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Wer den kleinen Finger gibt…

Mit Taschenspielertricks lässt sich kein Lebensschutz machen.
Philippe Bas
Foto: Vincent Isore via www.imago-images.de | Er hat es möglich gemacht: dank des "Taschenspielertricks" von Philippe Bas haben sich genug republikanische Senatoren gefunden, um nun die "Freiheit" zur Abtreibung in der französischen Verfassung zu verankern.

Ausgerechnet ein bürgerlicher Senator wird dafür gesorgt haben, dass sich in Frankreich Frauen, die abtreiben wollen, zukünftig auf die Verfassung berufen können. Mit einem kleinen Taschenspielertrick hat ein Senator der „Républicains“, Philippe Bas, genau die 14 Senatoren seiner Fraktion geködert, die nötig waren, um dem Text nun den Weg in die Verfassung zu ebnen.

„Freiheit der Frau, ihre Schwangerschaft zu beenden“ heißt es in dem Gesetzesvorschlag nun anstatt „Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch“. Besser eine „Freiheit“, die von einer konkreten Gesetzgebung eingerahmt wird, als ein „Recht“, auf das sich jede(r) zukünftig uneingeschränkt berufen kann, mag sich manch einer sagen. Aber noch besser wäre es gewesen, den erneuten Vorstoß der Befürworter eines uneingeschränkten „Rechts“ auf Abtreibung rundweg zurückzuweisen. Das hatte doch im vergangenen Herbst schon einmal geklappt. Die Wahrheit ist: Offensichtlich knickt ein Teil der „Républicains“ vor einer aggressiven Abtreibungslobby ein, deren Aktivisten gestern nicht nur auf dem Weg zum Senat Spalier standen, sondern sich auch kurzzeitig Zutritt zum Sitzungsraum verschafft hatten. Als Frauenhasser und Mörder an Frauen, die bei einer illegalen Abtreibung ums Leben kommen, will sich niemand bezeichnen lassen. Dabei ist Frankreich meilenweit von einer möglichen Einschränkung der Abtreibung entfernt.

Simone Veil rotiert im Grab

Der Druck wirkt trotzdem: Ein Teil der „Républicains“ sitzt nun der naiven Ansicht auf, man könne gleichzeitig das Leben der Ungeborenen und ein Recht der Frau auf einen Schwangerschaftsabbruch schützen. Das ist Augenwischerei. Gerade Philippe Bas müsste es als früherer Mitarbeiter von Simone Veil eigentlich besser wissen: Als Gesundheitsministerin unter Präsident Valéry Giscard d’Estaing hat Simone Veil 1974/1975 die aktuelle Abtreibungsgesetzgebung ausgearbeitet und gilt als Ikone der Frauenbewegung. Dabei war sie sich bereits des schwerwiegenden und fragilen Kompromisses schmerzlich bewusst, den sie mit der Fristenlösung einging. Angesichts der kontinuierlichen Ausweitung des Gesetzes – zuletzt wurde die Abtreibungsfrist von 12 auf 14 Wochen hochgesetzt – rotiert sie wahrscheinlich in ihrem Grab. 
Konkrete Auswirkungen wird eine Verankerung der „Freiheit“ zur Abtreibung erst einmal nicht haben. Klar ist aber: Unabhängig davon, ob es im Text letztendlich „Freiheit“ oder „Recht“ heißt, werden einschlägig bekannte Vereine und Politiker die Verfassungsänderung nutzen, um die Fristenregelung und die Gewissensklausel für Ärzte unter Beschuss zu nehmen.

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Maßlose Enttäuschung bei einem guten Teil der „Républicains“-Wähler, die sich bewusst gegen Macrons „Sowohl – als auch“-Politik entschieden haben und in gesellschaftlichen Fragen ihre Hoffnung auf eine bisher konservative Partei setzen, dürfte die Folge sein. Der Vorgang straft die pompöse Neuaufstellung der „Républicains“ mit klaren Ansagen und Prinzipien erst einmal Lügen. Jetzt wird es darauf ankommen, wie weit es mit der Standfestigkeit der Republikaner in Bezug auf assistieren Suizid und Euthanasie her ist. Nach Abschluss des Bürgerkonvents im März werden sich Parlament und Senat mit einer möglichen Neuregelung des Gesetzes zum Lebensende befassen. Die Abstimmung gestern lässt aber befürchten: Von den Bürgerlichen ist in puncto Lebensschutz im Moment nicht viel zu erwarten. Denn wer den kleinen Finger gibt, ist eben am Ende womöglich doch den ganzen Arm los.

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Franziska Harter Lebensschutz Simone Veil

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