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Der neue Orbán ist der alte

Ungarns Regierungschef übernimmt den EU-Ratsvorsitz und stürzt sich sogleich in eine Friedensmission. Allerdings im Alleingang.
Viktor Orbán hat gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen
Foto: IMAGO/STR (www.imago-images.de) | Viktor Orbán hat gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen, schon taucht er in Kiew auf. Unterstützung brachte er nicht mit, vielmehr drängte er das Kriegsopfer Ukraine zu einer raschen Waffenruhe.

Die Ukraine ist im Krieg, da sind Solidaritätsbesuche westlicher Verbündeter politisch, diplomatisch, psychologisch und sogar moralisch wertvoll. Und so hat die emsige, mitunter übertrieben wirkende Reisetätigkeit der EU-Kommissionspräsidentin, westlicher Außenminister und Regierungschefs und zahlloser Diplomaten durchaus ihren Sinn. Der Regierungschef Ungarns, Viktor Orbán, hat in 28 Monaten ukrainischen Überlebenskampfes gegen die russische Invasion Kiew nicht ein einziges Mal besucht; sein Außenminister übrigens auch nicht. Und das, obwohl Ungarn ein Nachbarland der Ukraine ist. Stattdessen traf sich Orbán mit Wladimir Putin; sein Außenminister war mehrfach in Moskau.

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Doch kaum hat Ungarn am Montag die halbjährlich rotierende EU-Ratspräsidentschaft angetreten, taucht Orbán in Kiew auf: gleich am zweiten Tag des ungarischen Ratsvorsitzes, als allererste Auslandsreise im neuen Amt! Der gleiche Viktor Orbán, der alle EU-Hilfen für die Ukraine öffentlich kritisierte und in den Gremien verzögerte und verwässerte, der alle EU-Sanktionspakete gegen die Putin-Clique hinterfragte und mitunter verdünnte, konferierte am Dienstag mit der ukrainischen Regierung in Kiew und sagte Unterstützung zu. Erleben wir gerade einen neuen Viktor Orbán? Ist der Ungar vom widerborstigen Krawallpolitiker und Verhinderer zum Staatsmann und Ermöglicher gereift?

Frieden als Kapitulation?

Für derlei Jubel ist es zu früh: Immerhin drängte Orbán das Kriegsopfer Ukraine am Dienstag zu einer raschen Waffenruhe – statt den Aggressor Russland. Während die Ukraine auf einen „gerechten Frieden“ setzt und dabei (bisher) auf die Unterstützung von USA, EU und Großbritannien zählen kann, setzt Orbán auf einen schnellen Frieden. Um welchen Preis? Und zu welchem Risiko?

Wladimir Putin, den zu kritisieren der ungarische Regierungschef stets sorgsam vermeidet, hat seine Bedingungen für Friedensverhandlungen ja bereits auf den Tisch gelegt. Sie beschreiben eine Kapitulation der Ukraine.

Die EU braucht Geschlossenheit

Aber auch die Geste des Solidaritätsbesuchs fällt zwiespältig aus: Einerseits war Orbán als Ministerpräsident Ungarns in Kiew, besprach bilaterale Themen wie die Rechte der ungarischen Minderheit, was absolut legitim ist. Andererseits trat er als EU-Ratsvorsitzender auf, sprach im Namen der EU über Krieg und Frieden. Und dafür hätte er den Gleichklang mit den EU-Institutionen gebraucht. Weder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch der amtierende EU-Außenbeauftragte Josep Borrell oder seine designierte Nachfolgerin Kaja Kallas waren in Orbáns Initiative eingebunden.

Wenn die Europäische Union weltpolitisches Gewicht entwickeln will, braucht sie Geschlossenheit und Einigkeit. Viktor Orbáns Reise nach Kiew dokumentiert leider das Gegenteil: Unterschiedliche Polit-Granden ziehen nun an unterschiedlichen Fäden und in unterschiedliche Richtungen. Kein ungefährliches Spiel in Kriegszeiten.

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Stephan Baier Ursula von der Leyen Viktor Orbán Wladimir Wladimirowitsch Putin

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