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Unendlicher Kreuzweg des Libanon

Der Stellvertreterkrieg, den Israel und der Iran auf libanesischem Boden austragen, zerstört das „Land der Zedern“ – einstmals das einzige arabische Land mit christlicher Mehrheit.
Zerstörung in Beirut
Foto: IMAGO/Bilal Jawich (www.imago-images.de) | Zerstörte Gebäude nach israelischen Luftangriffen in der libanesischen Hauptstadt Beirut.

Israel und der Iran führen einen mörderischen Stellvertreterkrieg – nicht nur, aber vor allem – auf libanesischem Boden. Dabei enthauptet oder verfolgt das israelische Militär nicht etwa nur die Terrorstruktur der Hisbollah, sondern legt ganze Landstriche und Wohnviertel in Schutt und Asche. Leidtragend ist die libanesische Zivilbevölkerung, die in einem gescheiterten Staat seit Jahren unter unwürdigen Bedingungen zu überleben versucht und nun nicht weiß, wohin.

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Großbritannien, die USA und viele EU-Staaten evakuieren mit großem Aufwand ihre eigenen Staatsbürger, doch Millionen von Hunger und Krieg bedrohte Libanesen will und wird niemand im Westen aufnehmen. Mindestens 1,5 Millionen Syrer fanden seit 2011 auf der Flucht vor einem von außen angeheizten Krieg Zuflucht im kleinen Libanon. Sie gehören dort zu den Ärmsten der Armen – abgesehen von den rund 260.000 palästinensischen Flüchtlingen, die hier teilweise seit Jahrzehnten in Lagern leben. Nun aber fliehen hunderttausende Libanesen nach Syrien, in ein völlig zerstörtes und verarmtes Land, um dem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah zu entrinnen. Eine menschliche Tragödie von historischem Ausmaß.

Drohender Untergang der Levante

Das urbiblische „Land der Zedern“ war im 20. Jahrhundert das einzige arabische Land mit christlicher Mehrheit. Es galt als „Schweiz des Orients“, seine Hauptstadt Beirut wurde als „Paris des Ostens“ gerühmt. Der Libanon war auch die einzige echte Demokratie der arabischen Welt, in der ein austariertes Proporzsystem für eine Zusammenarbeit und friedliche Koexistenz von Christen, Sunniten und Schiiten sorgte. Eineinhalb Jahrzehnte Bürgerkrieg (mit eskalierender internationaler Beteiligung), weitere eineinhalb Jahrzehnte syrischer Vorherrschaft, politische Korruption, Klientelismus und Chaos haben den Libanon völlig ruiniert.

Schon vor der Eskalation der vergangenen Wochen lebten drei Viertel der Bevölkerung in Armut, das Gesundheitssystem war ebenso zusammengebrochen wie das Bankensystem. Diese Tage aber drohen der libanesischen Staatlichkeit den Todesstoß zu versetzen und damit Millionen Menschen zur Flucht zwingen. Den Akteuren in Israel wie im Iran scheinen das Überleben des libanesischen Staates wie das Elend des libanesischen Volkes völlig egal zu sein. Den Christen in aller Welt jedoch kann der unendliche Kreuzweg ihrer Glaubensbrüder an der Levante nicht gleichgültig sein. Den geschichtsbewussten Europäern, die sich einst als Paten der Orient-Christen gaben, auch nicht.

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Stephan Baier Bürgerkriege Christen Hisbollah

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