Parteipolitisch ist Viktor Orbán ein Coup gelungen: Am Tag vor Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft gab er – zusammen mit den Chefs der österreichischen FPÖ, Herbert Kickl, und der tschechischen ANO, Andrej Babiš – den Startschuss für die Bildung einer neuen Fraktion im Europäischen Parlament. Und nun, eine Woche vor der Konstituierung des neuen Europaparlaments, steht diese Fraktion auch schon. Mehr noch: Die von Orbán, Kickl und Babiš zusammengetrommelten EU-Kritiker stellen mit 84 Europaabgeordneten künftig die drittgrößte Fraktion in Brüssel und Straßburg.
Die neue Fraktion „Patrioten für Europa“ wirkte auf die Mitglieder der bisherigen Rechtsaußen-Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) wie ein Staubsauger: Geradezu fluchtartig liefen die ID-Europaabgeordneten von sechs Parteien aus sechs EU-Mitgliedstaaten zur neuen Truppe über. Von der Konservativen Fraktion (EKR) konnte man aber nur die spanische Vox, von den Liberalen (Renew) die tschechische ANO gewinnen. Faktisch ist die ID-Fraktion nun zertrümmert und die EKR konsolidiert, aber die selbsternannten „Patrioten für Europa“ wollen und werden in Brüssel eine Wortführerschaft beanspruchen, wenn es gegen „die in Brüssel“ geht.
Selbst den Schmuddelkindern zu schmuddelig
Auffällig ist die totale Isolation der AfD, die offenbar selbst den Schmuddelkindern in der EU zu schmuddelig ist. Nach den Skandalen um Maximilian Krah, dessen Parlamentsassistent für den chinesischen Geheimdienst gearbeitet haben soll und der sich selbst in einem Interview geschichtspolitisch als nicht parkettsicher erwies, schmiss die ID ihre deutschen Kameraden aus der Fraktion. Seitdem halten alle sorgsam Distanz, nicht nur zu Krah, sondern zur AfD insgesamt. Selbst die österreichische FPÖ, die damals lieber bloß Krah und nicht die ganze AfD-Truppe aus der ID-Fraktion entfernt hätte, entschlägt sich jeder Nibelungentreue. Sehr pragmatisch, denn der französische „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen bringt mit 30 Europaabgeordneten einfach mehr Gewicht auf die Waage.
Ganz im Gegensatz zur konservativen EKR versammelt die neue „Patrioten“-Fraktion (von ganz kleinen Ausnahmen abgesehen) Parteien, die der Europäischen Union betont kritisch, einer weiteren Vertiefung der europäischen Integration sogar ablehnend, dafür aber Wladimir Putin tendenziell wohlwollend gegenüberstehen. All das würde auch auf die AfD zutreffen, aber mit ihr wollen sich selbst die Gesinnungsgenossen in Europa derzeit die Hände nicht schmutzig machen.
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