Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Berlin

Kommentar um "5 vor 12": Proportionen gewahrt

Bei der Neureglung der Organspende hat der Bundestag gestern das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gestärkt und einen zudringlich werden wollenden Staat in die Schranken gewiesen.
Kommentar zur Organspende-Abstimmung
Foto: Emily Wabitsch (dpa) | Schweigen als Zustimmung zu werten, ist nicht nur dem deutschen Recht fremd. Im Bild: Das Anatomische Modell eines Menschen, in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Am Ende war es eine klare Sache. Eine deutliche Mehrheit des Bundestags stimmte gestern nach einer mitunter hochemotional geführten Debatte gegen die Vergesellschaftung lebenswichtiger Organe von Patienten, bei denen Ärzte den Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen diagnostizieren. Denn darauf wäre die vom gern forsch auftretenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) favorisierte Widerspruchsregelung hinausgelaufen. Sie hätte die geltende Regel, Organspender ist, wer der Entnahme lebenswichtiger Organe zustimmt, in ihr Gegenteil verkehrt: Organspender ist, wer ihr nicht widerspricht.

Informierte Einwilligung

Lesen Sie auch:

Schweigen als Zustimmung zu werten, ist nicht nur dem deutschen Recht fremd. Unser ganzes Gesundheitssystem basiert auf dem Prinzip des „informed consent“, der Einwilligung nach zuvor erfolgter Aufklärung. Wer dem zuwider handelt, begeht eine strafrechtlich relevante Körperverletzung. Hermann Gröhe (CDU), Spahns Amtsvorgänger, brachte es in der Debatte auf den Punkt: „Jeder Mensch hat ein Selbstbestimmungsrecht (…) Und auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit muss ich nicht durch eine Widerspruchserklärung aktivieren. Ich habe es bedingungslos. Nur meine eigene Einwilligung kann es zurücktreten lassen.“

Funktionsfähiger Kompass

Bei der gestrigen Entscheidung ging es also nicht nur um die Frage, wie sich die Zahl der Organspender steigern lässt. Es ging auch um die Wahrung der dem Verhältnis von Bürger und Staat angemessenen Proportionen. Dabei bewies eine Mehrheit der Abgeordneten, dass sie noch über einen funktionsfähigen Kompass verfügt. In derart wirren Zeiten wie diesen, darf man dafür durchaus dankbar sein.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Stefan Rehder CDU Deutscher Bundestag Hermann Gröhe Jens Spahn

Weitere Artikel

Nach dem Zweiten Triage-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind nun die Bundesländer gefordert, eine verfassungskonforme Regelung zu finden. Das könnte knifflig werden.
14.11.2025, 19 Uhr
Stefan Rehder

Kirche

„Quiet revival“ nun auch in Deutschland? Jüngere Menschen haben eher vor, an Weihnachten in die Kirche zu gehen. Das Vor-Corona-Niveau bleibt allerdings noch unerreicht.
12.12.2025, 14 Uhr
Meldung
Die Linkspartei erlebt einen Höhenflug. Doch ist er von Dauer? Gegen den Wiederaufstieg helfen nur zwei Dinge, schreibt Hubertus Knabe.
11.12.2025, 21 Uhr
Hubertus Knabe
Ulrich Lehner lehrt an einer der renommiertesten katholischen Universitäten der USA. Im Interview erzählt er, wie die Wahl von Papst Leo in Amerika aufgenommen wurde, und was die deutsche ...
12.12.2025, 08 Uhr
Sebastian Ostritsch
Das Erzbistum Köln und der Neokatechumenale Weg feiern in Bonn; die Vision einer Kirche, die sich senden lässt.
11.12.2025, 19 Uhr
Beatrice Tomasetti
Von Priestern bis Ordensleuten über Laien, die spanische Kirche erinnert an die Märtyrer, die in den Wirren des Bürgerkrieges umgekommen sind.
13.12.2025, 05 Uhr
Claudia Kock