Vor zwei Wochen habe ich in der U-Bahn ein Mädchen mit ihrer Mutter getroffen. Das Mädchen hat sich mir gegenüber hingesetzt, mit der Hand auf den freien Platz neben sich geklopft und lautstark „Mama, du sitzt hier“ durch die U-Bahn gerufen. Dann hat sie ihre Mutter ausgefragt, wann sie denn endlich Pizza essen gehen: Am Montag oder am Dienstag? Langsam haben sich einige Fahrgäste zu ihr umgedreht – viele erstaunt, manche neugierig, einige genervt. Das Mädchen hat sich daraufhin noch näher an seine Mutter geschmiegt, die ihr zugeflüstert hat, ein bisschen leiser zu reden. Ungefähr neun Jahre alt dürfte sie gewesen sein. Sie hatte das Downsyndrom.
Mit ihrer unbefangenen und unschuldigen Art brachte sie einen Schwung Leben in die U-Bahn. Dort, wo die Menschen sich größtenteils schweigend ihren Handys widmen. Generell ist es schon länger her gewesen, dass ich einen so fröhlichen und unverstellten Menschen wie dieses Mädchen getroffen hatte. Menschen mit Trisomie 21 kommen in Deutschland immer seltener zur Welt, denn: 90 bis 95 Prozent der Mütter von Kindern mit Downsyndrom treiben sie traurigerweise vor ihrer Geburt ab, so schätzt das deutsche Downsyndrom-Infocenter. Und das, obwohl jeder Mensch Ebenbild Gottes ist und einen Wert hat, der „nicht von dem abhängt, was er hat, oder von seinen Fähigkeiten“, wie Papst Franziskus es vor einigen Jahren bei einer Begegnung mit Kindern mit Behinderung zum Ausdruck brachte.
Mehr als die Hälfte europäischer Kinder mit Trisomie 21 stirbt im Mutterleib
Genauere Angaben oder Statistiken dazu, wieviel Menschen mit Downsyndrom in Deutschland lebten, gebe es nicht. Lediglich in Sachsen-Anhalt und Mainz habe man Zahlen gesammelt, aus denen folgende Hochrechnungen für die ganze Bundesrepublik resultierten: Durchschnittlich gebe es pro 800 Geburten ein Kind mit Downsyndrom. Bei knappen 700.000 Geburten jährlich ergibt das ungefähr 875 Babys mit Trisomie 21. Insgesamt lebten in Deutschland 30.000 bis 50.000 Staatsbürger, die von der Krankheit betroffen seien. Zum Vergleich: In Europa werden pro Jahr – bei rund 3,7 Millionen Geburten – durchschnittlich 8.031 Kinder mit Trisomie 21 geboren. Ohne die schmerzlich hohen Abtreibungsziffern – 54 Prozent aller Kinder mit Trisomie sterben im Mutterleib - würden jährlich 17.331 von ihnen zur Welt kommen.
Dänemark könnte „bald ohne Menschen mit Trisomie“ sein, schreiben unterschiedliche Medien. Es klingt beängstigend, als wären diese Menschen unerwünscht. Wer sind wir, dass wir über Leben und Tod unseres Nächsten entscheiden? In dem nordeuropäischen Land sind 2019 lediglich 18 Kinder mit Downsyndrom zur Welt gekommen, 2017 waren es noch weniger. Seit 2004 bietet das Land Schwangeren die Möglichkeit eines pränatalen Downsyndrom-Screenings an. Weltweit ist es darin Vorreiter gewesen. 97 Prozent der Mütter führten den Test durch. Einige würden ihren Nachwuchs erst dann im Familien- und Freundeskreis ankündigen, wenn das Kind keine Auffälligkeiten zeige. Der „Spiegel“, von dem diese Informationen stammen, formuliert es erschreckend anders: „97 Prozent der Schwangeren in dem Land können eine freie Entscheidung darüber treffen, ob sie ein behindertes Kind möchten oder nicht.“ Ergebe der Test, das Kind habe höchstwahrscheinlich Trisomie 21, würden 95 Prozent der Eltern es vor der Geburt umbringen. Dabei, so berichtet der „Spiegel“ weiter, seien die staatlichen Förderungsmittel und die medizinische Versorgung von Menschen mit dieser Krankheit in Dänemark besser denn je.
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