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Schicksalstage für den Kanzler

Olaf Scholz verrät nicht viel darüber, wie er denkt. Aber in dieser Woche konnte man etwas über den Kanzler lernen.
Scholz erneut vor «Cum-Ex»-Ausschuss
Foto: Kay Nietfeld (dpa) | Seit bald zwei Jahren will ein Untersuchungsausschuss in Hamburg klären, ob führende SPD-Politiker Bankern dabei helfen wollten, mit «Cum-Ex»-Geschäften zu unrecht erlangte Millionen zu behalten.

Am Montag gab es noch herzlichen Applaus vom Publikum für den Kanzler: Zu Beginn einer für Olaf Scholz nicht gerade vergnügungssteuerpflichtigen Woche hatte er wohl den für ihn angenehmsten Auftritt in diesen Tagen. Er durfte eine Laudatio auf Friede Springer halten. Die Verlegerin wurde 80 Jahre alt. Und der Kanzler gab diesmal nicht den Scholzomaten, sondern hielt eine für seine Verhältnisse charmante, launige Rede auf die Jubilarin. Vielleicht lag es daran, dass der Kanzler hier nicht nur über das Lebenswerk von Friede Springer referierte, sondern auch über sich selbst sprach.

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Lacher auf der Feier

Denn wie es oft ist: Laudationes verraten mehr über den Lobredner als über denjenigen, der gewürdigt werden soll. Und so war auch die Rede von Scholz eher ein in eine Würdigung eingebettetes Selbstbekenntnis. In welchem Maß, das wird eigentlich erst jetzt am Ende dieser Woche richtig deutlich. Doch der Reihe nach, die zentralen Sätze aus der Ansprache des Kanzlers lauten: „Ich habe Entscheidungen getroffen, Herausforderungen angenommen und nie aufgegeben. Eigentlich war es das schon.“ Das ist tatsächlich ein Zitat von Friede Springer, in diesen zwei Sätzen hatte die Verlegerin einmal ihr unternehmerisches Credo beschrieben.

Der Kanzler zitierte es, zeigte aber in seiner Rede vor allem Sympathie für die norddeutsche Kürze – Friede Springer ist Friesin -, die sich hier zeige und für die ihm ja auch ein Vorliebe nachgesagt werde. Das sorgte bei der Feierstunde für Lacher. Aber wer beobachtet, wie der Kanzler dann tatsächlich die nächsten Tage agiert hat, dem bleibt vielleicht das Lachen im Hals stecken. Viel ist in den letzten Wochen darüber gerätselt worden, wieso Olaf Scholz so kommuniziert wie er kommuniziert. Mit Blick auf die Springer-Sätze wird es klar, entscheidend ist der Schluss: „Eigentlich war es das schon.“ Der Kanzler erkennt eine Herausforderung, trifft eine Entscheidung und will sie konsequent durchziehen – aber das reicht auch,  darüber reden will er nicht.

Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa | Woche für Woche berichtet unser Berlinkorrespondent in seiner Kolumne über aktuelles aus der Bundeshauptstadt.

Herausforderung in der Kommunikation

Schon am Dienstag wurden seine kommunikativen Fähigkeiten auf eine große Probe gestellt, der Bundeskanzler bestand sie nicht: Palästinenser-Präsident Abbas sorgte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz für einen Eklat: „Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen“, sagte Abbas und fügte hinzu: „50 Massaker, 50 Holocausts.“  Scholz reagierte nicht. Der Regierungssprecher beendete die Pressekonferenz. Danach setzte die Aufregung ein. Wie habe der Kanzler diese Aussagen einfach so stehen lassen können? Dabei war ja eines von vorneherein klar: Dass Olaf Scholz die Aussagen von Abbas tatsächlich unterstützen würde, können selbst seine ärgsten politischen Gegner nicht annehmen.

Später hat sich Scholz denn auch klar und deutlich distanziert. Also bloß ein handwerklicher Fehler? Oder doch ein grundlegendes Problem? „Eigentlich war es das schon.“ – ist dieser Grundsatz bei Scholz so stark verwurzelt, dass er nicht in der Lage ist, spontan in einer Pressekonferenz auf ein unvorhergesehenes Ereignis zu reagieren?

Und dann schließlich Freitagnachmittag: Olaf Scholz vor dem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zu der „Cum-Ex“-Affäre. Scholz sagte das, was zu erwarten war:  Es habe keine politische Beeinflussung von seine Seiter auf das Steuerverfahren gegeben. Hier wirkt der Kanzler ganz bei sich. Denn in diesem juristischen Zusammenhang kommt ihm seine Kommunikationstaktik zugute. Die Knappheit in den Aussagen gereicht ihm hier zum Vorteil. Wie überzeugend dies freilich auf die Bevölkerung wirkt, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Aber mit der Haltung des „Eigentlich war es das auch schon“ kommt er zumindest gut durch die Ausschussbefragung. 

Die zentrale Figur

Die Bundesrepublik ist eine Kanzlerdemokratie. Der Regierungschef ist die zentrale Figur der deutschen Politik. Deswegen ist es keine nebensächlich Frage, wie der Kanzler in der Öffentlichkeit agiert. Auf den Kanzler kommt es an und auch darauf, wie er spricht. In den letzten Tagen hat sich vor dem Auge des Beobachters noch einmal verdichtet, welchen Ansatz Scholz verfolgt.

Es ist das Modell eines latenten kommunikativen Autismus. Von ihm selbst wird das entweder folkloristisch als norddeutsche Coolness verniedlicht oder als besondere Führungsstärke verkauft – wie bei dem Springer-Geburtstag: Trotzigkeit als Charisma. Ob das aber in Krisenzeiten ausreicht, scheint immer zweifelhafter. Olaf Scholz wird das nicht länger ignorieren können. Ihm steht eine persönliche Zeitenwende bevor. Wenn er nichts ändert, werden  seine kommunikativen Defizite zu einer echten Last für seine Kanzlerschaft. 

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