Norbert Röttgen macht mit der „Zeitenwende“ ernst. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zwinge Deutschland dazu, neu über seine strategische Ausrichtung nachzudenken. „Es bestehen drei gefährliche Abhängigkeiten: In der Energieversorgung von Russland, in der Frage der Sicherheit von den USA und mit Blick auf wirtschaftliche Wachstumsmärkte von China“, beschreibt er die Lage.
Mentalität der neuen Lage anpassen
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik müsse in einen anderen Modus umschalten: „Wir müssen jetzt in der Politik und in der Gesellschaft unsere Mentalität der neuen Lage anpassen. Es geht um die Zukunft Europas und dabei kommt es auf Deutschland besonders an. Wir dürfen nicht mehr nur bloß reagieren, sondern müssen beginnen, vorausschauend zu denken: Welche Krise kommt als nächstes und wie müssen wir uns darauf vorbereiten?“ So müsse man jetzt bereits über den Tag 1 nach dem Krieg nachdenken: „Wir brauchen eine Sicherheitsordnung für ganz Europa, in die nicht nur die Ukraine, sondern auch Moldau und Georgien eingeschlossen sind. Es wird dann vermutlich für eine lange Zeit erstmal nicht mehr darum gehen, eine Sicherheitsordnung mit Russland aufzubauen. Es wird vielmehr eine Sicherheitsordnung gegen Russland sein.“
Ebenso müsse Deutschland seine bisherige Arbeitsteilung mit den USA neu organisieren: „. Man muss es so sagen: Die wichtigste europäische Sicherheitsmacht sind im Moment die Vereinigten Staaten. Das ist in der jetzigen Situation gut für uns. Aber ist es auch abzusehen, dass dies nicht auf Dauer so bleiben wird und darauf müssen wir uns vorbereiten.“ Es sei zwar positiv, dass Joe Biden und nicht etwa Donald Trump in Washington regiere, aber es sei nicht ausgeschlossen, dass Trump wiedergewählt werde. „Und selbst wenn Biden bleiben sollte oder ihm ein anderer Demokrat ins Amt folgt, ist zu konstatieren: Die USA werden sich künftig stärker auf das eigene Land konzentrieren.“
Beziehungen zu China neu ausrichten
Schließlich gelte es, die wirtschaftlichen Beziehungen zu China neu auszurichten: „Es ist ein großes Problem, dass die für Deutschland strategisch wichtigen Industriezweige – Automobil, Chemie, Pharmazie und Maschinenbau – ihr wichtigstes Standbein in China haben und dort einen Großteil ihrer Umsätze machen. Geopolitische Risiken wurden dabei bisher weitestgehend ausgeblendet. Aber wenn entscheidende Branchen in die Abhängigkeit geraten, kann diese Abhängigkeit zu einem Risiko für die deutsche Volkswirtschaft und damit für unser Land schlechthin werden. Außenhandel ohne Geopolitik funktioniert nicht mehr. Wir brauchen daher eine neue Außenwirtschaftsstrategie, um auch andere Wachstumsfelder zu erschließen und unsere Abhängigkeiten zu reduzieren.“ DT/sesa
Lesen Sie das komplette Interview mit Norbert Röttgen in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".