Seit dem 17. Januar 1975 können Frauen in Frankreich straflos abtreiben. Das Gesetz „Veil“, benannt nach der damaligen Gesundheitsministerin Simone Veil, legte eine Fristenregelung fest, aufgrund derer Abtreibungen in den ersten zehn - mittlerweile sind es 14 - Schwangerschaftswochen durch einen Arzt straffrei durchgeführt werden dürfen. Seitdem wird Simone Veil von Feministen als Vorkämpferin für Frauenrechte gefeiert, obwohl sie Abtreibungen als „Drama“ bezeichnete, die „die Ausnahme bleiben muss, der letzte Ausweg aus einer ausweglosen Situation“.
Abtreibung als neue Verhütung
In den folgenden Jahrzehnten wurde die Abtreibungsgesetzgebung jedoch Schritt für Schritt ausgeweitet: vom Wegfall der Beratungspflicht und der elterlichen Erlaubnis für minderjährige Mütter, über die Legalisierung der medikamentösen und mittlerweile auch chirurgischen Abtreibung durch Hebammen, bis hin zur vollständigen Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse. Zeugnisse aus medizinischen Kreisen besagen, dass in bestimmten Alters- und Bevölkerungsgruppen Abtreibung mittlerweile zum Verhütungsmittel geworden ist und manche Frau nicht selten zwei- oder dreimal im gleichen Jahr für eine Abtreibung im Wartezimmer sitzt.
Am 4. März 2024 stimmten Nationalversammlung und Senat außerdem für eine Verfassungsänderung, die die „garantierte Freiheit, einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen“ verfassungsmäßig festschrieb. Die letzte Bastion, die Ärzte, konservative Politiker und Lebensschützer noch halten: die Gewissensklausel, auf die sich Ärzte und medizinisches Personal berufen können, um nicht abtreiben zu müssen.
Jedes vierte Kind wird abgetrieben
Heute mündet im Nachbarland mehr als jede vierte Schwangerschaft in einer Abtreibung. 2023 wurden in Frankreich 243.623 legale Schwangerschaftsabbrüche (Interruptions Volontaires de Grossesse, IVG) durchgeführt, während 678.000 Kinder geboren wurden. 2024 sank die Zahl der Lebendgeburten gar auf 663.000 Kinder, womit die Geburtenrate auf einen historischen Tiefstand von 1,62 Kinder pro Frau sank. Damit steht Frankreich im europäischen Kontext nicht allzu schlecht da; trotzdem liegt auch hier die Fertilitätsrate weit unter dem für den Bevölkerungserhalt notwendigen Wert von 2,1.
Eine sinkende Geburtenrate kann selbstverständlich nicht monokausal auf Abtreibungen zurückgeführt werden. Einen Zusammenhang zwischen beidem völlig auszublenden läuft jedoch an der Realität vorbei, die dem Betrachter aus den Zahlen entgegenspringt. Kinder, die abgetrieben wurden, können eben weder zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, noch ihre alternden Eltern versorgen, noch in den zahlreichen Berufsfeldern arbeiten, die heute aufgrund von Arbeitskräftemangel unter Druck stehen.
Gesamtgesellschaftliche Folgen sind nicht zu leugnen
Vor diesem Hintergrund erscheint es absurd, wie Emmanuel Macron von einer „demografischen Aufrüstung“ zu sprechen, dabei auf klägliche Maßnahmen wie die Verkürzung der Elternzeit zu setzen und gleichzeitig das Recht auf Abtreibung als historische Errungenschaft zu bezeichnen. Wer schon für das moralische Argument des vorgeburtlichen Lebensrechts nicht offen ist, sollte zumindest die besorgniserregenden gesamtgesellschaftlichen Folgen einer ausufernden Abtreibungspraxis anerkennen.
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