In Nigeria haben Dschihadisten laut der Menschenrechtsorganisation „Intersociety“ in den vergangenen 16 Jahren mehr als 19.000 christliche Kirchen angegriffen. Das geht aus dem aktualisierten Jahresbericht der „International Society for Civil Liberties and Rule of Law“ mit Sitz im nigerianischen Onitsha hervor. Die laut der NGO insgesamt 22 in Nigeria aktiven dschihadistischen Gruppierungen, darunter etwa die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, attackierten damit im Zeitraum von 2009 bis 2025 im Durchschnitt jeden Tag drei Kirchen.
Emeka Umeagbalasi, Direktor der International Society for Civil Liberties and Rule of Law (Intersociety), warnt vor einer gezielten Strategie zur Auslöschung der Christen in dem westafrikanischen Staat. „Wir haben den koordinierten und systematischen Mord an einer ganzen Volksgruppe dokumentiert. Es handelt sich eindeutig um einen Völkermord an Christen“, sagte er im Gespräch mit ACI Prensa, der spanischsprachigen Partneragentur von CNA Deutsch. Im Norden Nigerias würden etwa 40 Millionen Christen leben, die aus Angst vor Übergriffen ihren Glauben nur im Verborgenen praktizieren könnten. „Sie beten heimlich, meist nachts. Niemand wagt es, sich offen zum Christentum zu bekennen – wer es doch tut, riskiert, wegen angeblicher Blasphemie getötet zu werden“, warnt der Menschenrechtler.
Christliches Leben nahezu unmöglich
Eine der gravierendsten Erkenntnisse von Intersociety sei die „Mittäterschaft“ staatlicher Stellen. Diese sei Teil einer „expansiven Politik zur Islamisierung des Landes“, erklärte Umeagbalasi. Besonders während der Amtszeit von Präsident Muhammadu Buhari (2015 bis 2023), einem ehemaligen Militär und Angehörigen der Fulani-Ethnie, habe sich die Sicherheitslage massiv verschlechtert. „Die Dschihadisten haben sich der politischen Macht bemächtigt und verfolgen seither ein nationales Islamisierungsprojekt“, stellt Umeagbalasi fest. „Die katholische Kirche in Nigeria – auch die Bischöfe – tun, was sie können. Aber es gibt Grenzen, was öffentlich gesagt werden kann“, so der Experte. Umeagbalasi warnt: „Die Lage im Norden Nigerias macht ein christliches Leben dort nahezu unmöglich. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird Nigeria in 50 Jahren kein Land mit religiösem Pluralismus mehr sein.“
Ein besonders erschütterndes Beispiel sei die Massengeiselnahme im Bundesstaat Kaduna: „Mehr als 850 Christen werden weiterhin in mehreren Lagern in der Region Rijana festgehalten – und das in unmittelbarer Nähe einer Militärbasis.“ Zwischen Dezember und August 2025 seien über hundert Geiseln getötet worden, berichtet Umeagbalasi. Die Nigerianische Bischofskonferenz hatte im vergangenen März Zahlen veröffentlicht, wonach allein zwischen 2015 und März 2025 mindestens 145 katholische Priester entführt wurden. Mindestens elf von ihnen kamen ums Leben. Intersociety nennt sogar 250 angegriffene katholische Geistliche sowie 350 betroffene Geistliche anderer Konfessionen. Für die Entführungen verantwortlich gemacht werden neben Dschihadisten auch kriminelle Gruppen, die Priester verschleppen, um Lösegeld zu erpressen. Von den 237 Millionen Einwohnern Nigerias sind etwa je die Hälfte Christen und Muslime. Im Norden Nigerias, wo die Christen in der Minderheit sind, kommt es seit über 15 Jahren immer wieder zu terroristischen Übergriffen. Schienen Boko Haram und andere Gruppen zunächst militärisch zurückgedrängt, gewinnen sie in jüngster Zeit wieder an Boden.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.