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Essverhalten: Von Großmüttern lernen

Ideologische Schärfe die Debatte. Dabei liegt die Lösung nicht in der abstrakten Theorie, sondern in der Rückbesinnung auf die praktischen Grundsätze des Hauswirtschaftens. Wir müssen von unseren Großmüttern lernen.
Einkaufstasche
Foto: (358724959) | Wenn eine von drei Einkaufstaschen im Müll landet, belastet das nicht nur den Geldbeutel.

Es schmeckt uns nicht, wenn die Politik in die Küche hineinregieren will. So einleuchtend die Fakten auch sind, die deutlich machen, dass sich unser Essverhalten ändern sollte, das Kochbuch ist kein Parteiprogramm, der Esstisch ein geschützter Raum, der Inbegriff des Privaten. Verbots- und Verzichtsforderungen lassen sich gut in den Medien inszenieren und gehen vielleicht bei Twitter viral, aber genau das ist eben auch das Problem: Statt hochideologisierte Debatten zu führen und Kulturkämpfe um die Oberhoheit über die Speisekarte auszutragen, liegt ein Rezept auf der Hand, über das viel zu wenig nachgedacht wird: Ein nachhaltiger Lebensstil braucht vor allem einen klugen Hausfrauenverstand.

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Kochen mit Zeit

Der Lebensstil der Zukunft liegt in der Vergangenheit. Wir können von unseren Großmüttern lernen. Und zwar in dreierlei Hinsicht, einmal mit Blick auf einen wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln, dann in der Frage, wie sich über den Speiseplan der Unterschied zwischen Alltag und Festtag herausstellen lässt und schließlich: Kochen mit Liebe heißt kochen mit Zeit.

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Pro Kopf werden jedes Jahr in Deutschland etwa 75 Kilogramm an Lebensmitteln weggeworfen. So werden rund zwölf Millionen Lebensmittel im Jahr in Deutschland verschwendet. Bei solchen Zahlen würden unsere Großmütter die Nase rümpfen. Nicht nur weil sie zu der Generation gehörten, die selbst noch Hunger erlebt hat und deswegen wussten, dass es keineswegs selbstverständlich ist, im Supermarkt aus dem Vollen schöpfen zu können. Sondern auch, weil so ein verschwenderisches Kaufverhalten sich einfach nicht rechnet. Die Hausfrau folgt der Vetomacht des Portemonnaies.

Wegwerfen belastet Geldbeutel

Wenn von drei Einkaufstüten, die man nach Hause mitbringt, im Schnitt eine im Container landet, dann spürt man das vor allem im Geldbeutel. Und das schmerzt ganz konkret, mehr als jeder abstrakte Hinweis auf vermeintliche globale Auswirkungen. Unsere Großmütter haben ein Haushaltsbuch geführt: Wer eine Liste mit seinen Einkäufen und den dazugehörigen Ausgaben aufstellt, verliert nicht so leicht den Überblick. Oma wusste, wo es an Vorräten in der Speisekammer fehlt. Sie schaut so auch schon planerisch auf die Woche.

Das hat Konsequenzen für den Umgang mit Nahrungsresten. Statt im Mülleimer zu landen, können sie am nächsten Tag noch für andere Gerichte verarbeitet werden. Das erste Omi-Gebot also lautet: Plane, was du kaufst. Behalte den Überblick. Dein Geldbeutel wird es dir danken.

Akzente setzen

Beim Essen geht es nicht nur darum, satt zu werden. Der Speiseplan bietet auch die Möglichkeit, Akzente zu setzen und so den verschiedenen Tagen einen besonderen Charakter zu verleihen. Schon Josef Pieper schrieb in seiner "Theorie des Festes": "Ein Fest feiern heißt: die immer schon alle Tage vollzogene Gutheißung der Welt aus besonderem Anlass auf unalltägliche Weise zu begehen." Unsere Großmütter waren natürlich keine Philosophen, aber ihnen war ganz intuitiv klar, Alltag ist nicht Festtag, wenn aber ein Fest ansteht, dann muss es eben auf "unalltägliche Weise" gefeiert werden. Sonst wäre es kein Fest.

Das klassische Beispiel: der Sonntagsbraten. Stünde der auch von Montag bis Freitag auf dem Tisch, gäbe es keine Option mehr, den Sonntag durch ein besonderes Gericht herauszustellen. Uns Katholiken hilft hier ein Blick in das Kirchenjahr: Warum nicht Hochfeste auch dadurch aus dem Alltagstrott hervorheben, indem etwas Besonderes auf den Tisch kommt? Und damit sind wir beim zweiten Omi-Gebot: Wenn du nicht willst, dass nicht jeder Tag wie der andere ist, setze Akzente in der Küche. An Feiertagen kommt ein Festtagsessen auf den Tisch, sonst nicht.

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Nahrungsversorgung ausgelagert

Und dann gibt es schließlich den Faktor Zeit: Hier zeigt sich der größte Unterschied zur Lebenswelt unserer Großmütter, die in der Regel Vollzeit-Hausfrauen waren. Heute fehlt es in Familien vielfach an der Person, die sich konzentriert und hauptsächlich um die Haushaltsführung kümmern kann. Die Nahrungsversorgung der Familie wird deswegen oft ausgelagert auf die Gastronomie oder die vielen Lieferdienste. Sicher gibt es hier keine Patentlösung. Und auch die Probleme, die viele Familien dazu zwingen, dass beide Elternteile arbeiten müssen und deswegen es an Zeit für den Haushalt fehlt, lassen sich nicht durch wohlfeile Appelle aus der Welt schaffen.

Kleine Schritte

Aber auch hier können zumindest durch kleine Schritte Fortschritte erzeugt werden: Das gemeinsame Essen und auch die Zubereitung kann zum Familienereignis werden. Gemeinsam kann darüber nachgedacht werden, was in der Woche gekocht werden soll, der Einkauf auf verschiedene Schultern verteilt, die Kinder mit kleinen Aufgaben am Kochen beteiligt werden. Der Effekt, der so entsteht, führt zum dritten und vielleicht wichtigsten Omi-Gebot: Die Nahrungszubereitung ist keine bloße Pflichtübung. Koche mit Liebe und nimm dir dafür Zeit.

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