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Kriegt PiS den KO-Schlag?

Parlamentswahlen in Polen: Noch lässt sich nichts Genaues sagen, doch das Interesse am Ergebnis ist riesig – auch im Ausland.
Donald Tusk am Wahlabend
Foto: IMAGO/Attila Husejnow (www.imago-images.de) | Donald Tusk und seine Bürgerkoalition (KO) strahlten nach den ersten Hochrechnungen Euphorie und eine Siegesgewissheit aus.

Es sei die wichtigste Wahl seit 1989, hieß es im Vorfeld der polnischen Parlamentswahlen am Sonntag – und die sehr hohe Wahlbeteiligung von vermutlich 73 Prozent scheint diese Einschätzung bestätigt zu haben. Wohin man in der polnischen Hauptstadt an diesem wechselhaft kühlen 15. Oktober auch schaute, fast überall vor öffentlichen Gebäuden, die als Wahllokale dienten, bildeten sich Warteschlangen. 

Auch das Interesse der ausländischen Medien am Wahlausgang war und ist riesig – immerhin hängt vom Ergebnis einiges ab: für Europa, vielleicht sogar für die ganze Welt, denn die nationalkonservative PiS mit Jarosław Kaczyński an der Spitze und die bürgerlich-liberale Koalition (KO) rund um Donald Tusk stehen für völlig unterschiedliche Politikmodelle.  

Tusk: Euphorisch und siegesgewiss

Kaczyński will nach Russlands Überfall auf die Ukraine unbedingt Polens Sicherheit an der östlichen EU-Außengrenze, doch sein EU-kritischer und demokratiefeindlicher Kurs hat das Land vom Westen zunehmend isoliert; Tusk steht als ehemaliger Präsident des Europäischen Rates für die Europäische Integration und Westbindung, doch viele Polen wissen nicht, wie sicher unter ihm, der Bundeskanzlerin Angela Merkel einst nah stand, das Land vor EU-internen und externen Migrationsströmen geschützt ist. Dazu kommt das Dilemma einiger katholischer Wähler, dass Tusk moderner und demokratischer wirkt, die Agenda von PiS in Sachen Lebensschutz und Familienpolitik aber dichter an der kirchlichen Lehre zu liegen scheint. Die toxischen nationalistischen Zutaten aber keineswegs.   

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Als sich am Sonntagabend nach Schließung der Wahllokale und Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen die Parteivorsitzenden zu Wort meldeten, hätten die Gegensätze denn auch nicht größer sein können: Die Regierungspartei PiS mit Jarosław Kaczyński (37 Prozent) wirkte mit eingefrorenem Lächeln wie ein kleines Nordkorea, die rechtsradikale Konfederacja (6 Prozent) schwankte aufgrund des schwachen Abschneidens zwischen Melancholie und Wut – Donald Tusk und seine Bürgerkoalition (KO) hingegen strahlten Euphorie und eine Siegesgewissheit aus (32 Prozent), die nur von Szymon Hołownia (13 Prozent), dem Anführer des Dritten Wegs (Trzecia Droga), und den Koalitionspartnern der Linken (Lewica) noch übertroffen wurde (9 Prozent). Auch wenn PiS bereits diese ersten Hochrechnungen anführte, für eine Regierungsbildung gegen die drei Oppositionsparteien KO, Dritter Weg und Lewica reichte der Wahlsieg nach dem damaligen Stand nicht aus. 

Solide Zahlen erst am Dienstag

Doch noch sind längst nicht alle Stimmen ausgezählt. Vor allem nicht in den großen Städten. Weshalb der nächtliche Anstieg von PiS auf über 40 Prozent und der Abstieg von KO auf 25 Prozent mit Vorsicht zu betrachten sind. Gerade die Metropolen sind KO-Hochburgen. Wahrscheinlich wird man erst am Dienstag solide Zahlen zum Wahlergebnis haben.

Sollte es allerdings bei diesem Ergebnis bleiben und Tusk & Co. zusammen keine Mehrheit bilden, stellt sich zum ersten Mal für Polen die Frage nach einer Minderheitsregierung. PiS mit Duldung von Hołownia? Wenig realistisch.

PiS mit Duldung von Konfederacja? Es wäre, falls es zu dieser Paarung kommt, wohl die schlechteste Lösung. Man kann viel gegen Kaczyński sagen, doch nicht, dass er ein Russland-Freund ist. Bei Konfederacja gibt es Putin-Versteher. Was die Parteien verbindet, ist die kritische Haltung gegenüber der EU. Gut möglich, dass PiS mit Konfederacja im Rücken also noch streitlustiger auf der internationalen Bühne aufträte. Doch noch sind in Polen nicht alle Wahlzettel ausgezählt.

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