Würde heute ein neuer Bundestag gewählt, wäre die AfD stärkste Partei. Und nur noch eine Minderheit der Deutschen von 49 Prozent kann sich „auf keinen Fall“ vorstellen, die Rechtspopulisten zu wählen. Soweit der Stand der aktuellen Umfragen. Und gleichzeitig gibt es im medialen Raum riesigen Druck auf den Wirtschaftsverband „Die Familienunternehmer“, weil dieser bekannt gegeben hatte, auch Politiker der AfD zu einem „Parlamentarischen Abend“ eingeladen zu haben, also außer mit allen anderen Parteien auch mit derjenigen Partei zu sprechen, die die größte Zustimmung beim Wähler genießt. Eine inhaltliche Solidaritätserklärung zur Rechtspartei war damit selbstredend nicht verbunden, im Gegenteil. Nun hat der Verband dennoch einen Rückzieher gemacht: Die Einladung sei ein „Fehler“ gewesen. Der katholische Unternehmerverband BKU, der die Familienunternehmer zuvor unterstützt hatte, windet sich, bleibt aber immerhin dabei, dass „grundsätzliche Diskursverweigerung“ kein sinnvoller Modus demokratischer Auseinandersetzung sein könne.
Die ganze Gemengelage ist, kurz gesagt, absurd. Mit der größten Oppositionskraft nicht einmal reden zu wollen, ist nicht nur per se undemokratisch und spalterisch, sondern schließt auch die Möglichkeit einer Machtbeteiligung gedanklich aus. Solange die AfD aber nicht verboten ist, kann nicht grundsätzlich verhindert werden, dass sie Mehrheiten erzielt und in Verantwortung kommt. So funktioniert die Demokratie nun mal: Die Macht wird nicht vererbt, sie wird vom Wähler verliehen. Und der kann sich trotz sichtbarer Unappetitlichkeiten mit den Parias angesichts der mageren Leistung der älteren Parteien immer besser anfreunden. Das kann man bedauern, aber man hat es als Demokrat zu akzeptieren. Wer der Meinung ist, die AfD sei selbst auf die Abschaffung der Demokratie aus – wozu sie momentan nicht den geringsten Anreiz besitzt, es läuft ja schließlich –, müsste sich entschieden hinter ein Verbotsverfahren stellen, dessen Ausgang dann aber auch akzeptieren wollen. Davor scheut auch die Bundesregierung aus guten Gründen zurück, nicht zuletzt deshalb, weil die Rechtspopulisten für ein Verbot vermutlich einfach nicht eindeutig genug verfassungsfeindlich agieren.
Unternehmer sind vergleichsweise feige, und das ist okay
Für Unternehmerverbände ist die instabile Situation toxisch: Sollte die AfD bald an Regierungen beteiligt sein, wäre es idiotisch, vorher alle Brücken verbrannt zu haben. Solange aber die bröckelnde Meinungsvorherrschaft der Brandmauer-Orthodoxie in der veröffentlichten Meinung noch hält, ist der Druck auf Abweichler riesig, auch wenn diese lediglich reden wollen. Dem sind die wenigsten Unternehmer gewachsen, denen es zuvorderst darum gehen muss, im Interesse ihrer Firmen effektive, aber möglichst diskrete Lobbyarbeit zu machen.
Politisches Durchhaltevermögen sollte man von Unternehmen aber auch gar nicht fordern, denn für politische Richtungsentscheidungen ist in Demokratien die Wahlentscheidung der Bürger maßgeblich. Mit der „Soft Power“ der Wirtschaftskraft hingegen außerhalb der Kernbereiche eigener Interessen auch noch ideologische Schlachten schlagen zu wollen, wäre anmaßend und wiederum wenig demokratisch. Umso problematischer, dass in der Vergangenheit zahlreiche Unternehmerverbände sich allzu bereitwillig in die Allianz „gegen rechts“ einspannen ließen. Nun sucht man zaghaft den Ausgang und findet ihn nicht.
Vor diesem Hintergrund ist die nicht immer ganz kohärente Linie, die der kleine BKU gewählt hat – inhaltliche Distanz zur AfD, die zuletzt so weit ging, nicht einmal mehr auf die AfD selbst einwirken, sondern nur noch ihre Wähler zurück in die Mitte holen zu wollen, dabei aber Beharren auf dem demokratischen Modus der Argumentation statt der Diskursverweigerung – beinahe schon ein Ausbund an verantwortungsvollem Verhalten, ja an politischem Mut; ein Mut, den die Verbandsführung der Familienunternehmer nicht hatte. Nur auf diesem Weg aber bleibt das Ziel einer politischen Deeskalation und der dabei hilfreichen Entideologisierung der Lobbyarbeit überhaupt noch in Sichtweite.
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