Nach dem großen Erfolg des ersten „Wicked“-Films vor gut einem Jahr wagt die Fortsetzung nun spürbar, in düsterere Regionen vorzustoßen. Was zuvor wie ein zauberhaftes Märchen funktionierte, bricht „Wicked: Teil 2“ nun bewusst auf, um politischere und emotional komplexere Ebenen freizulegen. Doch gelingt es diesem epischen Finale, die neue und ernste Tonalität mit der Magie und der Leichtigkeit seines Vorgängers zu verknüpfen? Mit „Wicked: Teil 2“ bringt Regisseur Jon M. Chu das von Stephen Schwartz entwickelte Musical „Die Hexen von Oz“ zu einem würdigen Abschluss. Denn auch der zweite Teil ist eine große Verbeugung vor dem Filmklassiker „Der Zauberer von Oz“ (1939) und erzählt dessen Vorgeschichte. Die Fortsetzung setzt nun dort an, wo der erste Teil aufgehört hat. Von daher sollte man diesen unbedingt gesehen haben, um der Handlung des zweiten Teils folgen zu können. Elphaba (Cynthia Erivo) lebt nach den Ereignissen von Teil 1 zurückgezogen in den Wäldern und setzt vom Exil aus ihren Kampf für die Rechte der zum Schweigen gebrachten und unterdrückten Tiere fort. Von den Bewohnern von Oz als vermeintliche „Böse Hexe des Westens“ stigmatisiert, versucht sie unbeirrt, die Wahrheit über den Zauberer von Oz (Jeff Goldblum) ans Licht zu bringen.
Zauber ohne Wirkung
Ihre beste Freundin Glinda (Ariana Grande-Butera) hingegen lebt in einem Palast und gilt in der Smaragdstadt als leuchtendes Symbol des Guten. Auf Anweisung von Madame Akaber (Michelle Yeoh) tritt sie öffentlich auf und genießt die Annehmlichkeiten des Ruhms. Ihre baldige Hochzeit mit Prinz Fiyero (Jonathan Bailey) festigt dabei noch zusätzlich ihr Ansehen bei der Bevölkerung. Jedoch belastet sie weiterhin die Trennung von Elphaba. Nach ihrer Entzweiung am Ende des ersten Teils müssen beide nun lernen, mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu leben. Glindas Versuch, eine Versöhnung zwischen Elphaba und dem Zauberer von Oz zu erreichen, scheitert. Die Freundinnen entfernen sich zunehmend voneinander, und die Kluft zwischen den verschiedenen Parteien vertieft sich, während hinter den Kulissen finstere Pläne geschmiedet werden. Elphabas Angriffe auf die Infrastruktur des Zauberers von Oz bleiben ohne Wirkung. Glinda hingegen glänzt in einer Blase aus rosa Propaganda. Doch die Fassade bekommt bald schon Risse. Die Wahrheit, die Elphaba schon lange erkannt hat, drängt sich irgendwann auch Glinda auf. Als sich dann noch ein wütender Mob, angestachelt von Madame Akaber, gegen Elphaba erhebt, kommt es zum ultimativen Finale, bei dem auch Dorothy aus „Der Zauberer von Oz“ und ihre Weggefährten, ihr Hund Toto, der Blechmann, die Vogelscheuche und der ängstliche Löwe eine wichtige Rolle spielen.
Bilder totalitärer Systeme
„Wicked: Teil 2“ beginnt mit einer Szene, die sich einprägt. Statt märchenhafter Leichtigkeit bekommt man harte, ausbeuterische Arbeit zu sehen. Dies ist bereits ein erster Hinweis darauf, dass die Fortsetzung eine sichtbar dunklere Welt betritt. Was im ersten Teil noch wie ein schillerndes Musical-Märchen wirkte, verwandelt sich nun in einen Spiegel politischer Manipulation, moralischer Täuschungen und persönlicher Zerreißproben. Jon M. Chu führt die Reise konsequent dort fort, wo der erste Film endete, und tut dies mit einer ungewohnten Ernsthaftigkeit, die überrascht und beeindruckt. Teil 2 arbeitet mit vielen politischen und zeitgenössischen Parallelen. Die Unterdrückung der Tiere aus dem ersten Teil, die strikte Kontrolle über die Munchkins und die Bildsprache der Propaganda-Plakate von Oz sind keine subtilen Andeutungen mehr wie im ersten Teil. Sie erinnern unverkennbar an totalitäre Systeme, einschließlich ihrer angstmachenden Mechanismen und Manipulationstaktiken. Der Film zeigt, wie Macht korrumpiert und wie schnell Menschen bereit sind, an bequeme Lügen zu glauben, anstatt sich unbequemen Wahrheiten zu stellen.
Cynthia Erivo und Ariana Grande-Butera tragen den zweiten Teil erneut mit ihrer grandiosen Chemie. Während die eine ihre Rolle mit stoischer Kraft und einer verletzlichen Zärtlichkeit spielt, entfaltet die andere eine erstaunliche emotionale Bandbreite. Auch die Nebencharaktere profitieren von der ernsteren Tonalität und können ihren Figuren deutlich mehr Gewicht geben. Und das Gleiche kann man auch von den Dialogen sagen. Sie sind anrührender und dramatischer als noch im ersten Teil. Neben der erneut überwältigenden Optik ist die opulente Musik natürlich das eigentliche Highlight. Dabei wurden gleich zwei neue Songs für den zweiten Teil geschrieben: „No Place like Home“ für Elphaba und „The Girl in the Bubble“ für Glinda. Beide Lieder passen hervorragend zum restlichen musikalischen Repertoire, auch wenn sie nicht das Hitpotenzial eines Ohrwurms wie „Defying Gravity“ aus dem ersten Teil besitzen.
Das Einzige, was man an Teil 2 beanstanden könnte, ist, dass der Film am Ende zu viel erklären möchte – ob es um die Herkunft des Wirbelsturms geht, die Entstehung der ikonischen Schuhe von Dorothy oder diverse Hintergrundgeschichten bekannter Charaktere. Der Film versucht an vielen Stellen, erzählerische Brücken zu schließen, die die Handlung aber letztlich nur in die Länge ziehen. Dennoch überzeugt „Wicked: Teil 2“ als kraftvolles und bildgewaltiges Finale, das durch seine zauberhafte Musik, die Präsenz und Stimmgewalt der beiden Hauptdarstellerinnen, emotionale und inhaltliche Tiefe sowie das herausragende Kostümdesign glänzt. Auch wenn die Leichtigkeit des ersten Teils diesmal aufgrund der offensichtlichen politischen Untertöne etwas verloren geht, bleibt der zweite Teil ein aufwendig inszenierter und mutiger Schlussakkord eines eindrucksvollen Musicals.
Der Autor ist Geistlicher im Erzbistum Köln und schreibt zu Film und Popkultur.
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