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Ein verspäteter Anruf aus Peking

Das Telefongespräch zwischen Xi Jinping und Wolodymyr Selenskyj kann nur ein Anfang sein.
Wolodymyr Selenskyj und Xi Jinping
Foto: Juilen De Rosa (Pool AFP/AP; Xinhua via AP) | Erstmals seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine haben Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Telefongespräch geführt.

Ganze 14 Monate ist es bereits her, dass Russland die Ukraine überfiel – und in all der Zeit hielt es das dem russischen Aggressor politisch und ökonomisch nahestehende China nicht für nötig, mit dem überfallenen Land beziehungsweise dessen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi in direkten Kontakt zu treten.

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Zumindest bis vergangenen Mittwoch. Denn erstmals seit Beginn der russischen Invasion hat Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping nun doch noch mit dem ukrainischen Präsidenten gesprochen. Dieser beeilte sich auch umgehend, das Telefonat auf Twitter als „bedeutungsvoll“ zu bezeichnen - zudem setze es „einen starken Impuls für die Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen“. Doch zum Vergleich: Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 sprach Xi bereits fünfmal mit dem russischen Präsidenten – und Anfang 2023 absolvierte er in Russland sogar einen pompösen Staatsbesuch. Vor allem der Blick auf die zukünftigen Beziehungen zur Europäischen Union und die gegenwärtige, sich hinziehende militärische Hängepartie in der Ukraine (inklusive eines ausbleibenden russischen Sieges) dürfte Xi zum Umdenken gezwungen haben.

Viel Rhetorik und wenige Ergebnisse

Immerhin zwei Ergebnisse konnte das Gespräch der beiden Staatsoberhäupter produzieren: Einerseits wird die chinesische Regierung einen Sondergesandten für eurasische Angelegenheiten in die Ukraine schicken, damit dieser dort Gespräche für eine politische Lösung der Krise führt. Zudem werde Peking humanitäre Hilfe nach Kiew entsenden – das erste Mal, dass China dies in einem europäischen Land tut.

Der Rest des Gesprächs war jedoch durch die übliche chinesische Rhetorik geprägt: Xi Jinping versprach, dass man sich für baldige Friedensgespräche einsetze und „keine Partei“ in dem Konflikt sei – ein angesichts der nach außen zur Schau gestellten „grenzenlosen Freundschaft“ zu Russland vonseiten Chinas stark zu bezweifelndes Bekenntnis. Der Staatschef warnte auch erneut vor einer nuklearen Eskalation: „Es gibt keine Gewinner in einem Atomkrieg“ – dabei ist es gerade Wladimir Putin, der gemeinsam mit seinen Helfershelfern immer wieder auf das Kokettieren mit einem atomaren Erstschlag setzt.

Ein gutes Verhältnis zu Putins Spießgesellen aufbauen

Klar ist: Im Vergleich zu manch anderen Gesprächen gerade mit westlichen Verbündeten gab sich Selenskyj im Anschluss an das Telefonat mit Xi Jinping nach außen hin zufrieden. Denn in der Tat musste der chinesische Machthaber eine geschlagene Stunde hinweg sich von seinem ukrainischen Amtskollegen all die Verbrechen schildern lassen, die Chinas enger Partner Russland auch dank Rückendeckung Pekings in der Ukraine verübt – und wird nun der verkündeten Überparteilichkeit Chinas im Ukraine-Krieg Taten folgen lassen müssen.

Xi wiederum versucht dank des Telefonats mit Selenskyi außenpolitische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, die China aufgrund seiner Nibelungentreue zu Russland vor allem aus Sicht von USA und EU eingebüßt hat. Chinas Staatschef weiß: Wer sich mit Kiew gut stellt, stellt sich womöglich damit nicht automatisch mit Washington, wohl aber auch mit Brüssel gut. Und alleine die Tatsache, dass demnächst chinesische „Helfer“ in die Ukraine einreisen werden und damit das Reich der Mitte nunmehr offiziell seinen Fuß in den Osten Europas setzen wird, wäre noch vor wenigen Jahren vollkommen undenkbar gewesen.

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