„Nichts persönlich gegen Sie – aber wieso hat die SPD in den letzten 16 Jahren Regierungsbeteiligung nichts an den ganzen Problemen in Deutschland geändert?“ Das ist eine der ersten Fragen, die David Rausch, der Bundestagskandidat für die SPD im Münchner Osten an diesem Dienstagvormittag beantworten muss. Er lächelt konzentriert. Heute, gut sechs Wochen vor der Bundestagswahl, ist er zu Gast beim Sozialverband VdK Bogenhausen, zu Gespräch und Begegnung. Man möchte ihn kennenlernen, sich ein Bild von ihm machen.
Der kleine Gasthof ist von innen rot gestrichen, die Glasfenster reichen bis zum Boden. Knapp unter der Decke zieren ihn die mit altem Porzellan, Hufeisen und Holzhacken dekorierten Holzleisten. Der VdK (die Abkürzung steht für „Verband der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen“) lädt hier bis zur Wahl wöchentlich Bundestagskandidaten unterschiedlicher Parteien ein. Dabei verhalte der Verband sich neutral, erklärt Vorstand Georg Wilk zu Beginn.
Eine aussichtslose Kandidatur
„Ich nehme nichts persönlich. Die SPD musste ja mit den anderen Parteien im Bundestag koalieren. Da entstehen Interessenkonflikte und man muss Kompromisse eingehen, die das Problem nur halb lösen – oder gar nicht“, erwidert Rausch nun. Der 30-Jährige hat an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Politikwissenschaften studiert und engagiert sich seit 10 Jahren in der Politik. Er kandidiert zum ersten Mal für den Bundestag, sein Listenplatz ist recht aussichtslos, wie er selber sagt. Der Kellner trägt gerade Weißbier zu den Tischen, und Rausch seine Forderungen vor. Zunächst: Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließe er aus. Das sei überhaupt allgemeiner Konsens in der SPD. Der Mindestlohn müsse auf 15 Euro erhöht werden. Er habe in jüngeren Jahren als Erntehelfer die zu niedrige Vergütung am eigenen Leib zu spüren bekommen.
Weiter kommt er auf Sozialgelder zu sprechen. „Es gibt so viele Drückeberger, die zuhause sitzen und 1000 Euro vom Staat bekommen, ohne auch nur irgendetwas dafür zu tun“, empört sich nun ein älterer Herr im Wollpullover. Er und seine Frau hätten selber ein Unternehmen geführt. „Die Reichen, die haben ja auch hart für ihr Geld gearbeitet, das muss man einfach mal sagen“, fährt er fort. Rausch nickt beschwichtigend, und setzt zum Antworten an. „Es war doch jeder normale Mensch früher zufriedener als jetzt. Die Ampel hat darauf hingearbeitet, das Volk immer unzufriedener zu machen“, redet der Rentner sich langsam in Rage. „Das war bestimmt nicht der Hintergedanke der Ampel-Regierung. Doch dass soziale Spannungen zunehmen, halte ich für ein Naturgesetz“, antwortet Rausch. „Großflächige Reformen brauchen Zeit, manchmal 27 Jahre. Gerade deswegen muss man irgendwann anfangen. Und dazu gibt es keinen besseren Augenblick als die Gegenwart.“ Überhaupt wolle er Bürger aus unteren Einkommensklassen steuerlich stärker entlasten.
Die Zukunft wartet nicht
Die ungefähr 25 Politikinteressierten in dem Münchner Gasthof sind überwiegend im Rentenalter und Mitglieder des VdK. „Meine Wahl ist immer entweder taktisch oder inhaltlich. Dieses Mal wahrscheinlich taktisch. Ich schwanke bei jeder Wahl zwischen den Grünen und der SPD. Der Zusammenbruch der Ampel war tragisch. Wir wollen kein Hicken, kein Hacken, keinen Streit im Bundestag. Sondern einfach nur Politik“, erklärt eine Dame am Nachbartisch, wo sie mit ihren Freundinnen sitzt.
Der Bundestagskandidat lobt derweil das 49-Euro-Ticket. „Eine tolle Idee, ich weiß nicht, warum die nicht schon früher gekommen ist“, kommentiert er. „Aber“, ertönt direkt ein Einwand vom Ecktisch, mit welchen Geldern wolle man dann in bessere Infrastrukturen investieren, bei derart kostengünstigen Angeboten? „Da haben wir Forderungen für Investitionen“, erklärt Rausch. Auch in Digitalisierung, Klimaschutz, Bildung und Forschung wolle man mehr Geld stecken, denn, ganz wie es auch auf seinem Wahlflyer steht: Die Zukunft warte nicht!
Mit den Politikern will niemand tauschen
Apropos Zukunft, die Diskussion geht nun – mittlerweile häufen sich Zwischenrufe – zum Thema Kinder über. „Ich bin inzwischen Großvater, ich kümmere mich nicht mehr um das Kindergeld“, merkt ein fröhlicher Mann in den hinteren Reihen an. Rausch fordert ein kostenloses Mittagessen für jedes Schulkind – damit die Bildungschancen gleicher würden, argumentiert er. Denn gesunde Ernährung spiele beim Lernerfolg eine große Rolle. Passend dazu serviert der Kellner die am Fenstertisch bestellten Kalbfleischpflanzerl mit Kartoffelsalat. Auch müsse man mehr Betreuungsplätze in Krippen, Kindergärten und Schulen schaffen, um Familie und Beruf vereinbar zu machen, fährt der verheiratete und kinderlose SPD-Kandidat fort.
Ganz wichtig sei das für ausländische Kinder, die nur auf diesem Wege Deutsch lernten. „Aber da braucht es nochmal zusätzliche Förderungsprogramme. Sonst sprechen die Kinder mit zwölf noch immer kein Deutsch. Das klappt einfach nicht von selbst, weiß ich aus eigener Erfahrung“, merkt eine Frau an, die sich ehrenamtlich im Kindergarten als Vorleserin engagiert. „Oh doch, das klappt. Ich habe da ganz andere Erfahrungen gemacht. Sobald die Kinder in der Kita sind, fangen sie von selber an zu reden“, entgegnet ihre Sitznachbarin.
Zum Schluss – eine Bandbreite von Fragen und Vorwürfen sind im Laufe der Gesprächsrunde auf Rausch eingeprasselt – meldet sich noch eine Frau vom VdK. „Eines steht fest, niemand von uns möchte in der heutigen Zeit Politiker sein. Wir möchten wirklich nicht mit ihnen tauschen“, so ihr durch einstimmigen Applaus bestätigtes Schlusswort. „Politik lebt von der Diskussion. Danke für ihre Offenheit und ihr Interesse“, verabschiedet sich das SPD-Mitglied.
Das Erststimmen-Ergebnis im Wahlkreis München-Ost bei der letzten Bundestagswahl lautete: CSU: 31,7 Prozent, Grüne: 21,9 Prozent. SPD: 19,8 Prozent, FDP: 9,4 Prozent, AfD: 4,2 Prozent, Linke: 2,5 Prozent, Sonstige: 10,5 Prozent. Gewählt wurde 2021 als Direktkandidat Wolfgang Dieter Stefinger von der CSU.
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