Im US-Wahlkampf dreht sich alles um die Swing-States. Kamala Harris wird keinen Trumpisten überzeugen können und auch Donald Trump hat nicht den Anspruch, einen Keil ins das Zentrum der Demokraten zu treiben. Die Treusten der Treuen stehen jeweils fest in ihren Lagern. Entscheidend für den Wahlsieg sind aber die unsicheren Kantonisten, die mal nach rechts, die mal nach links sich wenden.
Das haben natürlich die Regisseure im Kopf, wenn sie die großen Parteitagsinszenierungen durchplanen. Das war bei den Republikanern so vor einem Monat in Milwaukee und jetzt konnten es die Zuschauer bei den Demokraten in Chicago erleben. Und entsprechend sehen dann die Shows eben aus. Etwas für die Seele der Kernanhängerschaft, schließlich darf die in ihrer Motivation nicht nachlassen, aber eben auch gezielte Signale an die Swinger. Am besten ist, wenn beide gleichzeitig angesprochen werden.
Für alle Amerikaner
Das ist die Stunde der zivilreligiösen Formeln, die das Herz fast aller Amerikaner höher schlagen lassen. Beispiele aus der Abschlussrede von Harris: „Ich verspreche, dass ich eine Präsidentin für alle US-Amerikaner sein werde.“ Oder: „Wir haben nie aufgegeben, denn die Zukunft ist es immer wert, dafür zu kämpfen.“ Zu diesem Standard-Programm gehört auch, dass Harris versichert, sie wolle eine Präsidentin sein, die führe und zuhöre, praktisch wie realistisch sei und dem gesunden Menschenverstand folge.
Der deutsche Beobachter staunt und fragt sich: Ja, was denn auch sonst? Das Gegenteil von dem, was Harris sagt, wird ja wohl kein Politiker, egal aus welchem Lager, ernsthaft über sich sagen wollen. Es geht hier aber nicht um das Was, sondern um das Wie. Das ist ja der Vorteil der Formeln: Der Inhalt steht fest. Umso mehr kann man sich auf das Wie konzentrieren, in der Show werden die Akzente gesetzt. Alle lieben Kamala – das ist die blaue Linie, die sich durch die Tage von Chicago zieht. Sympathisch, witzig – so sollte Harris rüberkommen. Eine taffe Frau, aber auch nicht zu taff. Hillary Clinton wurde von ihren Gegnern einst als „Hexe“ beschimpft. So ein Spitzname, der nicht gerade Sympathien bei der amerikanischen Mittelklasse erzeugt, soll Harris erspart bleiben.
Tand und Glamour
Der amerikanische Wähler erscheint aus der oft arroganten Sicht des deutschen Beobachters als ein Naivling, der sich von Tand und Glamour solcher Inszenierungen täuschen lasse. Dabei wird vergessen: Die Amerikaner sind aber auch Show-Experten, sie sind geübte Zuseher, sie erkennen, wo sich Originelles vom Standard abhebt. Also kein Grund zur Überheblichkeit. Bei den deutschen Beobachtern lässt sich vielmehr feststellen: Oft ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Show-Effekte, die bei Trump als skurril bewertet werden, sind dann bei Harris plötzlich der Ausweis einer authentischen Persönlichkeit. Entscheiden wird der amerikanische Wähler, nicht der deutsche Beobachter. Und bis dahin gilt: The Show must go on.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.