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Erdogan ist wieder da

Durch den Ukraine-Krieg und mit seiner Mekka-Pilgerfahrt manövriert sich der türkische Staatschef aus der außenpolitischen Sackgasse.
Türkischer Präsident besucht Saudi-Arabien
Foto: - (Saudi Press Agency) | Zehn Jahre lang waren Ankara und Riad feindliche Brüder. Jetzt aber reiste Erdogan ins Reich der Saudis, nicht bloß zur Pilgerfahrt nach Mekka, sondern um sich mit Kronprinz Mohammed bin Salman auszusöhnen.

Viele hatten Recep Tayyip Erdogan bereits abgeschrieben. Und das mit guten Argumenten: Seine neo-osmanische Außenpolitik scheiterte in mehreren Etappen; vom Versöhnungskurs seiner Anfangsjahre gegenüber Griechenland, Armenien und Israel ist nichts mehr übrig; im Arabischen Frühling setzte er auf jedes falsche Pferd. Am Ende versenkte Erdogan auch noch, was ihn im eigenen Land populär gemacht hatte: das kleine türkische Wirtschaftswunder. Es war ja weniger die ideologische Geschichtsklitterung Erdogans als vielmehr der ab 2003 langsam einsetzende Wirtschaftsaufschwung, der der AKP so viele Wahlsiege bescherte.

Die Türkei hat sich außenpolitisch weitgehend isoliert

Alles passé und vorbei. Die Türkei hat sich außenpolitisch weitgehend isoliert, die Nachbarschaftsbeziehungen versenkt, die EU-Beitrittsverhandlungen völlig vermasselt und dann auch noch ihre Währung an die Wand gefahren. Alles deutete darauf hin, dass Erdogan gerade dabei sei, das allerletzte Kapitel seiner politischen Biografie zu schreiben. Doch abschreiben sollte man den starken Mann vom Bosporus noch nicht.
Erdogan ist wieder da. Er mischt außenpolitisch wieder mit. Zunächst gelang ihm, woran sich viele andere – zuletzt UN-Generalsekretär António Guterres – die Zähne ausbissen: Die Türkei etablierte das einzige direkte Gesprächsformat zwischen den Kriegsparteien Russland und Ukraine. Nur in der Türkei reden die Regierungen der beiden Staaten direkt miteinander, bislang ohne Ertrag, aber immerhin. Der Westen ist dafür ausgesprochen dankbar.

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Nun sprang Erdogan weit über seinen Schatten und reiste nach Saudi-Arabien. Das Verhältnis zwischen den beiden so unterschiedlichen sunnitischen Regionalmächten war nicht erst seit dem brutalen Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul vergiftet. Bereits im Arabischen Frühling 2011 gerieten Ankara und Riad aneinander. Erdogan setzte damals auf den von unten erzwungenen Wandel, wollte sich – biografisch erklärbar – gar zur Leitfigur der arabischen Straße aufschwingen, unterstützte nach Kräften die Herrschaft der Muslimbruderschaft in Ägypten mit ihrem Präsidenten Mohammed Mursi. Die Saudis indessen bekamen angesichts der Revolten ringsum kalte Füße, stachelten – nicht nur mit Worten, sondern auch finanziell – die ägyptischen Militärs an, das Experiment Mursi rasch und radikal zu beenden.

Mehr als eine Pilgerfahrt nach Mekka

Zehn Jahre lang waren Ankara und Riad feindliche Brüder, konnten das Sündenregister des jeweils anderen rauf- und runterbeten. Jetzt aber reiste Erdogan ins Reich der Saudis, nicht bloß zur Pilgerfahrt nach Mekka, sondern um sich mit Kronprinz Mohammed bin Salman auszusöhnen. Erdogan braucht diese Allianz, weil die Türen zur Europäischen Union fest verschlossen sind. Vor allem aber, weil er die darniederliegende türkische Wirtschaft wiederbeleben muss, wenn er die Macht im eigenen Land nicht verlieren will. Und das hat für ihn weiterhin allerhöchste Priorität.

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Stephan Baier António Guterres Jamal Khashoggi Mohammed Mursi Mohammed bin Salman Recep Tayyip Erdoğan

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