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Jüterbog: Ablasshandel, Altäre und Anekdoten

Die brandenburgische Kleinstadt Jüterbog feiert 850. Geburtstag. Ein guter Anlass für einen Stadtrundgang.
Sankt Nikolai Kirche, Jüterbog, Brandenburg,
Foto: IMAGO/imageBROKER/Lothar Steiner (www.imago-images.de) | Teilweise durch Ablasshandel finanziert: St.-Nikolai-Kirche in Jüterbog

Es gibt Städte, deren Namen man schon einmal hörte, aber man war noch nie dort. Manche dieser geschichtsträchtigen Orte liegen von großen Metropolen gar nicht so weit entfernt. Damit sind sie mit Regional-Zügen in gut einer Stunde zu erreichen. So eine Stadt ist Jüterbog in Brandenburg. Über Jahrhunderte wichtiger und bedeutender als das heutige Berlin, wohin alle halbe Stunde ein Zug fährt. Aus Jüterbog kommen zum Beispiel der Pianist und Komponist Wilhelm Kempff oder Henry Maske, der hier das Boxen lernte. Was die Stadt, die derzeit ihren 850. feiert, so interessant macht, kann man bei einem geführten Rundgang erfahren.

„Ich bin waschechter Jüterboger, bin hier geboren und werde höchstwahrscheinlich hier auch sterben. Ja, eines Tages ist es so weit. Was soll?, ick sehe des ganz locker“, das sagt Wolf Dieter Boche gleich zur Begrüßung. Der Ingenieur ist seit seiner Pensionierung vor sieben Jahren Stadtführer. Mit ihm lernen wir einen Ort kennen, der bereits 1174 das Stadtrecht erhielt, lange bevor Berlin auf den Landkarten erschien. Aber zuerst macht er klar: „Einheimische erkennt man daran, dass sie „Jüterbock“ sagen, mit „ck“ gesprochen. Leute, die von außerhalb kommen, die sagen Jüterbog mit langem „bog“.“ Wie es zum eigentümlichen Stadtnamen kam, das wird unser Cicerone am Ende des Rundgangs durch die brandenburgische Stadt auflösen.

Cranach-Altar und Rühlmann-Orgel

Jüterbog behauptet von sich, die älteste Stadt im Land Brandenburg zu sein, mit 850 Jahren Stadtrecht. Aber die Urkunde fehlt – „die ist im Laufe der Zeit verschwunden“, sagt Boche. Verliehen hat das Stadtrecht der damalige Erzbischof Wichmann von Magdeburg. Da gab es zum Katholizismus noch keine Alternative. Die heute hier dominierende evangelische Konfession, die nach der Reformation mit Luther für viele Jahrhunderte zur dominierenden Religion in der Region werden sollte, ist an vielen Orten der Stadt sichtbar. Boche führt uns zuerst an den damaligen Stadtrand. Jetzt stehen wir in der Vorstadt Damm, wo sich nach den Slawen die ersten deutschen Siedler ihre Häuser bauten.  Hier wurde von Nonnen des Zisterzienser-Ordens ein Kloster mit Kirche errichtet. Nur wenig ist davon erhalten, „außer das sogenannte Zellengebäude, wo wir den schönen Staffel-Giebel sehen.“ In diesem Haus befindet sich nun eine evangelische Grundschule.

Ein weiteres ursprünglich sakrales Gebäude ist die Bibliothek des Ortes – untergebracht in der Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters. Hier findet die Bücherausleihe unter gotischen Gewölben mit wunderschönen Wand- und Deckenmalereien statt. Vis-a-vis des Eingangs steht noch die barocke Sandsteinkanzel. Nur den Altar gibt es nicht mehr. Er wurde in den Dom nach Fürstenwalde gebracht, weil dieser im letzten Weltkrieg zerstört wurde. Aber nicht alle Kirchen wurden umgewidmet.

Das bedeutendste Gotteshaus ist die Nikolaikirche. Deren Doppelturmfassade mit ihren unterschiedlichen Turmdächern sieht man schon von weitem, wenn man auf die Stadt zufährt. Das Gotteshaus wurde im 14. Jahrhundert errichtet. Boche erläutert dazu augenzwinkernd: „Da kann man 500 bis 600 Gläubige unterbringen. Bauzeit etwa 100 Jahre, also ein bisschen länger als der Berliner Flughafen“. Die weit sichtbaren Kirchtürme sind 65 Meter hoch. Bis 1918 wohnte noch ein Türmer mit Familie dort oben. Er war für das Läuten der Glocken zu den Gottesdiensten und als Feuerwächter zuständig. Die Kirche selbst beherbergt eine Reihe von Schätzen, wie einen Altar von Lukas Cranach, eine große Rühlmann-Orgel und zusätzlich eine bewegliche kleine. Die Wand- und Deckenmalereien mit den Symbolen der Evangelisten, von Propheten sowie Szenen aus dem Marienleben sind beeindruckend, außerdem eine Kanzel aus der Zeit des Manierismus und der sogenannte „Tetzelkasten“, eine Einbaum-Truhe aus der Zeit um 1300.

Tetzel und die Reformation

Der Ablassprediger Johann Tetzel, der auch andernorts die nach ihm benannten Schatztruhen hinterlassen hat, kam 1517 nach Jüterbog. Hier predigte der Dominikaner und verkaufte Ablassbriefe, deren Erlös für die Nikolaikirche in Jüterbog, aber auch für den Umbau des Petersdoms in Rom genutzt wurde. Auch heute noch im bekannt ist sein Werbespruch: „Und wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele vom Fegefeuer in den Himmel springt“. Dieses Geschäftsmodell wurde durch Luthers Thesenanschlag im 40 Kilometer entfernten Wittenberg und die Reformation wenig später beendet.

Jüterbog verdankte seinen historischen Reichtum mit dem relativ einheitlichen, spätgotischen Stadtbild der Zugehörigkeit zum Erzbistum Magdeburg sowie einer strategisch guten Lage. Südlich lag Kursachsen, nördlich Kurbrandenburg. Zudem lag die Stadt an der Kreuzung zweier Handelsstraßen: einmal Rostock-Leipzig und auf der anderen Seite Breslau-Magdeburg. Es soll bis zum 30jährigen Krieg bis zu 200 Tuchmacher gegeben haben. „Jüterbog war damals mit seinen 4.000 Einwohner größer als Wittenberg oder Halle an der Saale. Aber hatte einen Nachteil, weil sich hier nie eine Universität gründete“, erklärt Boche.

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Ab 1200 errichtete man die Stadtbefestigung, „denn dort, wo Geld ist, sind auch Neider“, erklärt Boche. „Schauen sie mal hinten an diesen Wachturm. Dort ist eine Tür. Und bis zu ihrer Oberkante ging die Stadtmauer, also ungefähr sechs Meter hoch und die war nicht so leicht zu überwinden.“ Das dazugehörige Wallgrabensystem ist hier und dort noch erkennbar. Auch einige der zahlreichen mittelalterlichen Türme stehen noch. Dank der Stadtbefestigung war eine permanente Bewachung unnötig. Aber für den Fall einer Verteidigung wurde vorgesorgt: „Dazu musste jeder gesunde Mann in der Stadt einen Helm und eine Waffe zum Beispiel eine Armbrust oder eine Hellebarde, haben“.

Spätgotik und Backstein

Wie in vielen anderen Orten Deutschlands auch führten Stadtbrände und besonders der 30-jährige Krieg zum Niedergang. Die Bevölkerung sank zwischenzeitlich auf 300 Einwohner. Mit dem Aufstieg Preußens wurde Jüterbog schließlich Garnisonsstandort. Das Militär dominierte das Stadtbild unter gleichwelcher Herrschaft bis in die jüngste Vergangenheit: „Wir waren sehr lange Garnisonsstadt. 1994 sind die letzten Russen abgezogen. Nun haben wir das Problem, diese vielen Gebäude zu vermarkten.“ Das großflächige Kasernengelände (Jüterbog II) ist in weiten Teilen ein sogenannter „lost place“. Boche kennt noch das graue Stadtbild seiner Heimatstadt zu DDR-Zeiten und den Verfall von Gebäuden. Die Stadt sei nun aber „viel schöner und gepflegter; viele historische Stätten wurden restauriert und bis auf wenige Häuser ist alles in Ordnung“.

Heute hat Jüterbog 12.500 Einwohner, aber keine bedeutende Industrie. „Die einzige nennenswerte Fertigungsstätte ist JÜTRO-Konserven“. In der vor über 100 Jahren gegründeten Konservenfabrik werden heute Feinkostartikel von Gurken über Ketchup oder Knoblauch im Glas auch für viele Supermärkte als Eigenmarke am Jüterboger-Stadtrand produziert.

Zum Ende unseres Rundganges erreichen wir ein weiteres Wahrzeichen der Stadt: das historische Rathaus. „Das ist das zweitälteste Backsteinrathaus im ganzen Land Brandenburg. Das älteste steht in der Stadt Brandenburg“. Erbaut im 15. Jahrhundert, zunächst als „Kophus“, als Kaufhaus, schützt es bis heute der Heilige Mauritius, der Schutzpatron des Erzbistums Magdeburg, „weil wir bis 1635 zu Magdeburg gehörten.“ Im Inneren beeindruckt das spätgotische Fürstenzimmer mit seinem schönen Sternengewölbe und einer gedrehten Sandsteinsäule in der Mitte. In der Gerichtslaube wurden Prozesse geführt. Unter anderem wurde der Kaufmann Hans Kohlhaas hier einmal verurteilt.  Heinrich von Kleist hat dessen Leben in einer Novelle und die Jüterboger ihn in einer Holzfigur neben dem Rathauseingang festgehalten. Dann stehen wir unter dem Gewölbe der Gerichtslaube des Rathauses mit verschiedenen Wappen: „Der schwarze Adler steht für Preußen, der rote für Brandenburg, dann folgt das Jüterboger Wappen mit dem Ziegenbock und das sächsische Wappen, weil wir von 1635 bis 1813 sächsisch waren“.

Ein Name und drei Erklärungen

Aber was bedeutet nun eigentlich der Name der Stadt? Boche hat einige Anekdoten zur Auswahl: So sollen um Jüterbog einmal 14 Windmühlen gestanden haben. Eines Tages sei ein Bauer von einem Dorf gekommen, in dem er sich einen Ziegenbock gekauft hatte. An einer der Windmühlen sei ihm, erzählt Boche, eingefallen: „Verflixt noch einmal. Ich muss noch zum Müller Schulze gehen und ihm sagen, wann ich mein Getreide bringe. Wo soll ich den Ziegenbock anmachen? Er sieht etwas aus Holz und leint den Ziegenbock an. Nach dem Gespräch mit dem Müller ist sein Ziegenbock weg. Plötzlich sieht er ihn an einem Windmühlenflügel. Immer wenn der Wind aufkam, ist die Ziege rumgeflogen. Und er rief voller Angst: mein juter Bock, mein juter Bock - seitdem heißen wir Jüterbog“.

Nicht minder skurril ist die zweite Herleitung: „Die Stadtväter beraten sehr lang, wie ihre Stadt heißen soll – können sich jedoch nicht einigen. Bis einer vorschlägt: „Wer morgen früh zuerst durchs Neumarkttor kommt, nach dem wird die Stadt benannt. Frühmorgens machen die Wächter das Tor auf. Und Jutta, eine Gastwirtin, Jutta mit ihrem Ziegenbock kommt in die Stadt. Jutta mit dem Bock – also Jüterbog“ Dagegen verströmt die Erklärung auf Wikipedia eine fast schon langweilige Plausibilität: Jüterbog sei demnach schlicht zusammengesetzt aus den slawischen Begriffen „jutre“ (Morgenröte) und „bog“ (Gott).

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