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„Jupiter“ Macron hat sich ins Aus gespielt

Nachts brennen die Straßen, tagsüber blockieren die Gewerkschaften das Land: Emmanuel Macrons Politikstil hat sein Land in eine aussichtslose Situation gebracht.
Demonstrationen in Paris
Foto: IMAGO/Michel Stoupak (www.imago-images.de) | Die Wut der Reformgegner richtet sich auch gegen die konservativ-bürgerliche Partei der „Républicains“: Sie sind das Zünglein an der Waage, das das Misstrauensvotum verhindert hat und die Regierung an der Macht hält.

„Wir haben Ludwig XVI. geköpft, das können wir bei Macron auch“, skandieren die Demonstranten, die seit letztem Donnerstag allabendlich die Straßen der Hauptstadt durchstreifen. Die Opposition gegen die Rentenreform in Frankreich hat sich zu einer breiten Protestbewegung gegen Staatspräsident Emmanuel Macron und seine Regierung ausgeweitet, die sich nicht mehr nur durch Streiks Luft macht, sondern die größeren Innenstädte des Nachbarlands allabendlich in rauchende Unruheherde verwandelt.

Das Vertrauen in Macron ist dahin

Angesichts der sinkenden Zahl der Beitragszahler ist eine Rentenreform in Frankreich unausweichlich, doch das Vertrauen in den Präsidenten und die Premierministerin Elisabeth Borne ist dahin. Emmanuel Macrons Arroganz gegenüber seinen Bürgern rächt sich jetzt und zieht das ganze Land in Mitleidenschaft. Spätestens seit den Protesten der Gelbwesten brodelt schichtenübergreifend die Unzufriedenheit, das harte Corona-Regime mit den strikten Ausgangssperren machte es nicht besser. Emmanuel „Jupiter“ Macron muss nun auf die harte Tour lernen, dass es in einer Demokratie nicht reicht, in der Sache richtig zu liegen. Seit dem Verlust der absoluten Mehrheit im Parlament kommt er mit verächtlichem Naserümpfen über die Opposition nicht mehr weiter. Jetzt braucht es Geduld, Zuhören, parlamentarische Debatte. Doch der Zug ist schon lange abgefahren, darüber können auch zwielichtige Beteiligungsformate wie der Bürgerkonvent zum assistierten Suizid nicht hinwegtäuschen. Zu lange schon leben zu viele Franzosen unter dem Eindruck, ihr Präsident trampele selbstherrlich und rücksichtslos über ihre Bedürfnisse hinweg.

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Die Sprengkraft des Themas Rentenreform ist bekannt, die Franzosen reagieren hysterisch, wenn man an ihr (vergleichsweise niedriges) Renteneintrittsalter rühren will. Macron und seine Premierministerin haben vergangenen Donnerstag den Bogen überspannt, als sie die geplante Rentenreform durch Aktivierung des Sonderartikels 49,3 der Verfassung ohne parlamentarischen Entscheid durchgeboxt haben. Seit Mai 2022 hat Elisabeth Borne damit zum elften Mal das Parlament umgangen. Genau einmal zu viel. Seitdem brennt die Hütte, und zwar wörtlich. Am Montagabend scheiterte ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Borne im Parlament, womit die Rentenreform als entschieden gilt. Es war nicht das erste Misstrauensvotum, aber das erste, bei dem nur neun Stimmen zur Absetzung der Regierung gefehlt haben. Das war knapp, sehr knapp.

Zum vorläufigen Höhepunkt der Proteste kam es gestern Abend: Tausende fanden sich zu nicht angemeldeten Demonstrationen an bedeutungsschweren Pariser Orten wie der Place de la Concorde zusammen und durchstreiften anschließen die Hauptstadt. Barrikaden, brennende Mülltonnen und Fahrräder, ein unglaubliches Chaos – die Bilder sind bekannt. In den sozialen Medien kursieren Videos, die nach bürgerkriegsartigen Zuständen aussehen, Polizisten knüppeln nicht nur auf Unruhestifter, sondern auch auf friedliche Demonstranten ein. Allein für Paris gibt die Polizei über 240 Verhaftungen an. Ähnliches lässt sich über andere Städte berichten. An mehreren Orten haben Randalierer Parteisitze und Büros von Abgeordneten, die die Reform unterstützen, verwüstet. Am heutigen Morgen haben wieder die Gewerkschaften übernommen: Der Müll wird in Paris schon seit einer Woche nicht mehr abgeholt, manche Raffinerien sind seit Tagen blockiert, in größeren Städten legen Streikende die großen Zufahrtsachsen lahm.

Die Wut richtet sich auch gegen die Konservativen

Die Wut der Reformgegner richtet sich auch gegen die konservativ-bürgerliche Partei der „Républicains“: Sie sind das Zünglein an der Waage, das das Misstrauensvotum verhindert hat und die Regierung an der Macht hält. Einigkeit gibt es unter den Abgeordneten nicht, einige haben sich der Anordnung, die Regierung zu stützen, widersetzt und müssen mit parteiinternen Konsequenzen rechnen. Die Neuaufstellung der „Républicains“ als starke, konstruktive Oppositionspartei ist vorerst gescheitert. Offensichtlich schafft es auch der neue Parteichef Eric Ciotti nicht, der Partei ein eigenes Profil zu geben. Stattdessen behalten die Bürgerlichen die Rolle der Handlanger Macrons – dabei wäre ein Rücktritt des Präsidenten nach Absetzung seiner Regierung die Möglichkeit, erneut mit einem Präsidentschaftskandidaten ins Rennen zu gehen. 

Von dem momentan wahrscheinlichsten „Républicains“-Kandidaten, Laurent Wauquiez, hört man allerdings derzeit nur eins: absolute Funkstille. Dabei wäre gerade jetzt ein starker bürgerlicher Kopf der einzige Weg aus dem Schlamassel, denn: Emmanuel Macron könnte auf ein Scheitern seiner Regierung spekulieren und anschließend zurücktreten, um durch Neuwahlen eine längere Zeit im Amt zu erhalten. Denn trotz seiner dramatisch gesunkenen Umfragewerte könnte er eine Stichwahl gegen Rechtsaußen immer noch gewinnen. Eine Stichwahl zwischen einem rechts- und einem linkspopulistischen Kandidaten könnte hingegen einen waschechten Kommunisten vom Format eines Jean-Luc Mélenchon an die Macht befördern. Käme es jetzt – ohne einen starken konservativ-bürgerlichen Kandidaten – zu Neuwahlen, könnte es genau darauf hinauslaufen. Die „Républicains“ müssen dringend verstehen, dass nur ihre klare Distanzierung von Emmanuel Macron dem Land den Weg in die Stabilität wiedereröffnet.

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Franziska Harter Emmanuel Macron Jean-Luc Mélenchon Laurent Wauquiez Ludwig XVI. Éric Ciotti

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