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Ein selbstbewusster Christsozialer

Sebastian Kurz hat mit klaren Positionierungen seiner Partei zum Sieg verholfen, und löst sonderbare Aggressionen aus. Von Stephan Baier
Sebastian Kurz bei der Elefantenrunde  in Wien
Foto: dpa | Auf die Frage „Brauchen wir eine christliche Leitkultur?“ hoben in der TV-Debatte nur ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache das Ja-Schild.

Der österreichische Wahlsieger löst erstaunliche Aggressionen aus: Das Satire-Magazin „Titanic“ unterbot sein traditionell niedriges Niveau und titelte am Montag „Endlich möglich: Baby-Hitler töten!“ – illustriert mit einem Foto von Sebastian Kurz, ein Fadenkreuz in der Herzgegend. Und „Radio Vatikan“ – obgleich gewöhnlich am entgegengesetzten Ende des Seriositätsspektrums angesiedelt – titelte: „Österreich: Politischer Rechtsruck ist schwierig für Christen“. Hier erklärte der katholische Publizist Heinz Nußbaumer, „dass gerade bei jenen beiden Parteien, deren Führungen sich immer als besonders christliche präsentiert haben“ (gemeint sind ÖVP und FPÖ, Anm.), der Glaube lediglich als „Zeichen unserer Kultur und Identität“ stand, christliche Inhalte jedoch fehlten. Der emeritierte Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner hatte bereits vor der Wahl orakelt: „Nicht wenige Christen werden diesmal politisch heimatlos.“

Nicht wenige Christen dürften ganz anders empfunden haben, denn die Wahlbeteiligung lag mit knapp 80 Prozent deutlich über 2013, die Zustimmung für Sebastian Kurz und seine „Neue Volkspartei“ mit 31,5 Prozent um 7,5 Prozent höher als bei der letzten Nationalratswahl. Dass zugleich die FPÖ um rund 5,5 Prozent auf gut 26 Prozent zulegte, spricht ebenso eine klare Sprache. Wer ist nun dieser 31-jährige Sebastian Kurz, der ein deutsches Satire-Magazin zu einem Mordaufruf inspiriert, und der seiner zu Jahresbeginn in den Umfragen auf dem dritten Platz dümpelnden Partei einen so fulminanten Wahlsieg bescherte?

Aufgewachsen im Wiener Arbeiterbezirk Meidling kommt Kurz aus einem Elternhaus, in dem Glaube und christliche Werte nach seiner Aussage eine große Rolle spielten. Die zeitweise Arbeitslosigkeit des Vaters und die einfachen Verhältnisse erwähnte Kurz im Wahlkampf stets, wenn ihm SPÖ-Konkurrent Christian Kern vorwarf, ein Kandidat der Millionäre und der Großkonzerne zu sein. Kurz' politischen Einstieg fanden nicht alle wirklich geglückt: Als Landeschef der Jungen ÖVP tourte er 2010 mit einem „Geilomobil“ herum und schaffte in einem PR-Video folgenden Satz: „Schwarz macht geile Politik, Schwarz macht geile Parties und Schwarz macht Wien geil.“ Seriöser legte er es ab Juni 2011 an, als der damalige ÖVP-Chef, Vizekanzler Michael Spindelegger, den 24-Jährigen als Integrationsstaatssekretär in die Bundesregierung holte. Anfangs mit Spott und Häme bedacht, eroberte sich Kurz mit geschliffener Rhetorik und effizienter Arbeit rasch Ansehen in Parlament und Medien.

Die Nationalratswahl 2013 brachte für beide Regierungsparteien Einbußen, doch Kurz stieg zum Außen- und Europaminister auf. Die Integrationsagenden nahm er aus dem Innenministerium mit. Nun bespielte er die europäische und internationale Bühne, setzte sich etwa für die verfolgten Christen ein. Ohne das in diesen Jahren gewachsene Netzwerk hätte er die Schließung der Balkanroute im Frühjahr 2016 niemals durchsetzen können, betonte Kurz im Wahlkampf immer wieder. Ein geschickter Netzwerker war Sebastian Kurz auch im eigenen Land. Die Wende von der „Willkommenskultur“ zur restriktiven Migrationspolitik, die Verschärfung des Islamgesetzes, das neue Integrationsgesetz und das Verbot der Vollverschleierung tragen maßgeblich seine Handschrift.

Als sich in der ÖVP abzeichnete, dass der farblose Vizekanzler Reinhold Mitterlehner gegen das Macher-Image des neuen SPÖ-Kanzlers Kern wie gegen Langzeitoppositionsführer Heinz-Christian Strache keine Chance haben würde, stieg Kurz zum Hoffnungsträger der ÖVP auf. Mitterlehner warf – zermürbt von den Intrigen in Partei und Regierung – am 10. Mai das Handtuch.

Kurz diktierte der krisengeschüttelten ÖVP seine Bedingungen, wollte eine Generalvollmacht für den personellen wie strukturellen Umbau und die inhaltliche Ausrichtung. Die ÖVP-Granden unterwarfen sich dem Jungstar – der Ausgang des Experiments ist seit Sonntag bekannt. Der Wahlsieg hat Sebastian Kurz nicht nur den Auftrag zur Regierungsbildung in die Hände gespielt, sondern auch seine Macht in der traditionell heterogenen ÖVP gefestigt. Weniger als seine glücklosen Vorgänger muss er nun auf die diversen Interessen von Ländergruppen und Bünden Rücksicht nehmen. Aber er muss den wirtschaftsfreundlichen, den liberalen und den christlichsozialen Flügel im Auge behalten.

Kurz selbst gilt – wie sein einstiger Mentor Spindelegger – als betont Christlichsozialer. Als in einer TV-Debatte am 24. September die Spitzenkandidaten gefragt wurden, ob Österreich „eine christliche Leitkultur“ brauche, da hoben nur Kurz und Strache das Ja-Schild, alle anderen optierten für Nein. Kurz erklärte damals: „Was hat Europa geprägt, was hat Österreich geprägt? Wir haben eine christlich-jüdische und durch die Aufklärung geprägte Kultur – und diese gilt es zu schützen, insbesondere in einer Zeit, wo mehr und mehr Zuwanderung stattfindet.“ Er bekannte sich zu einem „Verfassungspatriotismus“ und dazu, „unsere Grundregeln des Zusammenlebens aufrechtzuerhalten und unsere Werte zu stärken“. Im Wahlkampf ließ der 31-Jährige nicht nur den zwei Jahrzehnte älteren Kanzler Kern, sondern auch den seit zwölf Jahren im Oppositionsmodus fahrenden FPÖ-Chef Strache alt aussehen. Dass beide sich vor allem auf Sebastian Kurz einschossen, mag damit zu tun haben. Kern warf Kurz vor, die Regierungsarbeit bewusst sabotiert und Neuwahlen willkürlich vom Zaun gebrochen zu haben; Strache warf Kurz vor, als „Spätzünder“ die langjährigen FPÖ-Positionen plagiiert zu haben.

Tatsächlich sind sich die Positionen von FPÖ und ÖVP vor allem in der Gesellschaftspolitik nahe: Beide Parteien bekennen sich zur christlich geprägten Kultur Österreichs, verteidigen das Kreuz im öffentlichen Raum sowie den konfessionellen Religionsunterricht. Beide warnen vor einer Ausbreitung des politischen Islam in Kindergärten, Schulen und Moscheen. Beide Parteien sehen die Ehe als Bund von Mann und Frau, lehnen die „Ehe für alle“ ab und wollen die Familien steuerlich entlasten. Beide orten Reparaturbedarf bei der Fristenregelung, während alle anderen Parlamentsparteien geradezu euphorische Anhänger der Abtreibung sind.

Sein Privatleben hält Sebastian Kurz aus der Öffentlichkeit weitgehend heraus: Der bisher kinderlose Außenminister lebt, noch ohne Trauschein, mit seiner Jugendliebe Susanne Thier zusammen, aber „Homestorys“ schließt er aus. Dass er am Wahltag die Messe besuchte, ist bekannt, aber ob Sebastian Kurz ein eifriger Kirchgeher ist, weniger. Jedenfalls finden sich in seinem engsten Beraterkreis Katholiken, die nicht nur ihren Glauben sehr ernst nehmen, sondern auch für eine dezidiert christliche Politik stehen. „Christen sollten selbstbewusst auftreten“, meinte Kurz lange vor dem Wahlkampf im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung „Sonntag“. Begründung: Österreich habe „eine lange christliche Tradition, und zu der sollten wir auch stehen“.

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