Der Generationenvertrag, Sinnbild des umlagefinanzierten Rentensystems, stößt an seine ökonomischen Grenzen. Immer weniger Erwerbstätige finanzieren immer mehr Rentner. Während das Rentenniveau auf Dauer stabil gehalten werden soll, steigt die Last für Beitragszahler und Staatshaushalt stetig an. Was einst als generationenübergreifender Vertrag gedacht war, droht zur einseitigen Verpflichtung der Jüngeren zu werden.
Der Handlungsdruck für eine grundlegende Reform steigt. Das Motivationsproblem der Politik wird längst ergänzt durch ein Zeitproblem. Die Politikblockade dürfte eine zunehmende Zahl der Leistungsträger, deren Stimmen nicht gehört werden, zur Abwanderung bewegen und die Leistungsempfänger zu härteren Verteilungskämpfen motivieren.
In dieser sozialpolitisch heiklen Situation fällt den Deutschen die unterentwickelte Aktienkultur auf die Füße. Eine teilweise Umstellung der gesetzlichen Rentenversicherung vom Umlageverfahren auf ein Kapitaldeckungsverfahren könnte das deutsche Rentensystem auf ein stabileres Fundament stellen und gleichzeitig Ludwig Erhards Vision von einer Eigentümergesellschaft neu beleben.
Was die „Mackenroth-These“ übersieht
Beim Umlageverfahren finanziert die erwerbstätige Bevölkerung die Rentnergeneration durch Transferzahlungen. Vom Staat erhalten sie die Zusage, dass die nachrückende Erwerbsbevölkerung für ihre Rente aufkommt. Kennzeichen dieses Systems ist, dass sich zu keinem Zeitpunkt ein nennenswertes Vermögen bildet, da die Rentenzahlungen – wie Steuern und staatliche Transfers – direkt weitergeleitet werden. Das System funktioniert über staatlichen Zwang und die Aussicht, später eine gleichwertige Gegenleistung zu erhalten. Dem Prinzip nach handelt es sich um ein sogenanntes Ponzi-Schema. Auszahlungen für ältere Mitglieder werden über die Beiträge von jüngeren Mitgliedern bezahlt, die sich im Alter auf Zahlungen der folgenden Generation verlassen. Für die Teilnehmer sieht es wie eine Versicherung aus, weil – anders als bei Steuern und Transfers – die Höhe der Einzahlungen wie bei einer Lebensversicherung ausschlaggebend für die Höhe der Auszahlungen ist. Mancher mag glauben, dass es eine „Rentenkasse“ gibt, aber nur im Kapitaldeckungsverfahren entsprechen die Beiträge Ersparnissen, mit denen der Kapitalstock erweitert werden kann.
Die Ausgestaltung des deutschen Rentensystems nach dem Prinzip des Umlageverfahrens geht maßgeblich zurück auf den Ökonomen Gerhard Mackenroth. Die „Mackenroth-These“ besagt, dass „aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss.“ Das bedeutet mit anderen Worten, dass, unabhängig vom Finanzierungsverfahren, der Konsum der Rentenempfänger immer durch einen entsprechenden Konsumverzicht der Beitragszahler erbracht werden muss. Die These stimmt auch heute noch, übersieht aber einen wesentlichen Punkt.
Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Finanzierungsarten besteht darin, dass Rentenzahlungen im Umlageverfahren aus der Erwerbsleistung der in dieses Verfahren einbezogenen inländischen Erwerbsbevölkerung kommen, während diese Zahlungen im Kapitaldeckungsverfahren entsprechend der Anlagepolitik des Rentenfonds aus der Erwerbsleistung der gesamten Weltbevölkerung kommen können. Für den Rentner im Umlageverfahren kommt es daher auf das Wachstum der von der inländischen Erwerbsbevölkerung hergestellten Güter und Dienstleistungen an. Der Rentner im Kapitaldeckungsverfahren kann dagegen vom globalen Wachstum profitieren.
Alle Generationen müssen sich an den Kosten beteiligen
Nach Hyperinflation und den Weltkriegen war der Kapitalstock in Deutschland größtenteils zerstört. Vor allem gab es keinen von vorangegangenen Generationen angesparten Rentenfonds, aus dem der Konsum der gegenwärtigen Rentner hätte finanziert werden können. Folglich gründete die Bundesregierung unter Konrad Adenauer die Rentenversicherung im Nachkriegsdeutschland im Umlageverfahren. Das Ziel der Reform bestand in der Umwidmung des bis dahin an einer nominal fixierten Mindestsicherung orientierten Systems zu einem System der Lebensstandardsicherung im Alter.
Angesichts der Vorteile einer kapitalgedeckten Rentenversicherung muss heute überlegt werden, wie ein möglicher Reformweg vom Umlageverfahren zum Kapitaldeckungsverfahren aussehen könnte. Eine unmittelbare Abschaffung des Umlageverfahrens wäre ungerecht. Denn entweder würde eine Reihe von Betroffenen, die bereits Rentenzahlungen empfangen, beziehungsweise schon lange in die Rentenversicherung eingezahlt haben, keine entsprechende Gegenleistung durch das Rentensystem erhalten. Ansprüche aus dem umlagefinanzierten System stellen eine implizite Staatsschuld in Form schwebender, nicht verbriefter Ansprüche auf künftige Staatsbudgets dar. Oder die erwerbstätige Generation müsste im Falle eines Systemwechsels nicht nur Beiträge und Steuern für die Finanzierung der Zahlungen an die Rentnergeneration leisten, sondern auch für den Aufbau eines kapitalgedeckten Rentenfonds für ihre künftige Rente sparen. Beides wäre ungerecht und politisch nicht durchsetzbar. Gerecht wäre es dagegen, sowohl die Generation der Erwerbstätigen als auch der Rentner gleichermaßen an den Kosten der Umstellung zu beteiligen. Dazu müssten die Leistungen an die Rentner aus dem Umlageverfahren schrittweise gesenkt und die Beiträge der Erwerbsbevölkerung zu einer künftig kapitalgedeckten Rente erhöht werden. Man darf gespannt sein, ob die nächste Rentenkommission den Mut dazu findet.
Der Autor ist promovierter Volkswirt und Senior Research Analyst beim Flossbach von Storch Research Institute.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.









