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Auch ein Tag des Versagens

Vor einem Jahr überfiel die Hamas das Land mit dem besten Geheimdienst der Welt. Seither breitet sich das Leid in und um Israel herum immer weiter aus.
Westjordanland, Schäden nach Ausschreitungen israelischer Siedler in Qalqilya The Israeli-Palestinian conflict in Qalqil
Foto: IMAGO/Nasser Ishtayeh / SOPA Images (www.imago-images.de) | Wenn das Böse Überhand nimmt: Es leiden Geiseln, ihre Angehörigen, vertriebene Israelis und nicht zuletzt die Zivilbevölkerung im Gazastreifen und im Libanon.

Der 7. Oktober ist ein Tag der Trauer und des Erinnerns: Vor genau einem Jahr fielen Terroristen der sunnitisch-palästinensischen Hamas über Israel her, ermordeten 1.205 Menschen und verschleppten 251 als Geiseln in den Gazastreifen. Seither dauert das Leid nicht nur an, sondern hat sich ausgeweitet: Es leiden die Geiseln, ihre Angehörigen und jene der Opfer, die aus dem Norden Israels vertriebenen und geflohenen Israelis, aber auch die Zivilbevölkerung im Gazastreifen wie im Libanon. Das Böse hat sich ausgebreitet – und es scheint keinen Halt, keine Grenze mehr zu finden.

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Der 7. Oktober 2023 war aber auch ein „Tag des Versagens“, und es gebührt dem israelischen Generalstabschef Herzi Halevi das Verdienst, darauf klar hingewiesen zu haben. Denn Israel hat vielleicht nicht die beste denkbare Regierung und nicht den integersten denkbaren Regierungschef, aber es hat – von Freund und Feind bewundert – den besten Geheimdienst der Welt und die beste Armee des Nahen Ostens. Wie um alles in der Welt konnte der von langer Hand vorbereitete Überfall der Hamas-Terroristen vor einem Jahr Israel überraschen?

Wie konnte der beste Geheimdienst der Welt ahnungslos sein, während sich im Gazastreifen eine derartige Bedrohung für die Sicherheit Israels zusammenbraute? Wie konnte die Regierung Netanjahu mit der illegalen Besiedlung des Westjordanlandes, der Unterstützung der Siedlerbewegung und der umstrittenen Justizreform so beschäftigt sein, dass sie Gaza aus dem Blick verlor? Herzi Halevi hat als Generalstabschef nicht die Macht, von Netanjahu Rechenschaft zu fordern. Aber ihn treiben offenbar die richtigen Fragen um, wenn er den 7. Oktober 2023 als den Tag bezeichnet, „an dem wir bei unserer Mission gescheitert sind, die Bürger des Staates Israel zu schützen“, und wenn er betont, dies sei „nicht nur ein Tag des Gedenkens, sondern auch ein Aufruf zu tiefer Selbstbesinnung“.

Verpflichtet, aus den Fehlern zu lernen

Kein Zweifel: Die israelische Gesellschaft hat ein Recht darauf, dass die Gefahr beseitigt und die Hamas zerschlagen wird. Sie hat aber auch ein Recht darauf, dass nicht nur im Geheimdienst Köpfe rollen, sondern die politische Verantwortung thematisiert wird. In diesem Sinn fordert Halevi das „Eingeständnis unserer Fehler und die Verpflichtung, daraus zu lernen“. Israel bezeichnet sich gerne als einzige Demokratie im Nahen Osten, also haben seine Bürger das Recht auf rasche Neuwahlen.

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Stephan Baier Benjamin Netanjahu Hamas

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