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Der Ampel-Streit um die Energiepolitik ist zurück

Der energieintensiven Industrie steht das Wasser bis zum Hals. Hilft ein Industriestrompreis? Was fehlt, ist vor allem Klarheit über das zukünftige „Energieszenario“.
Industriekonferenz 2023  - Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister
Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen (www.imago-images.de) | Kann er helfen? Robert Habeck macht sich für Subventionen stark, um eine Abwanderung der Industrie zu verhindern. Doch die Energiepolitik bleibt eine offene Flanke

Die gute Nachricht zuerst: Wirtschaftsminister Robert Habeck möchte, dass die deutsche Industrie weiterhin in Deutschland produziert – auch die „energieintensive“, deren Produktion viel Strom braucht, wie etwa die Chemieindustrie. Das ist nicht ganz selbstverständlich. Habecks damaliger Staatssekretär Patrick Graichen hatte einige Aufregung ausgelöst, als er im Sommer 2022 in einem auf Youtube veröffentlichten Interview ohne weiteres Bedauern gesagt hatte, zumindest Industriezweige, die energieintensiv „einfach zu kopierende“ Produkte herstellen, könnten aufgrund der durch die Energiewende absehbar höheren Strompreise den Standort Deutschland verlassen.

Habeck, der am Dienstag die „Industriekonferenz“, eine Veranstaltung zur Zukunft der Industrie, dazu nutzte, seine kürzlich veröffentlichte Industriestrategie mit den Spitzen von IG Metall und dem Bund der deutschen Industrie (BDI) öffentlich zu diskutieren, hat eigentlich keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich nicht an diesem Modell der „strukturellen Anpassung“ orientiert. Dass er die drohende Abwanderung der Industrieproduktion aufgrund der seit Beginn des Ukrainekriegs in Deutschland dramatisch gestiegenen Energiepreise also nicht einfach hinnehmen will, die nach Berechnungen seines Ministeriums schon zu einem Einbruch der energieintensiven Produktion von fast 20 Prozent geführt hat. Denn, so Habeck in seiner Eröffnungsrede, „schmilzt der industrielle Kern, dann schmilzt die gesellschaftliche Solidarität“.

Nun die schlechte Nachricht: Ob Habeck, der in der Vergangenheit auch schon mit der erstaunlichen Einschätzung auffiel, man habe „kein Stromproblem“, die richtigen Ideen für die Rettung des Wirtschaftsstandorts hat, ist umstritten – unter Ökonomen, aber auch in der Bundesregierung. Die derzeit meist diskutierte Idee des Wirtschaftsministers ist die des „Industriestrompreises“, also einer potentiell sehr teuren Stromsubvention, die der energieintensiven Industrie, die derzeit im Vergleich mit Frankreich, China oder den Vereinigten Staaten ein Vielfaches des dortigen Strompreises zahlt, wettbewerbsfähige Produktionskosten ermöglichen soll. IG Metall und BDI begrüßen die Initiative in seltener Einigkeit. Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall, sagte, „Entlassungen, Insolvenzen und Betriebsschließungen“ seien schon jetzt Realität. Ohne zeitnahes Handeln drohe ein schleichender Verlust industrieller Wertschöpfung. Daher brauche es jetzt einen „Brückenstrompreis“.

Subventionen für ein Brückenjahrzehnt

Brückenstrompreis ist auch das Wort, das Habeck viel lieber benutzt als „Industriestrompreis“. Denn nach dem Willen des Vizekanzlers soll die Subvention nur so lange nötig sein, bis das erhöhte Stromangebot aus erneuerbaren Quellen Realität geworden ist und den benötigten Strom zu günstigen Preisen sichert. In Habecks 60-seitiger Industriestrategie ist dabei allerdings von einem „Brückenjahrzehnt“ und einer „Übergangsphase bis Anfang der 30er Jahre“ die Rede. Die gewünschte Subvention dürfte also relativ lange die öffentlichen Haushalte belasten, was auch als einer der Hauptgründe dafür gilt, dass sich bislang sowohl Finanzminister Christian Lindner als auch Bundeskanzler Olaf Scholz gegen die Idee sperren. „Die finanzpolitischen Rahmenbedingungen“, räumte Habeck ein, seien „der Elefant im Raum“. Und das, obwohl die Finanzierung der Subvention dem Vernehmen nach zunächst zu guten Teilen über den Schattenhaushalt des „Klima- und Transformationsfonds“ laufen sollte, der vom regulären Bundeshaushalt rechtlich getrennt ist.

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Gegen diese Idee stemmen sich nicht zuletzt Ökonomen. So hat die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, ironischerweise zusammen mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer, in einem Gastbeitrag im „Tagesspiegel“ argumentiert, dass damit ausgerechnet Gelder, die eigentlich zum klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft gedacht sind, für die Bestandswahrung einflussreicher Lobbys genutzt würden. Denn klar ist, dass eine derartige Subvention zunächst gerade keinen Anreiz zum Energiesparen setzt, was einen künftigen Ausstieg aus der Subventionierung erschwert. Habeck ist anderer Meinung: „Wir haben keinen Strukturwandel aus sich selbst heraus, wir haben einen Strukturbruch“ – ausgelöst, so Habeck, durch Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Und den Verwerfungen des Strukturbruchs gelte es zu begegnen. Es dürfe nicht der russische Präsident sein, so die Botschaft, der darüber bestimme, was in Deutschland noch produziert werden könne. 

Schmerzhafte Debatte steht bevor

 Wie lange dann aber die Subventionierung gegen Putin nötig ist, hängt am Ende davon ab, ob und wann die decarbonisierte Energieproduktion der Zukunft wirklich verlässlich billigen Strom garantieren kann. „Auch welches Energieszenario laufen wir denn zu?“ Diese Frage gelte es, zu beantworten, und zwar, so BDI-Präsident Siegfried Russwurm, von der ganzen Regierung. Zudem möge diese tunlichst darauf hinarbeiten, in der Frage der Energiepolitik einen überparteilichen Konsens zu erreichen, der über die aktuelle Legislaturperiode hinausreiche.

Ein weiterer Elefant im Raum, der am Dienstag auf offener Bühne keine Erwähnung fand, aber außerhalb der Ampelkoalition immer wieder thematisiert wird, dürfte daher bei all dem beflissenen Einsatz Habecks für das finanzielle Wohlergehen der Industrie die Frage sein, ob der Ausstieg aus der Atomenergie nicht hätte vermieden werden müssen - oder gar noch revidiert werden muss. Denn auch in dieser Frage sind sich Ökonomen weitgehend einig: Die Angebotsverknappung durch die Abschaltung der Kernkraftwerke hat zu den hohen Strompreisen beigetragen. Ob der Traum von der billigen grünen Energie hingegen jemals Realität wird, ist weit weniger klar, und noch nicht einmal innerhalb der Regierung unumstritten. So scheint etwa Finanzminister Christian Lindner nicht von der Realisierbarkeit der Vorstellungen seines grünen Koalitionspartners überzeugt. Am Tag nach Habecks Auftritt sprach er sich öffentlich dafür aus, den für 2030 geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung zu verschieben.

Die von Russwurm geforderte Einigkeit rückt damit in weite Ferne. Unbestreitbar ist jedoch auch, dass vor der Einigung auf ein „Energieszenario“ klar sein muss, ob dieses überhaupt realistischerweise erreichbar ist. Der Bundesregierung, aber auch der Öffentlichkeit, die sich über Jahre hinweg an die schmeichelhafte Vorstellung gewöhnt hat, man könne gleichzeitig aus dreckiger Kohle- und angeblich risikoreicher Atomkraft aussteigen, stehen damit schmerzhafte Debatten bevor. Diese sind jedoch spätestens jetzt unvermeidbar, soll Deutschland nicht vor der Alternative stehen, seine Industrielle Basis ins Ausland abzugeben, oder Subventionsmilliarden in ein Loch ohne Boden zu versenken.

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