10 Jahre AfD

Die Heimstatt des Protests

Vor zehn Jahren wurde die „Alternative für Deutschland“ gegründet – und wurde nach den "Grünen" zu Deutschlands erfolgreichster neuer Partei. Wie kam es dazu?
AfD im Bundestag
Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa) | Trotz extremistischer Tendenzen ist die AfD bis auf Weiteres aus dem Bundestag nicht wegzudenken.

Seit der internationalen Finanzkrise von 2007/08 kritisierten Mitglieder von Union und FDP immer lauter, was für einen leichtfertigen Umgang nicht nur die Regierungen von Mittelmeerstaaten, sondern auch die deutsche Regierung mit der europäischen Währung pflegten – nämlich hinsichtlich ihrer Stabilität und drohender deutscher Haftungsrisiken. Das machte aber wenig Eindruck auf die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Also gründeten diese Kritiker vor zehn Jahren, genauer gesagt am 6. Februar 2013, eine neue Partei. Die sollte Deutschland Politikalternativen anbieten: Dass es solche gäbe, hatte die Kanzlerin da schon jahrelang verneint.

Wir erinnern uns: In den 1980er-Jahren wollte einst ein damaliger hessischer Ministerpräsident von der SPD den neuen grünen Rivalen mit „Dachlatten“ kommen. Das scheiterte. Im Falle der AfD hingegen wurde zur Kampfeslist, dass man der neuen Partei buchstäblich die „Nazi-Schelle“ umhängte. Das hat Folgen bis heute. Wann immer honorige Leute wie Bernd Lucke, Karl Adam, Frauke Petry, Hans-Olaf Henkel und Joachim Starbatty die Positionen ihrer Partei darlegten, wurde umsichtig-fies die folgende Argumentationskette um sie geschlungen: Wer gegen Deutschlands alternativlose Europolitik ist, bekämpft auch Deutschlands Europapolitik; das tun aber nur Nationalisten; die sind allesamt rechts, ja eigentlich rechtsextremistisch; und weil aus der Geschichte gelernt wurde, schon den Anfängen müsse man wehren, sei ein entschlossener Kampf gegen die AfD nun alternativlos.

Gern hörten Deutschlands wirklich Rechte davon, mit respektablen Akademikern aus den Reihen von FDP und CDU an der Spitze gäbe es nun auch für sie eine vorzeigbare Partei. Wie schön, nach langen Zeiten der dauerschmuddeligen NPD und DVU! Also strömten viele Rechte und ganz Rechte in die AfD, darunter nicht wenige Quertreiber und Querulanten, Angeber und politisch Gescheiterte. Der Parteigründer Lucke roch den Braten und mühte sich ab, dem Charakterwandel seiner Schöpfung durch problematische, gar üble Neumitglieder zu wehren. Das misslang, weil sehr viele auf eine neue Partei rechts der Union geradezu gewartet hatten. Die nämlich wollte schon jahrelang nur noch Leute aus der politischen Mitte an sich binden.

Viele Vernünftige sind in der AfD nun kaltgestellt

Bald schon verbreitete sich in der AfD ein neuer Ton: Lautstarker Protest führte zu raschem Wachstum. Solcher Erfolg riet deshalb zu noch schärferem Protestgehabe. Bald entstand emotionalisierender Streit über den sinnvollerweise zu steuernden Kurs der Partei. Dieser Streit dauert bis heute an. Inzwischen hat er nicht nur drei Parteivorsitzende verschlissen, sondern auch viele Vernünftige aus der AfD vertrieben oder in ihr kaltgestellt.

2013, kurz nach der Parteigründung, verfehlte man den Einzug in den Bundestag und in Hessens Landtag knapp. Im Folgejahr zog die AfD zwar ins Europäische Parlament und in die Landtage von Sachsen, Brandenburg und Thüringen ein. Doch anschließend erlahmte das öffentliche Interesse an ihr. Intern zerstritt sie sich. Das hätte es mit ihr dann auch sein können.

Doch im Winter 2014/15 geriet der AfD die bundesweite Reaktion auf Dresdens PEGIDA zum Mästungsprogramm. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ konnten, so hörte man allenthalben, bei gar nichts rechthaben. Weder gab es in Europa irgendwelche absehbaren Probleme mit sich politisierenden Muslimen, noch war vernünftigerweise zu befürchten, Deutschlands Offenheit für politisch Verfolgte könne je zu anderem führen als zur Dankbarkeit gegenüber unserem Land und zur raschen Integration der „neuen Deutschen“ in dessen Arbeitsgesellschaft. Das einzige Problem sei das Fehlen von Willkommenskultur.

Das bestritten die PEGIDA-Leute, und ihre polemischen Vorbeter taten das – mit bundesweiter Resonanz – erst recht. Bloß die AfD stimmte den PEGIDA-Positionen weitgehend zu. So wuchs zusammen, was sich unter gleichem Ausgrenzungsdruck rasch als zusammengehörig empfand. Die AfD wurde zu „PEGIDA im Parlament“, und PEGIDA zur „AfD auf der Straße“. Die Corona-Zeit samt der von ihr hervorgebrachten Protestbewegung erstickte anschließend Dresdens PEGIDA-Demos, die ohnehin nur noch Lokalfolklore waren. Doch ihr Tonfall lebt – gerade im Osten – auf vielen AfD-Kundgebungen weiter, und ebenso in Parlamentarierreden.

Dann kamen im Herbst 2015 zu Hunderttausenden nicht nur politisch verfolgte Frauen und Kinder nach Deutschland, sondern vor allem junge Männer. Viele davon stammten aus nordafrikanischen Ferienländern von Deutschen. Doch davon redete öffentlich besser nicht, wer respektabel bleiben wollte. Allerdings brachte bald schon die „Kölner Silvesternacht“ vor allem die anfängliche mediale Schönung des Geschehenen viele in Deutschland auf einen für sie plausiblen Gedanken: Man muss kein Rassist sein, um zum besorgten Bürger zu mutieren, wenn angesichts des europaweiten Migrationsgeschehens die deutsche Regierung immer wieder erkläre, Deutschlands Grenzen ließen sich keinesfalls mehr kontrollieren. Genau das aber behaupteten die sich wechselseitig als demokratisch anerkennenden Parteien von der Linken bis zur Union, und noch viel einhelliger taten dies tonangebende Medien. Wer das nicht so sah, der galt nun rasch als Rassist und Nazi, zumindest aber als ein Sympathisant der AfD.

Die AfD profitiert weiterhin von Versäumnissen

Tatsächliche Migrationsfolgen sind freilich härter als jede ideologische Sprechblase. Wann immer eine solche platzte, wirkte das auf die AfD wie ein Regenschauer in der Wüste. Spätestens bei den fünf Landtagswahlen im Frühjahr 2016 wurde absehbar, dass der Aufstieg der AfD dauerhaft wäre. Doch ihren Gegnern fiel nichts Besseres ein, als die alten, untauglichen Bekämpfungsversuche fortzusetzen: AfD-Themen für bloß eingebildet erklären, auf die AfD schimpfen, nicht mit „AfDlern“ reden. Bald kam es wie im Märchen mit dem Schäfer, der allzu oft das Kommen des Wolfes ausrief. Zugleich wurde jene Grenze, ab der man Politiker, Journalisten und andere zum staatstragenden „Abschuss“ freigibt, vom rechten Rand der CDU ins Innere dieser Partei verlegt. Deshalb macht man jetzt auch regelrechte „Fascho-Jagd“ auf einen ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten wie Hans-Georg Maaßen.

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Derweil kommt die AfD im Osten auf ziemlich stabile Wähleranteile von knapp einem Drittel, im Westen von rund einem Zehntel. Wenn Ausgrenzung als Anti-AfD-Strategie ernst gemeint waren, hat sie offenbar nichts getaugt. War das alles aber nur ein politisches Routinespiel, dann war es leichtfertig und verantwortungslos. Tatsächlich gibt es nun eine Art „ostdeutsche Volkspartei“ namens AfD. Sie wurde zur Heimstatt von Protest gegen ein als solches wahrgenommenes „übergestülptes Politiksystem“, wie er seit der Wiedervereinigung nie verstummte. Jetzt finden sich in der AfD wirklich auch Rechtsradikale, die aber nicht länger in einer Splitterpartei isoliert sind. Und der innenpolitische Kampf aller gegen die AfD wird in gegen die AfD gerichtete Minderheitsregierungen münden, wie jetzt schon in Thüringen. Derweil hofft man, das Bundesverfassungsgericht werde die AfD verbieten.

Was lief da alles schief? Da war politisch-korrekte Blindheit gegenüber neuen Problemen Deutschlands – zumal jenen, die mit der sich ändernden Zusammensetzung der hier Lebenden zu tun haben. Da war Arroganz der Macht: Unerwünschte Wahlen, etwa von AfDlern zu parlamentarischen Vizepräsidenten, müssen misslingen – oder haben rasch rückgängig gemacht zu werden.

Es fehlte die Einsicht, dass dort, wo in der Tat besorgte Bürger sich von der etablierten Politikerschaft nicht repräsentiert fühlen, eben eine neue Partei zur Dauergröße werden kann – einst die Grünen, jetzt die AfD. Und es wird nicht begriffen, dass allenthalben in Europa rechte Parteien gegen die Folgen sozialliberal-grüner Politik anrennen, zumal gegen die Zukunftsprobleme mit unseren sozialen Sicherungssystemen und mit dem abnehmenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deutsche Sonderwege führen da in eine Sackgasse.


Der Autor war von 1991 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden. Seit Herbst 2022 ist er hauptamtlicher Forschungsdirektor der Denkfabrik „MCC Brussels“.

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