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Faruk Ajeti: „Kosovo ist ein multiethnischer Staat“

Faruk Ajeti, der Botschafter des Kosovo in Deutschland, antwortet auf Vorwürfe von Seiten orthodoxer Serben.
Kloster Decani
Foto: Imago Images/Narda Gongora | 2004 seien es Kosovo-Albaner und ehemalige UCK-Kämpfer gewesen, die das serbisch-orthodoxe Kloster Decani schützten, so Ajeti.

Herr Ajeti, zwischen 1998 und 2000 sollen 1.300 Serben im Kosovo gekidnappt worden sein. 386 Leichen seien seitdem gefunden und identifiziert worden, sagen Angehörige von verschwundenen Serben.

Nach UNHCR-Angaben wurden während des Kosovokrieges über 800.000 Kosovo-Albaner vom serbischer Regime vertrieben. 1998/99 wurden 13.518 Menschen getötet, darunter 10.794 Albaner und 2.197 Serben. Den Tod fanden auch 1.133 Kinder. Mehr als 20.000 Kosovo-Albanerinnen wurden vergewaltigt. 1.647 Personen sind noch vermisst. Über 200.000 staatliche und private Einrichtungen sowie 650 Dörfer wurden von serbischen Polizei- und Militäreinheiten zerstört. Von der serbischen Regierung wurde wenig getan, die Leichen von getöteten Kosovo-Albanern an die kosovarischen Behörden zurückzugeben. Es gibt auch vermisste Kosovo-Serben, ihre Zahl ist niedriger ist als bei den Kosovo-Albanern.

Es gibt Vorwürfe gegen die UCK, in denen von Organhandel die Rede ist.

"Bis jetzt wurde kein Beweis veröffentlicht,
dass ein UCK-Kämpfer mit Organhandel zu tun hatte"

Das ist ein Teil der serbischen und russischen Propaganda gegen den Kosovo. Die UCK hatte mit Organhandel nichts zu tun, sondern wurde gegründet als Reaktion auf die serbische Brutalität gegen die Kosovo-Albaner. Ihr Ziel war die Befreiung des Landes von Serbien. In Den Haag wurde ein Sondergericht etabliert, das solche Vorwürfe untersucht. Bis jetzt wurde kein Beweis veröffentlicht, dass ein UCK-Kämpfer mit Organhandel zu tun hatte.

Serbische Opferfamilien sagen, dass ihnen Akteneinsicht und Grabungen verweigert würden.

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Das stimmt nicht. Seit dem Ende des Kosovokrieges wurde das Land über den Internationalen Strafgerichtshof und andere Gerichte aufgefordert, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu untersuchen. Man geht allen Vorwürfen nach. Jede mögliche Menschenrechtsverletzung muss untersucht werden. Alle Opfer verdienen Gerechtigkeit unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft oder Hautfarbe, ihrer Religion oder Weltanschauung.

2004 wurden serbische Kirchen niedergebrannt und Friedhöfe devastiert. Wie konnte es dazu kommen?

Damals spielten albanische Kinder in Mitrovica Fußball, wurden aber von Serben attackiert. Aus Angst versuchten mehrere Kinder den Fluss zu überqueren, wobei sie ihr Leben verloren. Das war der Auslöser der Unruhen. Das zeigt, wie fragil die Lage damals war. Es stimmt, dass damals einige serbisch-orthodoxe Kirchen angegriffen wurden. Das hat das Ansehen des Kosovo international beschädigt. Die kosovarische Regierung hat Maßnahmen unternommen, alle zerstörten Kirchen zu renovieren. 2004 waren es Kosovo-Albaner und sogar ehemalige UCK-Kämpfer, die das Kloster Decani vor der aufgebrachten Menge schützten. Religiöse Einrichtungen niederzubrennen war nie Teil der albanischen Tradition. Diese inakzeptablen Aktionen wurden von frustrierten Gruppen durchgeführt.

Vertreter der serbischen Orthodoxie haben Angst, serbische Kulturgüter könnten albanisch uminterpretiert werden.

"Die Albaner haben das Christentum im römischen Reich
angenommen, lange bevor die Serben auf den Balkan kamen"

Bei den Verhandlungen 2006/07 wurde die Serbisch-Orthodoxe Kirche im Kosovo als solche anerkannt. Viele serbisch-orthodoxe Kirchen waren aber vor vielen Jahrhunderten albanisch-katholische Kirchen. Niemand spricht darüber. Die Albaner haben das Christentum im römischen Reich angenommen, lange bevor die Serben auf den Balkan kamen. Der Islam wurde von den Albanern erst unter den Osmanen übernommen. Abgesehen davon: Serbische Kulturgüter im Kosovo gehören den Einwohnern des Landes – nicht Serbiens oder Albaniens, sondern der Republik Kosovo.

Aus dem Kosovo geflohene Serben berichten, dass sie nicht in ihre Heimatorte zurückkehren können.

Das serbische Establishment manipuliert permanent Daten über die Präsenz der serbischen Gemeinschaft im Kosovo. Laut der letzten Volkszählung, die von den Kosovo-Albanern als auch von den Serben akzeptiert wurde, war die Rede von 180.000 Kosovo-Serben. Heute gibt es im Kosovo 120.000 Serben, was bedeutet, dass etwa 60.000 Serben den Kosovo verlassen haben – nicht 200.000 Serben. Zwei Drittel der Serben sind im Kosovo geblieben. Ein paar Tausend sind geflogen, weil viele Teil des Unterdrückungsapparats waren.

Viele Serben haben Angst vor dem Zusammenschluss zwischen Kosovo und Albanien zu einem „Großalbanien“.

Faruk Ajeti
Foto: Stephan Baier | Faruk Ajeti ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien.

Die Regierungen von Kosovo und Albanien haben mehrfach klargestellt, dass die Vereinigung beider Länder nur im Rahmen des EU-Beitritts stattfinden wird. Wenn wir alle in der EU sein werden, werden die Grenzen keine Rolle mehr spielen und wir werden Teil der europäischen Familie sein. Es gibt keinen Plan, einen mono-ethnischen Staat der Albaner oder „Großalbanien“ zu gründen. Das ist Teil der serbischen Propaganda.

Kann der Kosovo den Kosovo-Serben umfassende Volksgruppenrechte gewähren?

Kosovo ist ein multiethnischer Staat. Alle Minderheiten haben ihre Rechte, die in unserer Verfassung garantiert sind. 92 Prozent der Einwohner sind Albaner, fünf Prozent Serben, die übrigen Minderheiten. Alle Minderheiten sind im Parlament und in der Regierung vertreten. Albanisch und Serbisch sind offizielle Amtssprachen. Jeder darf seine Sprache verwenden. Der Kosovo hat vor kurzem den 14. Geburtstag seines Bestehens als unabhängiger Staat gefeiert und ist ein leuchtendes Beispiel der Demokratie auf dem Balkan geworden.

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