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Alle 40 Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch durch die eigene Hand

Warum das nicht so bleiben darf und was dagegen aktuell zu tun ist.
Suizidpräventionstag
Foto: IMAGO/DAVID Thierry (www.imago-images.de) | Menschen in Krisen beiseitezustehen und ihnen bei deren Überwindung mit Rat und Tat zu helfen, gehört zur DNA humaner und solidarischer Gesellschaften.

Im Jahr 2023 starben in Deutschland 10.300 Menschen durch Suizid. Das teilte das Statistische Bundesamt gestern anlässlich des heutigen weltweiten Suizidpräventionstages in Wiesbaden mit. Statistisch betrachtet nahm sich demnach im vergangenen Jahr alle 40 Minuten ein Mensch in Deutschland das Leben, starben an jedem Tag des Jahres 28 Menschen durch die eigene Hand.

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Was eine humane Gesellschaft eigentlich bis ins Mark erschüttern müsste, lässt heute viele kalt. Wundern braucht das nicht. Viele haben sich einreden lassen, sich selbst zu töten sei etwas, auf das Menschen ein Recht besäßen. In seinem fatalen Urteil vom 26. Februar 2020 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Selbsttötung sogar als „Akt autonomer Selbstbestimmung“ geadelt und den Suizid damit gewissermaßen in den Rang eines „Super“-Grundrechts erhoben.

Suizidalität ist heil-, suizidale Krisen überwindbar

In Wirklichkeit ist kaum etwas falscher. Zum einen, weil Selbstbestimmung, wie das Kompositum bereits unmissverständlich anzeigt, ein Selbst voraussetzt, das bestimmt werden muss, wenn Selbstbestimmung keine bloße Worthülse sein soll. Und weil das so ist, kann die Vernichtung dieses Selbst unmöglich auch noch als Akt der Selbstbestimmung gedacht werden, sondern muss vielmehr als das verstanden werden, was es in Wirklichkeit ist: die radikalste Form der Absage an eben diese, die ultimative Weigerung, sich weiterhin zu bestimmen. Zum anderen: Genau genommen lässt sich die Nichtexistenz, die zu erstreben Suizidenten fälschlicherweise unterstellt wird, nicht einmal denken. Und das aus einem ganz einfachen Grund: Jeder Gedanke hat etwas zum Inhalt. Das Nichts aber ist nicht etwas, sondern tatsächlich nichts. Was sich aber – mangels Inhalt – nicht einmal denken lässt, lässt sich auch nicht als „Gut“ erstreben.

Daher lag auch Arthur Schopenhauer, dessen Vater sich ertränkte, völlig richtig, als er in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ schrieb: „Der Selbstmörder will das Leben und ist bloß mit den Bedingungen unzufrieden, unter denen es ihm geworden.“ Davon kann auch die Suizidpräventionsforschung ein Lied singen. Ihr zufolge ist „Suizidalität“ heilbar, lassen sich „suizidale Krisen“, denen nicht selten eine psychische Erkrankung zugrunde liegt, bei entsprechendem Einsatz, wenn auch keineswegs immer, so doch regelmäßig überwinden. Dafür spricht auch: Kaum jemand, der einen Suizidversuch überlebt, unternimmt einen weiteren.

Benötigt: Gesetzliche Grundlage und auskömmlich Finanzierung

Menschen in Krisen beiseitezustehen und ihnen bei deren Überwindung mit Rat und Tat zu helfen, gehört zur DNA humaner und solidarischer Gesellschaften. Zum Nulltarif ist die jedoch nicht zu haben. Suizidprävention benötigt eine gesetzliche Grundlage und eine auskömmliche Finanzierung. Dass beides in Deutschland immer noch nicht gegeben ist, allein der Ampelregierung anzulasten, wäre falsch. Schon unter Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde wenig unternommen, um die Suizidrate in Deutschland zu senken.

Und bei aller berechtigten Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, eines kann man dem SPD-Politiker nicht unterstellen: Nämlich, dass er das Problem einfach laufen liefen. Die von ihm verspätet vorgelegte Suizidpräventionsstrategie des Bundes ist zwar ausbaufähig und kann nach Einschätzung vieler nur ein erster Schritt sein, aber sie ist nicht nichts. Sie berücksichtigt zudem endlich einige der Forderungen, die von in der Suizidprävention Tätigen seit langem erhoben werden.

Angekündigt ist ferner die Vorlage des Entwurfs eines Suizidpräventionsgesetzes aus dem Hause Lauterbachs. Auch das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg nach vorn. Ein anderer wäre, dass die chronisch unterfinanzierte Suizidprävention bei den sicher nicht vergnügungssteuerpflichtigen Haushaltsberatungen in dieser Woche nicht gänzlich leer ausgeht.

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