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„Reproduktive Selbstbestimmung“: Vorbeben einer Debatte

Vor angekündigten Berichten zur Reproduktionsmedizin nehmen die Debatten um Abtreibung und die Verbote von Eizellspende und Leihmutterschaft Fahrt auf. Kirchen zeigen sich uneins.
Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin
Foto: Aleksandr Grechanyuk | Ein Bericht zur Fortpflanzungsmedizin soll Mitte April veröffentlicht werden. Schon im Vorfeld zeichnen sich - auch unter den Kirchen - Kontroversen ab.

Anlässlich der eigentlich für Ende März in Aussicht gestellten Vorlage der Berichte der beiden Arbeitsgruppen der von Bundesregierung eingesetzten Kommission „Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ kommt Bewegung in die Debatten um die rechtliche Neuregelung von Abtreibungen und die Verbote von Eizellspende und Leihmutterschaft. Dabei zeigen sich hochrangige Repräsentanten der Katholischen und Evangelischen Kirche weiterhin uneinig.

So verteidigte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) den Vorschlag, die Durchführung von Abtreibungen außerhalb des Strafrechts zu regeln. „Wir sehen in den Beratungsstellen, dass es eine Unwucht darstellen kann, die Abtreibung für die Frau generell unter Strafe zu stellen.“ Der Rat der EKD erhoffe sich „einen größeren Schutz für das ungeborene Leben, wenn wir die Rechte der schwangeren Frau stärken“, so Fehrs. Der Rat der EKD hatte im Oktober des vergangenen Jahres eine Stellungnahme veröffentlicht, die sich an die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission richtet. Diese Kommission soll unter anderem klären, ob – und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen – eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts möglich ist.

EKD-Ratsvorsitzende räumt „kontroverse Diskussion“ ein

In der heftig kritisierten Stellungnahme spricht sich EKD zwar nicht für eine vollständige Entkriminalisierung von Abtreibung aus. Sie plädiert jedoch für eine abgestufte Regelung je nach Schwangerschaftsstadium. Die EKD wolle damit auch die Beziehung zum Partner einer schwangeren Frau berücksichtigen, die zumeist vollkommen aus dem Blick gerate. Einbezogen werden solle auch die gesellschaftliche Haltung, die nicht dazu einlade, ein Kind auszutragen, wenn man in prekären Verhältnissen lebe. „Diesen gesamtgesellschaftlichen Aspekt wollen wir stark machen“, so Fehrs. Unter welchen Umständen genau eine Abtreibung straffrei bleiben könne, sei noch zu diskutieren. „Die Stellungnahme des Rates war ein Beitrag, der diese Debatte bewusst anstoßen wollte.“ Auch in den Evangelischen Kirchen gebe es eine „kontroverse Diskussion“. Die werde „in einer breit aufgestellten Arbeitsgruppe derzeit mit aller Sorgfalt weiterbearbeitet“, so die Ratsvorsitzende. Auf der EKD-Synode in Ulm im November vergangenen hatte es massive Kritik an der Stellungnahme gehagelt.

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Bischof Meier: Zeugnis geben von der Frohen Botschaft des Lebens

Die Deutsche Bischofskonferenz möchte hingegen an der geltenden Regelung festhalten. Deutliche Worte dazu fand jetzt Augsburgs Bischof Bertram Meier. In seiner Predigt am Ostersonntag hob Meier hervor: „Zeugnis geben vom ,Evangelium vitae‘, von der Frohen Botschaft des Lebens, das ist unsere Mission als Kirche.“ In seiner gleichnamigen Enzyklika rufe der heilige Papst Johannes Paul II. dazu auf, „,durch den Aufbau einer echten Zivilisation der Wahrheit und der Liebe eine neue Kultur des Lebens‘ zu verwirklichen“. „Ich wünsche uns allen, dass wir uns in der Frage nach dem Leben nicht auseinanderdividieren lassen.“ Die Frage nach dem Leben sei „unsere Überlebensfrage als Christen. An diesem Punkt scheiden sich die Geister. Hier zeigt sich, wes Geistes Kinder wir sind“, so Meier weiter.

Grundsätzlich gebe es zwei Einstellungen zum Leben. „Die einen sagen: Leben – das ist unsere Sache. Das machen wir schon, darüber verfügen wir. Wir sind die Herren des Lebens. Dahinter stecke „eine überhebliche Prometheus-Haltung des Menschen … Das Leben machen: Das kann bei der Manipulation im Reagenzglas beginnen. Und es geht weiter, wenn es heißt: Mein Bauch gehört mir – mit der Folge, Abtreibung als in der Verfassung verankertes Recht zu proklamieren, wie es unlängst in Frankreich im historischen Schloss Versailles geschehen ist. Mit der geplanten Streichung des Paragraphen 218 sind wir auch in Deutschland auf dem besten Weg dazu“, so Meier. Der Augsburger Oberhirte dankte auch „den engagierten Laien, den Politikerinnen und Politikern, die sich für den Schutz des Lebens einsetzen – von der Zeugung bis zum natürlichen Tod“. Doch mitunter seien „wir versucht, uns schüchtern zurückzuhalten. Wir lassen den Dingen ihren Lauf – und dann reiben wir uns die Augen, wo wir gelandet sind.“ Es brauche „auch heute Stimmen, die auf der Seite der Schwachen und Ungeschützten stehen. Tragen wir dazu bei, dass das Wort des heiligen Papstes nicht die Stimme eines ,einsamen Rufers in der Wüste‘ bleibt“, appellierte Meier an die Gläubigen.

Sautermeister: „Es gibt kein Recht auf ein Kind“

Der katholische Moraltheologe Jochen Sautermeister erinnerte daran, dass „jährlich bis zu 100.000 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland erfolgen, die weder medizinisch noch kriminologisch indiziert sind. Hier wäre für eine Stärkung der Säuglingsadoption und für eine Beibehaltung von Paragraf 218 StGB als gesellschaftlicher Kompromiss zu plädieren, da dem Ungeborenen ein eigenes Lebensrecht zukommt.“ Im Interview mit dem „domradio“ nimmt der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Bonn auch ausführlich zur Reproduktionsmedizin Stellung.

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„Die Fortpflanzungsmedizin hat in den letzten 45 Jahren biotechnologische Möglichkeiten eröffnet, die es vielen Paaren mittlerweile erlaubt, eigene Kinder mithilfe assistierender reproduktiver Techniken wie der In-vitro- Fertilisation (IVF), also der künstlichen Befruchtung der Eizelle im Reagenzglas, oder der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI), also dem Einspritzen einer Samenzelle in die Eizelle, zu zeugen. Das bedeutet jedoch nicht, dass man alles tun sollte, was auch möglich ist. Schließlich führen die neuen Möglichkeiten auch zu einem neuen Ausmaß über die Verfügbarkeit und Manipulierbarkeit von menschlichem Leben, was eine besonders hohe Verantwortung darstellt. Man denke nur an die vielen überzähligen Embryonen, die durch die Reproduktionsmedizin entstehen.“

Laut Sautermeister gibt es „kein Recht auf ein Kind; es gibt kein Anspruchsrecht, für dessen Einlösung die Gesellschaft oder der Staat zu sorgen hätte. Kinder sind bleibend ein Geschenk; sie haben eine Würde und sind Zweck in sich selbst. Daher kommen Kinder auch eigene Recht zu. …. Für Kinder, die mithilfe der Reproduktionsmedizin gezeugt werden, gelten dieselben Rechte wie für alle anderen Kinder: Sie haben eine eigene Würde, sie haben ein Recht auf die Kenntnis ihrer Herkunft, also auch zu wissen, wer ihre biologischen Eltern sind, und sie haben ein Recht auf bestmögliche Bedingungen des Aufwachens und der Identitätsentwicklung; das umfasst sowohl die körperliche als auch die psychosoziale Dimension. Ihre Würde verbietet es auch, dass sie auf bestimmte Merkmale hin biotechnologisch designt oder ausgewählt werden.“

Kinderwunschbehandlungen verlaufen nicht immer erfolgreich

Die Medizin dürfe „nicht mit unrealistischen Hoffnungen spielen oder falsche Erwartungen wecken“. Es gebe „eine Vielzahl an Kinderwunschbehandlungen, die nicht erfolgreich“ verliefen und dann „sehr belastend und schmerzhaft“ seien. Auch gelte es „die gesundheitlichen Belastungen und Risiken der Frau zu erwähnen, etwa wenn sie sich einer Hormonbehandlung unterziehen“ müsse. Und schließlich sei „darauf zu achten, dass nicht Dritte im Rahmen von fortpflanzungsmedizinischen Verfahren ausgebeutet, zu unsittlichen Zugeständnissen gedrängt, unverhältnismäßigen gesundheitliche Risiken ausgesetzt oder existenziell unzumutbare Belastungen in Kauf nehmen müssen, etwa bei einer Leihmutterschaft“.

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Themen & Autoren
Stefan Rehder Bertram Meier Evangelische Kirche Johannes Paul II. Leihmutterschaft Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität

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