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Sexualität als „Sprache des Leiblichen“

Nur Sexualität, die als Selbsthingabe an das andere Geschlecht gelebt wird, entspricht dem Plan Gottes.
Sprache des Leiblichen
Foto: Christin Klose (dpa-mag)

Wir sehen heute, dass die kirchliche Sexualethik (…) die Verbrechen des sexuellen Miss-brauchs in der Kirche begünstigt hat“, so steht es in der Präambel des Grundtexts des Synodalforum IV. „Durch die Lehre zur Sexualität (…) haben sich Mitglieder der Kirche, aber auch die Kirche als Institution (…) schuldig gemacht.“ Gläubige sind „durch rigide Moralvorschriften diszipliniert und bevormundet“ worden.

Veränderung der Lehre gefordert

Darum sieht sich die Synodalversammlung verpflichtet, „für eine Veränderung der Lehre und der Praxis der Kirche im Umgang mit menschlicher Sexualität Sorge zu tragen“. Konkret fordert man ein Ende der grundsätzlich negativen Bewertung von künstlicher Verhütung, Selbstbefriedigung, Homosexualität, vorehelichem Verkehr et cetera. Wie wird die Änderung begründet?

Der Schlüssel für die Neukonzeption der kirchlichen Sexualmoral ist das Verständnis von Sexualität „als Sprache des Leiblichen“ (B.7.1). Sexuelle Handlungen lassen sich als Sprache zur Kommunikation zwischen den Partnern interpretieren, die intentionale Haltungen wie Wohlwollen, Rücksichtnahme, Treue füreinander sinnlich erfahrbar macht.

Sexualität ist mehr als nur Kommunikation

Dies ist nicht auf Akte genitaler Sexualität beschränkt, denn „Sexualität kennt viele Sprachen leiblicher Kommunikation“ (B.3.1): Blicke, Gesten, Berührungen – alle Formen körperlicher Beziehungsbekundung bilden die Grammatik der Leibsprache, die – wie jede Sprache – vom Menschen gestaltet und ausgeformt werden muss. „Die verantwortliche Gestaltung (…) seiner Sexualität ist Aufgabe jedes Menschen.“ (B.1.5) Soweit so gut.

Doch dieser Gestaltungsauftrag der Sexualität erhält in den Synodaltexten eine brisante Sinnrichtung; aus ihm wird gefolgert, dass eine allgemeingültige moralische Bewertung einzelner sexueller Akte nicht möglich sei. Vielmehr seien grundsätzlich alle sexuellen Handlungen geeignet, authentischer Ausdruck der gegenseitigen Liebe zwischen den Partnern zu werden, sofern „Achtung der Selbstbestimmung und verantwortlich gelebte Sexualität sowie Treue, Dauerhaftigkeit, Ausschließlichkeit und Verantwortung füreinander in Beziehungen“ (Votum 5) berücksichtigt werden. Ein sexueller Akt erhält seine Bedeutung erst durch die jeweilige Handlungsintention und den partnerschaftlichen Kontext. „Sexualität kann in zwischenmenschlichen Beziehungen in der Sprache des Leiblichen behutsame Achtsamkeit und Sympathie vermitteln; sie kann aber auch als Mittel für eigensüchtige Besitzergreifung und gewaltförmige Unterwerfung missbraucht werden.“ (B.3.2)

Primat der Liebe

Folglich können sexuelle Akte nicht allgemein moralisch bewertet werden. „Der Primat der Liebe ist das zentrale normative Beurteilungskriterium für die Gestaltung (…) menschlicher Sexualität.“ (B.3.5.) Daraus folgt dann logisch konsistent: „Die konkrete Ausgestaltung der sexuellen Dimension (…) ist keine Aufgabe der Kirche“ (Handlungstext „Lehramtliche Aussagen zu ehelicher Liebe“).

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Auf diesem Weg versucht der Synodale Weg zu begründen, warum die generell negative Bewertung von Verhütung, Selbstbefriedigung, Homosexualität, vorehelicher Verkehr et cetera abzulehnen sei. Auch die traditionelle Lehre der Kirche, besonders die „Theologie des Leibes“ deutet Sexualität als „Sprache des Leibes“, kommt allerdings zu ganz anderen Schlussfolgerungen.

Der Mensch ist Leib

Ausgangspunkt ist das christliche Menschenbild, das den Menschen als Leibseele-Einheit versteht. Gegen alle platonischen Versuchungen hat die Kirche stets festgehalten, dass der Mensch seinen Leib nicht nur äußerlich „hat“, sondern sein Leib „ist“. Bewusste leibliche Akte sind damit Ausdruck der handelnden Person; ihre Bedeutung sind nicht willkürlich gestaltbar, sondern durch die Eigenart der menschlichen Leiblichkeit grundgelegt. Dass zum Beispiel Unterordnung und Dienstbereitschaft durch leibliche Gesten wie Verneigen oder Kniebeugen sichtbar wird (und nicht durch ein Sich-Aufrichten), ist keine zufällige Konvention, sondern in der Leib-Seele-Einheit des Menschen begründet. Umgekehrt lässt sich Autorität nicht durch leibliche Prostration ausdrücken. Diese natürliche Bedeutsamkeit körperlicher Akten kann in Details kulturell verschieden ausgestaltet sein, doch ihre Grundbedeutung lässt sich nicht einfach auflösen, ohne die Bedeutung des Leibes zu entwerten.

Leibhaftige Selbstabgabe

Auch die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau trägt eine natürliche Bedeutsamkeit. Der eheliche Akt ist die leibhaftige Selbstgabe an den Partner beziehungsweise Annahme des anderen als Geschenk. In der sexuellen Begegnung sprechen die Partner mit ihrem Leib: „Ich schenke mich dir, ich nehme dich ganz an.“ Diese Bedeutung trägt der sexuelle Akt als intrinsische Signatur; sie ist von der Leiblichkeit vorgegeben; hier spricht die Person „als Leib“. Natürlich lässt sich diese Sprache des Leibes auch pervertieren; der sexuelle Akt kann erzwungen werden, ohne dass er innerlich mitvollzogen wird. Doch damit wird die Bedeutung des Aktes offensichtlich missbraucht. Eine Verkehrung liegt auch dann vor, wenn die körperliche Vereinigung zwar freiwillig vollzogen wird, doch ohne die Absicht, sich dem anderen wirklich als ganze Person zu schenken – so im Fall von vorehelichem Verkehr.

Der Leib spricht dann zwar das „Ich schenke mich dir ganz“, doch in der Intention bleibt die Hingabe eingeschränkt und zeitlich bedingt; die natürliche Sprache des Leibes wird verfälscht. Genauso im Fall der Pille. Die Kirche lehnt Verhütung nicht wegen der Künstlichkeit der verwendeten Präparate ab, noch wegen der Absicht, die Zeugung von Kindern zu vermeiden (was gegebenenfalls moralisch geboten sein kann). Vielmehr bedeutet Verhütung eine Verneinung dessen, was der Leib im Akt der sexuellen Vereinigung spricht. Im Fall von Verhütung spricht der Leib kein „Ich schenke mich dir“ – sofern das Kondom die leibliche Ganzhingabe verhindert beziehungsweise die Pille den Empfang des anderen als Geschenk.
Auch Selbstbefriedigung und praktizierte Homosexualität unterlaufen die Sprache des Leibes; bei Selbstbefriedigung fehlt ein Gegenüber, das das Geschenk empfangen könnte, bei homosexuellen Akten kann der Partner die leibliche Gabe nicht in seiner eigentlichen Bedeutsamkeit empfangen. Die natürliche Bedeutung der leiblichen Hingabe im sexuellen Akt lässt sich einzig zwischen Mann und Frau realisieren, und zwar nach dem Versprechen dauerhafter Treue; nur hier wird das leibliche Wort der Selbstgabe in seiner wirklichen Bedeutung gesprochen.

Sprache des Leiblichen

Lehnt man die natürliche Bedeutsamkeit der Sexualität ab, ist es nur folgerichtig, alle sexuellen Praktiken als gleichwertige „Worte“ einer Sprache des Leiblichen zu verstehen, selbst wenn der Leib kein „Ich schenke mich dir“ spricht (Selbstbefriedigung) oder wenn ein leibliches Sich-schenken aufgrund der fehlenden geschlechtlichen Komplementarität nicht möglich ist (Homosexualität) oder wenn es bewusst verweigert wird (Verhütung). Folgerichtig stellt der Synodaltext fest, dass „sich die Methode der ,Natürlichen Familienplanung‘ in ihrem normativen Kern nicht von sogenannten künstlichen Methoden“ unterscheidet, denn „die Auswahl sogenannter unfruchtbarer Zeiten der Frau geschähe in derselben Absicht, die Zeugung von Kindern zu vermeiden“ (B.4.4). Ja, die leitende Absicht mag die gleiche sein; aber im Fall von Verhütung spricht die Person mit ihrem Leib kein „Ich schenke mich dir“, während bei der Wahl der unfruchtbaren Zeiten die Sprache des Leibes respektiert wird. Vor dem Hintergrund der natürlichen Bedeutsamkeit des geschlechtlichen Aktes ist der Unterschied zwischen künstlicher Verhütung und „Natürlicher Familienplanung“ unmittelbar verständlich.

Eine irrige Theorie

Die geforderte Neukonzeption der Sexualmoral ist nicht neu. Bereits 1993 wurde sie von Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Veritatis Splendor“ als irrige Theorie prägnant zusammengefasst. Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen könne nicht nur, sondern müsse geradezu frei den Sinn seines Verhaltens selbst bestimmen. Dieses „den Sinn bestimmen“ werde natürlich (…) das grundlegende Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe respektieren (VS 47). Johannes Paul II. hat damit prophetisch das Argument des Synodalen Weges vor-weggenommen – und abgelehnt. Ein solches Verständnis, so der Papst weiter, „behandelt schließlich den menschlichen Leib wie Rohmaterial, bar jeglichen Sinnes und moralischen Wertes, solange die Freiheit es nicht in ihr Projekt eingebracht hat. Die menschliche Natur und der Leib erscheinen folglich als für die Wahlakte der Freiheit materiell notwendige, aber der Person, dem menschlichen Subjekt und der menschlichen Handlung äußerliche Voraussetzungen oder Bedingtheiten“ (VS 48). Dieser Banalisierung der leiblichen Komponente der Sexualität stellt „Veritatis Splendor“ die kirchliche Sichtweise entgegen: „Durch das Licht der Vernunft (…) entdeckt die menschliche Person in ihrem Leib die vorwegnehmenden Zeichen, den Ausdruck und das Versprechen der Selbsthingabe in Übereinstimmung mit dem weisen Plan des Schöpfers“ (VS 48). Die bisherige Sexuallehre der Kirche habe Missbrauch begünstigt, so der Text der Synodalversammlung. Unklar bleibt, warum eine weitere Banalisierung der Sexualität zukünftig zu einem verantwortlicheren Umgang mit diesem Geschenk Gottes führen soll. Wäre es nicht an der Zeit, sich mit der Theologie des Leibes näher auseinanderzusetzen? Auch in der Kirche in Deutschland?

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