur dann legitim, wenn es sich an der Stiftung und am Willen Jesu Christi ausrichtet. Volkstümlich drückt dies die (derzeit bezeichnenderweise umgedichtete) Zeile des Kirchenliedes aus: „Die Kirche ist erbauet auf Jesus Christ allein“. Er – und nur Er – ist der Souverän der Kirche.

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