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Kommentar um "5 vor 12": So geht Cancel Culture auf Türkisch

Erdogans Osmanisierungspolitik geht weiter. Nach der Hagia Sophia soll auch die Chora-Kirche im Stadtteil Fatih zur Moschee umgewidmet werden.
Die Chora-Kirche in Istanbul, Stadtteil Fatih
Foto: via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Die Chora-Kirche in Istanbul, Stadtteil Fatih Die Mosaiken und Fresken im Stil der palaiologischen Renaissance in der Kirche zählen zu den bedeutendsten und aufwendigsten Sakralzyklen weltweit.

Es kam alles andere als überraschend: bereits im November 2019 beschloss der Türkische Staatsrat, dass die Istanbuler Chora-Kirche wieder eine Moschee werden soll. Nach der Hagia Sophia gilt die Kirche als wertvollstes Zeugnis byzantinischer Kultur, deren prachtvolle Mosaike nicht selten mit denen der Hauptkirche verwechselt werden. Wie die Hagia Sophia war die Chora-Kirche ein Museum; wie die Hagia Sophia gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe. Heute Morgen hat ein Dekret des Präsidenten sie für muslimische Gottesdienste geöffnet.

Erdogans Ziele

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Erdogan verfolgt mehrere Ziele. Der Blick geht nach innen, zu den frommen Wählern; und er geht nach außen, in die Islamische Welt, in der die Türkei eine aggressive Hegemonialpolitik betreibt, so in Libyen oder in Syrien. Auch die Freundschaft mit Israel gehört der Vergangenheit an. Der Traum, wieder in die Fußstapfen des Osmanischen Reiches zu treten, erfordert nicht nur politische, sondern auch kulturelle Signale.

Erinnerung tilgen

Die Re-Islamisierung der einst christlichen Kirche tilgt die Erinnerung an die Geschichte Kleinasiens, die mitnichten eine rein muslimische oder eine rein türkische ist. Die Erniedrigung der christlichen Orthodoxie bedeutet Erhöhung des siegreichen Islams. Auch das ist eine Form der Cancel Culture: historische Epochen, die nicht in die Propaganda passen, werden ausgelöscht.

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