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Burkina Faso: „Islamisten sind Teil eines Parallelstaates“

Burkina Faso befindet sich im Griff dschihadistischer Milizen. Nach einem Militärputsch hat die neue Regierung ihnen den Kampf angesagt. Ein Interview mit Ulf Laessing, Leiter Regionalprogramm Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Putsch-Welle in Westafrika
Foto: Sophie Garcia (AP) | Szenen vom Putsch Ende Januar: Meuternde Soldaten umstellen den nationalen Fernsehsender in Ouagadoudou, der Hauptstadt Burkina Fasos.

Herr Laessing, warum kommt es zum Terror im bitterarmen Burkina Faso, einem Land, das viele im Westen gar nicht auf dem Schirm haben?

Burkina Faso steht wie andere Staaten im Sahel-Raum vor fundamentalen Herausforderungen mit einer sich seit Jahren stetig verschlechternden Sicherheitslage durch Gewaltakte terroristisch-dschihadistischer Gruppen und steigender Kriminalität, weitverbreiteter Armut, einer stark wachsenden Bevölkerung und schwacher Regierungsführung. Zahlreiche Menschen sind durch Konflikte vertrieben worden, und der Zentralstaat zieht sich aus immer mehr instabilen Regionen etwa im Dreiländereck mit Mali und Niger de facto zurück. Dort haben Anschläge von unterschiedlichen bewaffneten Gruppen in den letzten Jahren stark zugenommen. Dschihadisten und kriminelle Netzwerke nutzen ein Machtvakuum und fundamentalen Probleme wie Arbeitslosigkeit aus, um sich mit benachteiligten Volksgruppen zu verbünden.

"Fast zwei Drittel des Landes sind kaum
mehr unter Kontrolle der Zentralregierung"

Die schwachen Sicherheitskräfte sind überfordert und ziehen sich immer mehr zurück. Fast zwei Drittel des Landes sind kaum mehr unter Kontrolle der Zentralregierung. Ein Militärcoup im Januar nach Massenprotesten gegen die sich verschlechternde Sicherheitslage hat die innenpolitische Lage zusätzlich verkompliziert.

Die neue Militärregierung will den Kampf gegen Dschihadisten zur Chefsache machen, aber die Armee kämpft mit strukturellen Problemen, so dass kurzfristig kaum militärische Erfolge zu erwarten sind. Der Konflikt kann ohnehin nicht militärisch gelöst werden, da die Dschihadisten Teil der Gesellschaft geworden sind und die Ursache für Terrorismus auf Armut und das Scheitern des Staates zurückgeht, Dienstleistungen wie Bildung oder gesundheitliche Versorgung anzubieten.

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Lange Zeit waren die Beziehungen zwischen Muslimen und Christen in Burkina Faso friedlich. Inzwischen gewinnen islamisch-extremistische Gruppen an Einfluss und gehen auch gewaltsam gegen Christen vor. Wie ist die Situation?

Es handelt sich bei dem Konflikt in Burkina Faso nicht um eine klassische religiöse Auseinandersetzung wie etwa in Ländern des Nahen Ostens, wo dschihadistische Gruppen Hass gegen Minderheiten wie Christen oder Schiiten predigen. Burkina leidet wie andere Sahelstaaten unter fundamentalen Herausforderungen wie Armut, einem schwachen Staat, der den Bürgern wenig bietet, und zunehmenden Verteilungskämpfen um Wasser und Ackerland infolge von einem enormen Bevölkerungswachstum, die durch den Klimawandel nochmals verstärkt werden. Dschihadistische Gruppen nutzen diese lokalen Konflikte gezielt aus, um sich mit benachteiligten Volksgruppen wie zum Beispiel Viehhirten zu verbünden. Diese sind vom Staat und Ackerbauern beim Zugang zu Wasser und Land für ihre Tiere traditionell benachteiligt worden. Dschihadistische Gruppen bieten ihnen Schutz und bekommen im Gegenzug aus ihren Reihen Kämpfer. Die Gegenseite aus Ackerbauern und anderen Volksgruppen rüstet auf mit sogenannten Selbstverteidigungsmilizen – so schaukelt sich der Konflikt immer weiter hoch, während der ohnmächtige Staat keine Ordnung schaffen kann. Solange ein Heer von arbeitslosen oder verarmten Menschen keine Perspektive hat, werden dschihadistische und andere terroristische Gruppen weiterhin einen fruchtbaren Nährboden finden.

"Wo der Staat nicht präsent ist, übernehmen oft
Selbstverteidigungsmilizen, ethnische Gruppierungen,
Islamisten oder die organisierte Kriminalität das Ruder"

Hat der Staat dieser Entwicklung nichts entgegenzusetzen?

Wo der Staat nicht präsent ist, übernehmen oft Selbstverteidigungsmilizen, ethnische Gruppierungen, Islamisten oder die organisierte Kriminalität das Ruder und bauen Parallel-Strukturen auf. Für viele Menschen ist der Staat nicht existent oder wird, wenn überhaupt, mit Korruption assoziiert (wenn Bürger im täglichen Leben Schmiergelder bezahlen müssen), oder – noch schlimmer – mit Übergriffen von schlecht ausgebildeten Sicherheitskräften gegen Zivilisten. Die islamistischen Gruppen sind dagegen Teil eines Parallelstaates geworden. Sie zwingen der Bevölkerung ihre Regeln auf, bieten aber gleichzeitig auch Schutz gegen Übergriffe von staatlichen Sicherheitskräften und Banditen an und bieten oft zumindest ein Mindestmaß an Dienstleistungen an, wie etwa grundlegende Bildung oder Grundversorgung. Mehr noch: Sie heiraten in wichtige ethnische Gruppen ein und kooperieren mit diesen, um zum Beispiel Goldminen auszubeuten oder von Schmuggelrouten zu profitieren

Ulf Laessing
Foto: Zoubeir Souissi/KAS | Ulf Laessing ist Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Mali.

Der Sahel gerät zunehmend unter Kontrolle von Terrorgruppen. Ist Burkina Faso die Drehscheibe?

Die Dschihadisten kamen ursprünglich aus Mali und haben sich von dort in die Nachbarstaaten Niger und Burkina Faso ausgeweitet. Burkina Faso ist für Dschihadisten der Ausgangspunkt, um die reicheren Küstenländer wie die Elfenbeinküste, Benin oder Togo zu erreichen. Das Land liegt dafür strategisch günstig im Zentrum des Sahelraums mit Waldgebieten und Nationalparks an der südlichen Grenze, die schwer zu kontrollieren sind. Dort haben sich dschihadistische Gruppen eingenistet, um Angriffe jenseits der Grenze etwa in Togo oder Benin vorzunehmen. Ihnen geht es dabei nicht unbedingt um eine Kontrolle von Territorium, sondern darum, um am lukrativen Schmuggel von Konsumgütern oder Rohstoffen wie Gold zwischen Küste und Sahelraum teilzunehmen. Neben dem Süden haben die Extremisten sich auch im Dreiländereck im Norden festgesetzt.

In Deutschland wird bereits über den Rückzug der Bundeswehr aus Mali diskutiert. War es das mit den internationalen Missionen in der Sahel-Zone?

Deutschland engagiert sich im Sahelraum aus Gründen der europäischen Solidarität und internationalen Verantwortung im Rahmen einer Blau-Helm-Mission der Vereinten Nationen und zweier Ausbildungsmissionen der Europäischen Union für die Streitkräfte und Polizei, deren Erfolge aber enttäuschend sind. Die malischen Sicherheitskräfte kämpfen mit strukturellen Problemen wie Korruption, schlechter Ausrüstung und mangelnder Motivation. Sie können keine Gebiete kontrollieren, die französische Truppen von Dschihadisten zurückerobern. Gehälter von Soldaten werden von Offizieren gestohlen. Auch der Erfolg anderer multilateraler Initiativen ist überschaubar. Die 2014 mit Hilfe von Frankreich und Deutschland gegründete G5-Sahel-Gruppe unternimmt grenzüberschreitende militärische Einsätze gegen Terroristen, ist nach Expertenmeinung aber ohne französische Hilfe kaum operationell.

"Es spricht viel dafür, in Mali weiterhin präsent
zu sein. Ohne die Bundeswehr und die Blau-Helm-Truppe
der Vereinten Nationen wäre Mali noch instabiler"

Spannungen zwischen Frankreich und Mali wegen Bamakos Entscheidung, mit Russland eine neue Militärkooperation zu beginnen, haben die Diskussion angeheizt, ob der Einsatz fortgeführt werden sollte – dies ist eine Entscheidung des Bundestages. Es spricht dennoch viel dafür, in Mali weiterhin präsent zu sein. Ohne die Bundeswehr und die Blau-Helm-Truppe der Vereinten Nationen wäre Mali noch instabiler. Für Europa und Deutschland steht viel auf dem Spiel in der Region: Sollte sich die Instabilität weiter ausbreiten, drohen mehr unkontrollierte Migration und ein weiteres Ausbreiten von islamistischen Extremisten. Vor allem die südlich gelegenen Küstenstaaten des Golfs von Guineas sowie der Stabilitätsanker Senegal sind bereits von der Ausbreitung extremistischer Aktivitäten in den Grenzregionen zu den Sahel-Staaten betroffen. Zudem würde ein schneller Abzug nur Russland in die Hände spielen, das den Westen spalten will.

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