Solche Termine kann er: Bei seinen Besuchen in Polen und Litauen machte Friedrich Merz eine gute Figur. Der Chef der größten deutschen Oppositionspartei zeigte Verständnis für die Kritik an den ausbleibenden deutschen Waffenlieferungen und Sensibilität für die Sicherheitsbedenken der osteuropäischen Partner. Das Urteil der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ muss ihm gefallen: Er sei „der ideale Kanzler“ für die Ostflanke der NATO. Friedrich Merz konnte bei beiden Besuchen seine Kanzlertauglichkeit unter Beweis stellen. Der staatsmännische Modus liegt dem Sauerländer.
In den Untiefen der Parteipolitik
Probleme bereiten dem 66-Jährigen denn auch eher die Untiefen der Parteipolitik: Seit sechs Monaten im neuen Amt hat er die Erwartungen seiner leidenschaftlichsten Fans bisher nicht erfüllt. Kürzlich wetterte er zwar noch im „Welt“-Interview gegen die „Cancel Culture“. Aber erstens ist diese Kritik von ihm nicht neu und zweitens wirkte sie eher pflichtschuldig.
Freilich, dass Merz quasi links von den „Merz-Ultras“ steht, also denjenigen in seiner Partei, die von seiner Wahl eine inhaltliche Kehrtwende um 180 Grad erwartet haben, ist nicht überraschend. Das Problem liegt darin, dass diese „Merzianer“ von Beginn an überhöhte Erwartungen an ihre Lichtgestalt stellten.
Denn was soll ein Parteichef tun? Er muss im Alltag mit einem Funktionärsapparat zusammenarbeiten, der größtenteils noch aus der Ära Merkel stammt. Er muss auf Kompromisse setzen, anders wird es schwierig, die vielschichtige Volkspartei zusammenzuhalten. Allerdings ein bisschen mehr Verve hätte man sich von Merz schon erhoffen können: Man bekommt den Eindruck, dass es ihm vor allem daran lag, die zu beruhigen, die glaubten, Merz werde nun tatsächlich eisern die Agenda durchfechten, die seine Anhänger mit ihm verbinden.
Das wichtigste Pfund: seine rhetorische Begabung
In der Frage der Frauenquote sprach er sich für einen lauen Kompromiss aus, der letztlich weder die Befürworter noch die Gegner zufriedenstellen kann. Und auch für die Ängste und Sorgen, die viele Unions-Stammwähler nach Bildung der Schwarz-Grünen Koalitionen in Düsseldorf und Kiel umtreiben, zeigte er wenig Sensibilität. Durch geschickt gesetzte Reden – seine rhetorische Begabung ist und bleibt das wichtigste Pfund, mit dem Merz wuchern kann – hätte er hier leicht Akzente setzen können.
Stattdessen scheint es so, dass die wirklich starken Männer in der Union die Ministerpräsidenten sind – Markus Söder in Bayern und Michael Kretschmer in Sachsen sowie die beiden Wahlsieger aus Düsseldorf und Kiel, Hendrik Wüst und Daniel Günther. So sehr Merz also den staatsmännischen Auftritt auch beherrscht, es wird immer wahrscheinlicher, dass der künftige Kanzlerkandidat aus den Reihen der Länderchefs stammen wird.
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