Mit seinem sogenannten 2. Abtreibungsurteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe am 28. Mai 1993 die zweite Bonner Fristenregelung gewogen und für zu leicht befunden. Zufriedengestellt hat das Urteil dennoch niemanden. Nach Worten der damaligen Verfassungsrichterin Karin Graßhof, Mitglied des erkennenden Zweiten Senats, bestand die Problematik für die Richter darin, „effektiven Lebensschutz“ gewährleisten zu sollen „in der sozialen Wirklichkeit, wie sie sich nun einmal entwickelt hat.“ Passte also, die soziale Wirklichkeit im wiedervereinigten Deutschland einfach nicht mehr zur Verfassung der Deutschen?
Unterschiedliche Perspektiven, ähnliche Ergebnisse
Grund genug für die in Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheinenden katholischen Wochenzeitung, das Urteil, dessen Jahrestag sich am kommenden Sonntag zum 30. Mal jährt, noch einmal unter das Brennglas zu legen. Im „Thema der Woche“ (Seite 2 und 3) schauen der Rostocker Rechtshistoriker und Rechtsphilosoph Philosoph Jörg Benedict und der Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Urteil und analysieren die aus ihrer Sicht entscheidenden Knackpunkte der an Widersprüchen reichen Entscheidung der Verfassungshüter und schlagen den Bogen zur Gegenwart.
Im Leitartikel (Seite 8) fragt schließlich „Tagespost“-Bioethik-Korrespondent Stefan Rehder danach, wie eine „soziale Wirklichkeit“ ausschauen müsste, die zu der zu Recht vielgerühmten Verfassung der Deutschen passen würde, deren 75-jähriges Bestehen im kommenden Jahr staatsmännisch gefeiert werden dürfte. Gibt es Anleihen, die in Frage kämen und falls ja, an wen könnte man sich dabei wenden? DT/reh
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost umfassende Berichte zum Urteil zum §218 vor 30 Jahren.