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Der Wille zur Selbstermächtigung

Emotionale Betroffenheit relativiert geltendes Recht. Nach dieser Devise agieren immer mehr selbst ernannte Aktivisten. In der Politik, aber auch in der Kirche. Ein Kommentar.
Klima-Protest in Marburg
Foto: Nadine Weigel (Nadine Weigel/dpa) | Wer aus inhaltlichen Gründen immer noch mit der „Letzten Generation“ sympathisiert, sollte sich vor Augen führen, dass es in dieser Frage um Prinzipielles geht, nicht um politische Lagerzugehörigkeit.

Die Aufregung war groß, als Aktivisten der „Letzten Generation“ am Samstag das Grundgesetz-Denkmal am Bundestag in Berlin beschmiert hatten. Nur, diese Empörung muss ins Leere laufen, wenn man diesen Fall nicht als Symptom nimmt, als ein neues Beispiel für eine tiefer reichende Entwicklung, die längst nicht nur das politische Leben, sondern auch die Kirche erfasst hat: Statt eigene Meinungen, Wünsche, Vorstellungen an der geltenden Rechtsordnung abzugleichen, gilt die Devise: Emotionale Betroffenheit ist der erste Schritt zur Selbstermächtigung. Gefühl setzt Recht außer Kraft.

Medial die eigene emotionale Betroffenheit inszenieren

Schauen wir noch einmal auf die „Letzte Generation“: Sie begründen ihre Aktionen mit einem „Klimanotstand“. Der bereite ihnen Angst und deswegen müssten sie auch nicht auf das geltende Recht Rücksicht nehmen. Ihre Aktionen dienten schließlich einer „größeren Sache“. Hier beansprucht also eine Gruppe auf der Basis einer Gefühlsstimmung die Deutungshoheit über die Art und Weise, wie in der Gesellschaft Konflikte ausgetragen werden sollen. Die Folgen sind gravierend: Die Qualität des öffentlichen Diskurses ändert sich nämlich. Es zählt dann nicht mehr die Rechtsordnung als verbindlicher Rahmen für alle. Sondern es gilt, medial die eigene emotionale Betroffenheit in Szene zu setzen. Faustregel: Je mehr du deine Gefühle herausstellst, desto größer ist die Chance, dass du bei deinen Aktionen Gesetze übertreten kannst, die für alle anderen gelten.

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Wer aus inhaltlichen Gründen immer noch mit der „Letzten Generation“ sympathisiert, sollte sich vor Augen führen, dass es in dieser Frage um Prinzipielles geht, nicht um politische Lagerzugehörigkeit. Denn wie will derjenige, der jetzt noch klammheimlich zustimmt, eigentlich argumentieren, wenn in Zukunft zum Beispiel einmal die „Identitäre Bewegung“ Straßen besetzt und das mit ihrer Angst vor einem „Volkstod“ begründet? Mit Logik funktioniert das nicht mehr. Es muss darum Lager übergreifend klar sein: Wer die verbindliche Geltung des Rechts für alle infrage stellt, legt die Axt an den gesellschaftlichen Frieden.

Schließlich noch ein Blick auf die Kirche: Auch die Kirche hat eine Rechtsordnung. Doch beim „Synodalen Weg“ wird der Eindruck suggeriert, man könne sich einfach über sie hinwegsetzen. Auch hier gilt: Emotionale Betroffenheit sticht gesetztes Recht.

„Macht kaputt, was euch kaputtmacht“

Woher rührt diese Entwicklung? Man muss wohl zurück bis zu der sogenannten Studentenrevolte von 1968 gehen. Die ganze Bewegung war getragen von einem anti-institutionellen Affekt. Institutionen galten nicht mehr als Sicherungsinstanzen, die Sicherheit, Stabilität und eben auch Rechtsfrieden verbürgen. Sondern als tendenziell repressiv, wenn nicht gleich als faschistoid. Statt zu verstehen, wie Institutionen durch die sie prägenden Regeln das Zusammenleben in der Gesellschaft steuern und befrieden, galt nun die Devise: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht.“ Dieser Titel eines Songs von „Ton, Steine, Scherben“ ist als programmatische Aufforderung zu verstehen: Was dich gefühlsmäßig belastet, also eben kaputt macht, muss weg. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Das Fatale: Diejenigen, die heute diese Haltung vertreten, fühlen sich immer noch als Avantgarde. Haben sie doch an den Schulen und Universitäten gelernt, diesen im Grunde pubertären Ego-Tripp in das Gewand der Kritik zu kleiden. Wer wird sie endlich aufklären?

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Sebastian Sasse Deutscher Bundestag Kirchen und Hauptorganisationen einzelner Religionen

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