Mit Loyalität beziehungsweise dem Mangel selbiger kennt sich Donald Trump bestens aus: Als Unternehmer zählten über Jahre gewachsene persönliche Beziehungen kaum, wenn es galt, vermeintliche Sündenböcke für wirtschaftliche Krisen und Misserfolge zu finden. Als Moderator der Reality-Show „The Apprentice“ genoss es Trump über 14 Staffeln, Kandidaten mit den Worten „You’re fired“ nach Hause zu schicken. Und als US-Präsident war der Verschleiß engster Regierungsmitarbeiter so hoch wie bei kaum einem anderen Amtsinhaber.
Gehen die Evangelikalen grundsätzlich auf Distanz?
Insofern müsste der 76-Jährige wissen, wovon er spricht, wenn er nun führenden Evangelikalen im Gespräch mit einem US-Sender „Illoyalität“ vorwirft. Und tatsächlich: Anders als noch in den Jahren 2016 und 2020 zögern viele einflussreiche evangelikale Geistliche, sich hinter Trump zu stellen. Dieser reagiert darauf halb beleidigt, halb trotzig: Schließlich habe er doch so viel für den Lebensschutz getan – ein Kernanliegen der Evangelikalen – wie kein anderer Präsident. Sollen sie sich doch von ihm abwenden, letztendlich sei es ihm auch egal, so Trump.
Ob es Trump tatsächlich egal ist oder nicht, sei dahingestellt. Klar ist, es sollte ihm nicht egal sein. Zwei Gründe sind für das abwartende Verhalten prominenter Evangelikaler denkbar: Entweder, sie hegen erhebliche Zweifel daran, dass die Republikaner Trump abermals zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren und wollen sich so früh noch nicht festlegen. Oder sie gehen grundsätzlich auf Distanz zum Ex-Präsidenten.
Ein Drittel der Stimmen stammte von Evangelikalen
Das wäre wesentlich fataler für Trump. Denn anders als dessen Verhältnis zu den Evangelikalen zeichnet sich die breite Basis der evangelikalen Gläubigen in den USA durch große Loyalität zu ihren hochrangigen Vertretern, Pastoren und Kirchenführern aus. Wenn letztere nicht ein weiteres Mal auf den Trump-Zug aufspringen, dürfte dies die Masse der Evangelikalen ebenfalls nicht tun.
Welche Auswirkungen das auf die Chancen Trumps 2024 hat, wird mit Blick auf die Vergangenheit deutlich. 77 Prozent der Evangelikalen stimmten 2016 für ihn, 2020 sogar 84 Prozent. Noch eine andere Zahl: Ein Drittel aller Stimmen für Trump kamen von weißen Evangelikalen – in beiden Wahlen. Stellt sich dieser Block nicht mehr geschlossen hinter ihn, dann hat Trump ein Problem. Die entscheidende Phase liegt in nicht mehr allzu ferner Zukunft, die parteiinternen Vorwahlen beginnen in einem Jahr. Die Republikaner sollten sich gut überlegen, wen sie dann auf ihren Schild heben.
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