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Gelegenheit macht Diebe

Das Krebsgeschwür der Korruption schwächt die Ukraine in ihrem Überlebenskampf.
Präsident Wolodymyr Selenskyi musste die Notbremse ziehen
Foto: IMAGO/Ukraine Presidency/Ukraine Presi (www.imago-images.de) | Selenskyj schuldet seinen westlichen Unterstützern und, mehr noch, seinen Landsleuten einen entschlossenen, transparenten und notfalls auch schonungslosen Kampf gegen jegliche Korruption.

Besser kann man es kaum auf den Punkt bringen: „Die Korruption ist die größte Verbündete Russlands in der Ukraine“, sagt Witali Schabunin von der NGO „Anti-Korruptions-Aktionszentrum“ in Kiew. Selbst in Friedenszeiten untergräbt jede schamlose Bereicherung und jede Umgehung der Rechtordnung durch Verantwortliche und Entscheidungsträger die Gesetzestreue und Moral einer Gesellschaft. In Kriegszeiten wirkt jeder Korruptionsfall toxisch auf die Gesellschaft.

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Seit elf Monaten sind es die Moral, die Opferbereitschaft und die Selbstlosigkeit breiter Schichten der ukrainischen Gesellschaft, die den entscheidenden Unterschied machen: Während sich die russische Invasionsarmee weitgehend aus unmotivierten Zwangsverpflichteten, moralfreien Strafgefangenen und zutiefst unmoralischen Söldnern zusammensetzt, wissen die Ukrainer ganz genau, wofür die kämpfen – für ihre Freiheit, ihre Heimat und das Überleben ihrer Familien.

Selenskyj musste die Notbremse ziehen

Dass einige hohe Politiker des eigenen Landes sich am Krieg, an der Versorgung der Armee oder den westlichen Unterstützungszahlungen bereicherten, ist für die leidgeprüfte, aber ausdauernde ukrainische Gesellschaft nicht nur ein Schlag in die Magengrube, sondern geradezu ein Dolchstoß in den Rücken. Viele einfache Menschen, die ihre Häuser und Dörfer, Freunde und Verwandte in diesem Krieg verloren haben, werden sich nun fragen, ob ihre eigene politische Kaste genauso verkommen und verwahrlost ist wie jene in Russland.

Präsident Selenskyj tat deshalb gut daran, rasch und entschlossen die Notbremse zu ziehen. Mehrere Gouverneure und Vizeminister, auch ranghohe Mitarbeiter im Präsidentenbüro wurden am Dienstag abgesetzt. Mit weiteren Amtsenthebungen und – so bleibt zu hoffen – regulären Gerichtsverfahren ist zu rechnen.

Keine Grauzone, kein Augenzwinkern

Gewiss, Korruption ist ein Krebsgeschwür, das alle ehemals kommunistisch regierten (und moralisch devastierten) Länder stark betrifft. Und im Schlachtengetümmel des Krieges ergeben sich für Entscheidungsträger mehr Gelegenheiten zur Bereicherung als in Friedenszeiten, während zugleich die Instrumente der Justiz geschwächt sind. Kriegszeiten sind zumeist Zeiten einer starken Exekutive.

Aber gerade im aktuellen Überlebenskampf kann sich der ukrainische Staat hier keine Grauzone und kein Augenzwinkern erlauben. Selenskyj schuldet seinen westlichen Unterstützern und, mehr noch, seinen Landsleuten einen entschlossenen, transparenten und notfalls auch schonungslosen Kampf gegen jegliche Korruption.

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Stephan Baier Russlands Krieg gegen die Ukraine Kriegszeiten

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