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Der Regenbogen ist überspannt

Es ist vollkommen richtig, dass die Bundestagsverwaltung einer Mitarbeiter-Gruppe untersagt hat, beim Berliner CSD mitzumarschieren. Staatliche Institutionen dürfen im Kulturkampf nicht zur Partei werden. Wer das ignoriert, leistet dem ideologischen Bürgerkrieg Vorschub.
Regenbogenflagge vor dem Reichstag
Foto: IMAGO/Volker Hohlfeld (www.imago-images.de) | Die Regenbogenflagge vor dem Reichstag sorgt für Kritik: Wer für Grundrechte kämpfen will, muss unter keiner separaten Flagge segeln. Schwarz-rot-gold reicht vollkommen aus.

Was würde wohl für ein Sturm der Entrüstung durch das Land gehen, wenn irgendwann einmal ein AfD-Bürgermeister vor seinem Rathaus die Fahne der Identitären Bewegung hissen würde? Etwa mit der Begründung: Diese Gruppe kämpfe ja schließlich für den Erhalt des deutschen Volkes. Und so ein Ziel sei doch wohl der Unterstützung wert. Und diese Empörung wäre auch vollkommen richtig.

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Nur: Warum bleibt genau diese Aufregung aus, wenn eine andere ideologische Lobbygruppe Tag für Tag quasi selbstverständlich die Unterstützung des Staates für ihre politischen Ziele in Anspruch nimmt? Genau, die Rede ist von der LGBTQ-Bewegung, die sich hinter der sogenannten „Regenbogenflagge“ versammelt.

Die Bundestagsverwaltung hat sich quer gestellt

In unzähligen Kommunen wird sie regelmäßig vor den Rathäusern gehisst. Nur die Bundestagsverwaltung hat sich jetzt quer gestellt: Zum „Christopher Street Day“ (CSD) in Berlin wird anders als in den vergangenen Jahren keine Fahne vor dem Reichstag gehisst. Und einer Gruppe von Mitarbeitern, die sich in einem „Regenbogennetzwerk“ zusammengeschlossen haben, wurde untersagt, als Fußgruppe des Bundestages bei dem Marsch mitzulaufen. Dies verletzte, so die Argumentation, die gebotene Neutralitätspflicht.

Seither sieht sich Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt. Sie betreibe das Geschäft der Homophobie, und überhaupt entpuppe sich die Christdemokratin immer mehr als böse rechte Kulturkämpferin, so die Kritik von links bis ganz links. Aber auch aus den eignen Reihen gibt es Querschläger: In Düsseldorf, dort regiert der CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Parlamentspräsident ist der CDU-Mann André Kuper, wird die Flagge gehisst. Und Bundesfamilienministerin Karin Prien, ebenfalls CDU, hat sogar angekündigt, mit Mitarbeitern ihres Ministeriums auf einem Wagen beim CSD mitfahren zu wollen.

Was die linken Proteste angeht, geschenkt. Hier ist die eigene ideologische Überzeugung ausschlaggebend. Aber warum machen sich so viele Christdemokraten zu nützlichen Idioten? Warum begreifen sie nicht, dass das Beharren auf der Neutralitätspflicht nicht den Kulturkampf anheizt, sondern genau in die andere Richtung wirkt? Die Vertreter von Wokismus und Anti-Wokismus machen sich immer mehr den öffentlichen Diskurs zur Beute.  Beide Lager fordern Bekenntnisse ab. Einzelnen Bürgern. Jetzt aber auch dem Staat. Durch das Flaggenhissen soll der Staat sich zur ideologischen Regenbogen-Agenda bekennen.

Der Wettkampf der politischen Überzeugungen muss fair ausgetragen werden

Natürlich hat jeder Bürger das Recht, ideologisch zu denken, entsprechend politisch zu agieren und sich zu den passenden Gruppen zu bekennen. Der Staat aber hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieser, wenn man so will, „Wettkampf“ der politischen Überzeugungen fair ausgetragen wird. Ein Fußball-Schiedsrichter zieht sich während des Spiels auch nicht das Trikot von Bayern München über. Auch dann nicht, wenn er als Privatmann, was er natürlich darf, mit dem Verein sympathisieren sollte.

Ein Staat, der diese Neutralitätspflicht verletzt, wird als ein solcher Schiedsrichter unglaubwürdig. Im Moment spricht aber viel dafür, dass sich die Kulturkämpfe immer weiter zuspitzen. Die neutrale Instanz bekommt also eine immer größere Bedeutung. Wer das ignoriert oder vielleicht auch einfach nicht versteht, der leistet dem geistigen Bürgerkrieg weiter Vorschub.

Apropos verstehen: Einem Denkfehler unterliegt auch Klöckner. Zum „Internationalen Tag gegen Homophobie“ soll nämlich der „Regenbogen“ vor dem Reichstag aufgezogen werden. Dahinter steht die falsche Vorstellung, der Kampf gegen Homophobie sei mit der Regenbogen-Agenda identisch. Dem ist nicht so. Den Einsatz gegen Homophobie gebietet das Grundgesetz. Das ideologische Gesamt-Paket der Flaggen-Freunde ist aber viel umfassender – er reicht vom Kampf gegen die natürliche Familie, die Ignoranz der Biologie bis hin zur Befürwortung von Leihmutterschaft und Abtreibung. 

Wer für Grundrechte kämpfen will, muss unter keiner separaten Flagge segeln. Schwarz-rot-gold reicht vollkommen aus. Ein Gutes hat die ganze Debatte aber trotzdem: Immer mehr Bürger merken, der Regenbogen ist überspannt. 

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