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McCarthy-Revolte: Krieg in Nahost, Chaos im Kongress

In Washington will man zum langjährigen Verbündeten Israel stehen. Doch die McCarthy-Revolte im Repräsentantenhaus lähmt die Abgeordneten.
Matt Gaetz, Abgeordneter aus Florida
Foto: IMAGO/Branden Camp (www.imago-images.de) | Er war es, der Kevin McCarthy letztlich vom Amt des Sprechers im Repräsentantenhaus stürzte: Matt Gaetz, Abgeordneter aus Florida.

Wie wichtig ein handlungsfähiger Kongress ist, machte sich in Washington in diesen Tagen auf die harte Tour bemerkbar. Seitdem die radikalislamische Hamas am Wochenende ihre Terrorangriffe auf Israel startete und damit einen womöglich länger andauernden Krieg in Nahost auslöste, war in der amerikanischen Hauptstadt erwartungsgemäß von allen Seiten zu hören, man stehe uneingeschränkt an der Seite Israels.

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Der amtierende US-Präsident Joe Biden betonte Israels Recht zur Selbstverteidigung, verurteilte den Terror der Hamas und sicherte dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu seine Unterstützung zu. Ähnlich äußerten sich auch führende Republikaner: Mitch McConnell, republikanischer Minderheitsführer im Senat, erklärte angesichts der blutigen Angriffe der Hamas, die Welt habe einmal mehr „das Gesicht des Bösen“ gesehen. Auch er bestärkte Israel in seinem Recht, sich selbst zu verteidigen und forderte umfassende militärische und geheimdienstliche Hilfe für die einzige Demokratie im Nahen Osten. 

McCarthy hat sich nicht mit Niederlage abgefunden

Auch die Forderung, Unterstützermächte der Hamas wie den Iran mit Sanktionen zu belegen, machten die Runde. Der Republikaner Kevin McCarthy, der jüngst von den eigenen Abgeordneten als Sprecher des Repräsentantenhauses gestürzt worden war, entwarf gar einen Fünf-Punkte-Plan, um den Verbündeten Israel in der Notlage zu helfen. Und auch wenn die US-Regierung nicht zögerte, unmittelbar konkrete Hilfsmaßnahmen einzuleiten, wie etwa Flugzeugträger und Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer zu verlegen, so war doch allen Beteiligten klar: Um Israel umfassend und langfristig in einem Krieg gegen die Hamas zu unterstützen und den Verbündeten der radikalen Islamisten das Wasser abzugraben, braucht es einen Kongress, der Entscheidungen treffen kann. 

Doch die untere Kammer des Kongresses, das Repräsentantenhaus, war zum Zeitpunkt des Angriffs auf Israel ohne Führung, die republikanischen Abgeordneten nach der Revolte gegen McCarthy in parteiinterne Scharmützel verstrickt. Angesichts zahlreicher innenpolitischer Herausforderungen war ein derart gelähmtes Parlament ohnehin schon schmerzhaft genug. Der Krieg in Israel verdeutlichte den Abgeordneten aber noch einmal die Dringlichkeit, ihre Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Schonungslos legte dies der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, Michael McCaul, offen: „Welche Botschaft senden wir unseren Gegnern, wenn wir nicht regieren können, wenn wir dysfunktional sind, wenn das Repräsentantenhaus nicht einmal einen Sprecher hat?“

Vielleicht lag es auch in den unvorhergesehenen außenpolitischen Ereignissen begründet, dass Kevin McCarthy Anfang der Woche überraschend selbstbewusst auftrat – und so gar nicht den Eindruck erweckte, er habe sich damit abgefunden, nicht mehr Sprecher des Repräsentantenhauses zu sein. In seiner Reaktion auf den Terror der Hamas ähnelte der einfache Abgeordnete McCarthy weiterhin verblüffend dem Sprecher McCarthy. So übte er vehemente Kritik an Matt Gaetz, dem republikanischen Abgeordneten aus Florida, der das Misstrauensvotum gegen McCarthy initiiert hatte und beklagte sich über einige wenige Republikaner, „die eine Kamera mehr lieben als das amerikanische Volk“.

Steve Scalise und Jim Jordan gelten als mögliche Nachfolger

So sehr McCarthy auch damit hadern mag, den einflussreichen Posten des Sprechers verloren zu haben: Bei der Abstimmung am Mittwochnachmittag (Ortszeit) sind andere Namen favorisiert. Zum einen Steve Scalise aus dem Bundesstaat Louisiana, bislang die Nummer Zwei der Republikaner im Repräsentantenhaus. Zum anderen der Vorsitzende des Justizausschusses, Jim Jordan aus Ohio. Er gilt als Favorit des Trump-Flügels. Auch wenn der zur Mitte orientierte Republikaner Scalise mehr Rückhalt in seiner Partei genießt, gilt es keinesfalls als sicher, dass man sich schnell auf einen Nachfolger einigen wird. Aufgrund ihrer äußerst knappen Mehrheit müssten die Republikaner nahezu geschlossen für einen Kandidaten stimmen.

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Doch die Republikaner ziehen schon lange nicht mehr an einem Strang. Nirgendwo macht sich das deutlicher bemerkbar als im Repräsentantenhaus, wo seit einiger Zeit die Trump-Anhänger trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit den moderaten, kompromissorientierten Parteivertretern den Schneid abkaufen. Kevin McCarthy, der nur neun Monate lang den Hammer des Sprechers schwingen durfte, bekam dies gleich am Anfang zu spüren: 15 Wahlgänge benötigte er, ehe sich eine Mehrheit der Parteikollegen hinter ihm versammelte. Die massiven Zugeständnisse, die er den Abgeordneten am äußersten rechten Rand im Gegenzug für deren Stimmen machte, erwiesen sich als der Mühlstein, der ihn letztendlich zu Boden drückte. So willigte er unter anderem ein, dass nur ein einzelner Abweichler jederzeit ein Misstrauensvotum gegen ihn beantragen könne. Niemand kokettierte häufiger damit, diese Trumpfkarte auszuspielen als Matt Gaetz, dem viele eine persönliche Fehde mit McCarthy nachsagen. 

Lange zögerte Gaetz damit, die offene Revolte gegen McCarthy tatsächlich anzuzetteln. Vergangenen Woche entschied er sich dann doch zu dem Schritt. Der Tropfen, der das Fass für Gaetz zum Überlaufen gebracht hatte, war die parteiübergreifende Einigung auf einen Übergangshaushalt am letzten Septemberwochenende. Der von McCarthy vorgelegte Gesetzentwurf fand schließlich nur mit den Stimmen der Demokraten eine Mehrheit und bewahrte das Land in letzter Minute vor einem Regierungsstillstand, einem sogenannten „Shutdown“. Die darin enthaltenen Beschlüsse gingen der republikanischen Minderheit am äußersten rechten Rand jedoch nicht weit genug. Schon vor der Abstimmung über einen Übergangshaushalt hatte Gaetz angekündigt, McCarthy die Unterstützung zu verweigern, falls dieser auf eine Kooperation mit den Demokraten setze. Nach der Abstimmung über den Haushalt warf er dem 58-Jährigen vor, die eigene Partei verraten und mit den Demokraten „paktiert“ zu haben. Daher sei McCarthy nicht mehr zu trauen.

Russlands Angriffskrieg spaltet die Republikaner

Der größte Streitpunkt in den Haushaltsdebatten stellte der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dar. Während die Demokraten die Ukraine auch weiterhin mit umfassender finanzieller und militärischer Hilfe ausstatten wollen, wächst in den Reihen der Republikaner seit längerem die Skepsis, insbesondere im Trump-Lager der Partei. Der Übergangshaushalt stellte nun niemanden so wirklich zufrieden. Denn einerseits waren darin keine weiteren Hilfen für die Ukraine vorgesehen, andererseits jedoch auch keine zusätzlichen Mittel für die anhaltende Migrationskrise an der US-Südgrenze – ein Problem, das viele Republikaner weitaus dringlicher einstufen als den Krieg in Europa. Hinzu kommt noch eine weitere Hürde: Seit langem fordern die Republikaner massive Ausgabenkürzungen, um der explodierenden Staatsverschuldung einen Riegel vorzuschieben. Allerdings nehmen die USA Jahr für Jahr neue Schulden auf. Einsparungen waren auch im Übergangshaushalt nicht vorgesehen. 

Für den neuen Sprecher gilt es nun, erst einmal wieder Ordnung in die chaotische untere Parlamentskammer zu bringen. Doch die Zeit drängt: Bis Mitte November müssen sich die Abgeordneten auf einen neuen Haushalt einigen, da dann der Übergangshaushalt abläuft. Und auch wenn Israel als natürlicher Verbündeter der USA sicher auf umfassende Hilfe zählen kann: Eine neue Kriegsfront sorgt auch für einen neuen Kostenpunkt. Der Krieg in Nahost dürfte die Debatten im Kongress somit nicht gerade vereinfacht haben.

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