Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Sozialwissenschaftler argumentiert

Künstliche Befruchtungen verletzen die Menschenwürde

Kinder hätten das Recht, die Welt nicht als Laborprodukte betreten zu müssen, meint der Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker.
Künstliche Befruchtung - Reproduktionsmedizin
Foto: IMAGO/Zoonar.com/Maksym Yemelyanov (www.imago-images.de) | Das Kind habe das Recht, „seine Existenz auf Grund einer menschenwürdigen Empfängnis zu beginnen, mithin nicht als zertifiziertes und selektiertes Laborprodukt ins Leben zu treten oder als Ware behandelt zu werden", ...

Die Künstliche Befruchtung verstößt gegen die Menschenwürde. Diese These verfocht am Wochenende der emeritierte Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker.

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Unter der Überschrift „Kinderwunsch und Reproduktionsfreiheit – Was sagen Medizin, Sozialethik und Kirchen?“ gestellt, gab Spieker im Toscana-Saal der Würzburger Residenz zunächst einen Überblick über die Reproduktionsmedizin in Deutschland. Seit der Geburt des ersten im Labor erzeugten Menschen im Jahr 1978 seien weltweit mehr als zehn Millionen Menschen nach künstlicher Befruchtung geboren worden, rund 400.000 davon in Deutschland. Im Jahr 2021 hätten sich rund 67.000 Frauen in einem der „140 Fertilisations- beziehungsweise Kinderwunsch-Zentren“, die es mittlerweile in Deutschland gebe, einer „In-Vitro-Fertilisation“ (IVF) oder aber einer „Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion“ (ICSI) unterzogen. Beide Verfahren seien in den letzten vier Jahrzehnten derart expandiert, dass sie heute von vielen, „eher als Variante natürlicher Empfängnis“ statt „als deren Gegensatz“ betrachtet werden.

Das Kind als Tabu der Reproduktionsmedizin

Unfreiwillige Kinderlosigkeit gelte „als Krankheit“, künstliche Befruchtung als deren Therapie. Reproduktionsmediziner rechtfertigten die assistierte Reproduktion mit dem Leiden ihrer Patienten. Die Krankenkassen hätten diese Sicht übernommen und die künstliche Befruchtung, wenn auch mit Einschränkungen, als Sterilitätstherapie in ihren Leistungskatalog aufgenommen. Der Begriff Sterilitätstherapie sei jedoch irreführend, „denn die Sterilität wird nicht therapiert, sondern nur überlistet. Sie bleibt selbst nach einer erfolgreichen, also zur Geburt eines Kindes führenden Behandlung die gleiche wie zuvor“, so Spieker. Die Legitimität einer medizinischen Intervention bei der Fortpflanzung hänge „davon ab, dass sich der assistierende Arzt der Tatsache bewusst bleibt, dass er es nicht nur mit dem Kinderwunsch eines Paares, sondern mit dem Kind als einem dritten Subjekt zu tun hat.“ Das Kind aber sei „ein Tabu der assistierten Reproduktion“.

Selbst Anwälte der assistierten Reproduktion gestünden ein, dass der Reproduktionsmediziner „das Ergebnis seiner Konservierungs- und Injektionskünste nicht als Subjekt denken“ könne. Die Fokussierung auf den Kinderwunsch der Erwachsenen und die Ausblendung des Subjektstatus des Kindes habe dazu geführt, dass die Reproduktionsmedizin „ihr Arsenal zur Erfüllung des Kinderwunsches immer weiter“ auszdehne – über die homologe künstliche Befruchtung hinaus auf Samenspende, Eizellspende, Leihmutterschaft, Embryonenadoption, bis hin zum ROPA-Verfahren bei lesbischen Frauen, bei dem eine die Eizelle spendet und die andere nach einer künstlichen Befruchtung die Schwangerschaft austrägt“ (ROPA = Recepcion de ovulos de la Pareja).

Menschenwürde kommt schon dem Embryo zu

Das Kind sei aber unabhängig von seinem Entwicklungsstand Person. Als Person komme ihm ein Status zu, der nicht von anderen verliehen wird, sondern ihm kraft Existenz eigen sei. Die Verwendung des Begriffs „Person“ sei „gleichbedeutend mit einem Akt der Anerkennung bestimmter Verpflichtungen gegen denjenigen, den man so bezeichne. Der mit der Existenz gegebene moralische Status der Person sei ihre Würde. Spieker: „Diese Würde hängt weder von Verdienst noch von Zuerkennung ab. Sie ist nicht teilbar, in keiner Phase seines Lebens existiert der Mensch ohne sie, und sie kommt allen Menschen gleicherweise zu. ,Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘, so beginnt Art.1, Abs.1 des Grundgesetzes. Würde haben bedeutet somit, ein Rechtssubjekt zu sein, ,niemals und nirgends rechtlos da zu stehen... kein Mensch fängt also – rechtlich betrachtet – bei null an.‘ Weil er Würde hat, hat er unverletzliche und unveräußerliche Menschenrechte.“

Art.1 GG bringe dies in Abs. 2 mit dem Wort „darum“ zum Ausdruck: „Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Die sich aus der Menschenwürde ergebende Achtungspflicht erstrecke sich auf alle Menschen und auf den Menschen in jeder Phase seines Lebens, mithin auch auf den Embryo. „Wo menschliches Leben existiert“, so das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Urteil zum Abtreibungsstrafrecht 1975, „kommt ihm Menschenwürde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst zu wahren weiß. Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen“.

Dass die Menschenwürdegarantie auch dem Embryo zukommt, werde in der Bioethikdebatte häufig bestritten. Spieker: „Der Zweck des Bestreitens liegt auf der Hand. Wenn die Menschenwürde dem Embryo nicht zukommt, hat die Reproduktionsmedizin wie auch die Forschung an und mit embryonalen Stammzellen freie Bahn. Die befruchtete Eizelle mit dem doppelten Chromosomensatz stellt jedoch von Anfang an das volle Lebensprogramm für die Entwicklung dieses Menschen dar. Weder die Nidation noch die Geburt noch sonstige Zäsuren sind mit einer genetischen Nachbesserung verbunden. Deshalb sei „die natürliche Finalität der befruchteten menschlichen Eizelle... eine Vorgegebenheit des Rechts“. Deshalb stehe auch der Embryo „unter dem Schutz der Menschenwürdegarantie“.

Das Kind als Gabe des Schöpfers

Auch sei die menschliche Fortpflanzung „mehr als ein technisches Verfahren“. Sie sei „die Frucht einer intimen Beziehung, einer leiblichen Vereinigung zweier Geschlechter“. In ihr seien „Mann und Frau mehr als Rohstofflieferanten“. Spieker: „Die Vereinigung von Mann und Frau im Geschlechtsakt ist nicht nur ein physiologischer Vorgang. Sie ist eine gegenseitige Hingabe und Übereignung, eine gegenseitige Schenkung, die den Leib und die Seele umfasst. Sie ist eine kommunikative Praxis von Personen unterschiedlichen Geschlechts, nicht ein Machen oder Herstellen. Das Kind ist deshalb mehr als das Produkt einer technischen Vernunft, das ein Reproduktionsmediziner in seinem Labor herstellt. Es ist eine Gabe des Schöpfers.“

Keine Technik könne, zitierte Spieker Benedikt XVI. „den gegenseitigen Liebesakt der beiden Eheleute ersetzen, der Zeichen eines größeren Geheimnisses ist, durch das sie als Protagonisten an der Schöpfung beteiligt sind“. Diese leib-seelische Einheit der Vereinigung und des Zeugungsgeschehens gehe durch die assistierte Reproduktion verloren. 1985 habe die EKD in einer heute weithin vergessenen „Handreichung zur ethischen Urteilsbildung“ auf die wechselseitigen Abhängigkeiten physischer und psychischer Vorgänge in Zeugung, Schwangerschaft und Geburt hingewiesen und vor dem Verlust der leib-seelischen Ganzheit des Zeugungsvorganges durch die IVF gewarnt.

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Die katholische Kirche habe in der Erklärung der Glaubenskongregation „Donum Vitae“ von 1987 „den ehelichen Liebesakt in seiner leib-seelischen Ganzheit als den einzigen legitimen Ort, der der menschlichen Fortpflanzung würdig ist“ verteidigt, so Spieker. „Die Eheleute hätten das Recht und die Pflicht, ,dass der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter wird‘.“ Die Fortpflanzung werde ihrer eigenen Vollkommenheit beraubt, wenn sie nicht als Frucht des ehelichen Liebesaktes, sondern als Produkt eines technischen Eingriffs angestrebt werde. Die Menschenwürde und die aus ihr abgeleitete Pflicht, den anderen Menschen nicht ausschließlich als Instrument – zur Erfüllung des Kinderwunsches – zu benutzen, geböte „eine Form der Fortpflanzung, in der sich Mann und Frau als Personen“ begegneten, sich schenkten und im biblischen Sinne „erkennen“. Sie geböten, in Zeugung und Schwangerschaft nicht nur technische Vorgänge, sondern anthropologische Grundbefindlichkeiten zu sehen.

Das Recht, die Welt nicht als Laborprodukt zu betreten

Auch aus der Perspektive des Kindes verletzte die künstliche Befruchtung dessen Würde. Zwar sei es von seinen Eltern gewünscht. Aber anders als die meisten natürlich gezeugten Kinder sei es nicht die Frucht des ehelichen Liebesaktes, sondern das Produkt des Reproduktionsmediziners und verdanke seine Entstehung „einem technischen Verfügungs- und Herrschaftswissen, einer instrumentellen Vernunft“. Damit befinde sich das Kind in einer existentiellen Abhängigkeit von denen, die es machen. Spieker: „Diese bedingte Existenz widerspricht der Symmetrie der Beziehungen, die eine wesentliche Voraussetzung für interpersonale Beziehungen und für den egalitären Umgang von Personen ist. Sie widerspricht seiner fundamentalen Gleichheit als Mensch wie auch seiner Freiheit. Jeder will von den anderen anerkannt werden, nicht weil seine Existenz deren Wunsch oder Gefallen entspricht, sondern aufgrund seiner bloßen Existenz. Damit verletzt die künstliche Befruchtung die Menschenwürde, auch wenn der künstlich erzeugte Mensch nach seiner Geburt zum geliebten Kind seiner Eltern wird, sich normal entwickelt und als Mitbürger die gleichen Rechte und Pflichten hat wie jeder andere.“

Das Kind habe das Recht, „seine Existenz auf Grund einer menschenwürdigen Empfängnis zu beginnen, mithin nicht als zertifiziertes und selektiertes Laborprodukt ins Leben zu treten oder als Ware behandelt zu werden. Es hat das Recht, die Frucht des spezifischen Aktes der ehelichen Hingabe seiner Eltern zu sein“. Diese Verteidigung des Geschlechtsaktes seitens der katholischen Kirche sei daher zugleich eine Verteidigung der Würde des Kindes. Es sei an der Zeit, dass die Öffentlichkeit merke, dass die Herstellung von Kindern nicht wirklich im Interesse der Frauen, der so entstandenen Kinder und ihrer Väter ist. Spieker zitierte auch den Harvard-Philosophen Michael J. Sandel, dessen „Plädoyer gegen die Perfektion“ zugleich ein Plädoyer für die natürliche Zeugung sei, „dafür, ,Kinder als Gabe zu schätzen, sie zu akzeptieren, wie sie sind, nicht als Objekte unseres Entwerfens oder als Produkte unseres Willens oder als Instrumente unserer Ambitionen‘“.

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Stefan Rehder Lebensschutz Leihmutterschaft Menschenwürde

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