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Die CDU tötet ihre Propheten

Der Rückzug von Andreas Rödder aus der CDU-Grundwertekommission wirft ein schlechtes Licht auf den strategischen Durchblick der Union.
Andreas Rödder bei der Vorstellung der neuen Denkfabrik "R21"
Foto: via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Andreas Rödder bei der Vorstellung des Think-Tanks "R21". Für seine hellsichtige Analyse ist die CDU scheinbar noch nicht bereit

Die Christdemokraten haben ein Problem: Sie sind „eingeklemmt zwischen den Grünen, die eine kulturelle Hegemonie besitzen, und der AfD, die die CDU beseitigen will. Kurz: die Grünen sind inhaltlich der Hauptgegner, die AfD der Feind. Wenn die CDU nicht untergehen will, muss sie sich zwischen diesen beiden Polen behaupten.“ Soweit Andreas Rödder – bis vor wenigen Tagen Chef der CDU-Grundwertekommission. Nun ist Rödder, der im Ruf steht, einer der wenigen CDU-Intellektuellen zu sein, zurückgetreten. Der Grund: Das oben zitierte Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Stern“.

Prominente Stimmen aus dem Parteivorstand hatten Anstoß daran genommen, dass Rödder mit Blick auf gemeinsame Abstimmungen der CDU mit der AfD in Thüringen dafür geworben hatte, eigene Anträge im Sinne des zitierten „Behauptens“ ohne Rücksicht darauf einzubringen, wer noch mitstimmt. Rödder hatte auch gesagt, eine Minderheitsregierung der CDU etwa nach der nächsten Wahl in Thüringen sei denkbar, solange sie sich ihre Mehrheiten immer neu suchen müsse: „Problematisch wäre es erst, wenn sich die CDU offiziell von der AfD tolerieren ließe und dafür Absprachen eingehen würde. Das wäre eine rote Linie.“ Für diese Aussage hagelte es Kritik. Auch CDU-Chef Merz sprach von einem „absoluten No-Go“. Für Rödder zu viel: Vor der Aussicht, sich zwischen seiner „intellektuellen Freiheit und der Leitung der Grundwertekommission entscheiden“ zu müssen, strich der Historiker lieber die Segel.

Rödder hat offensichtlich Recht

Nun ist es sicherlich schon grundsätzlich schlecht für die innerparteiliche Diskussionskultur, Denkern, die sich etwas abseits des allgemein akzeptierten Konsenses bewegen, die Unterstützung zu versagen. Problematisch ist jedoch nicht zuerst, dass hier jemand mit unkonventionellen Ideen durch die Hintertür verabschiedet wird. Ganz im Gegenteil: Die Misere besteht darin, dass Rödder so offensichtlich Recht hat, und ihn trotzdem niemand verteidigen will. Denn tatsächlich ist die Minderheitsregierung vor allem im Osten mittelfristig absehbar die beste Option, die die CDU haben wird, wenn sie nicht von der AfD „beseitigt“ werden will. Beispiel Thüringen: Dort liegt die CDU in Wahlumfragen im Juli bei etwa 20 Prozent, die AfD bei 35. Die Linke von Ministerpräsident Ramelow kam ebenfalls auf etwa 20 Prozent, alle anderen Parteien gehen Richtung einstellig. Wenn die CDU die Option einer eigenen Minderheitenregierung ablehnt, muss sie entweder eine linke Minderheitsregierung tolerieren, oder mit der Linken (und Grünen und SPD) koalieren. Mit dieser Aussicht aber lässt sich kaum ein Wahlkampf bestreiten, weil ein Politikwechsel nicht glaubwürdig versprochen werden kann. Die Folge ist fast zwangsläufig ein stetig wachsender Zuspruch für die AfD.

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Unter diesem Problem leidet die CDU aber nicht nur in Thüringen, sondern absehbar auch auf Bundesebene. Dass die Union in Umfragen nicht wirklich von der massiven Unzufriedenheit mit der Ampel profitieren kann, liegt an ihrer geringen Glaubwürdigkeit als Oppositionskraft. Nicht nur hat die CDU in der Vergangenheit die Weichenstellungen etwa in Energie- und Migrationspolitik selbst verantwortet, die sich nun als problematisch erweisen. Auch gibt es keine wirkliche Perspektive eines Politikwechsels, wenn trotz struktureller Mitte-Rechts-Mehrheit (also einer Mehrheit für CDU, FDP und AfD) eine Koalition mit Grünen oder SPD ausgemachte Sache ist.

Es ist diese Gemengelage, die Rödder klar erkannt und benannt hat. Wenn ihn seine Partei nun nach dem Motto „kill the messenger“ (tötet den Boten) entsorgt, ist das weniger ein abstraktes Problem der Diskussionskultur als ein ganz konkretes Problem des strategischen Durchblicks. 

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