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Dichtung und Wahrheit

Wie eine Anhörung im Hessischen Landtag dazu führte, dass die Abtreibungslobby und ihr politischer Arm auf einmal wie der Kaiser im Märchen da standen. Nämlich: splitterfasernackt.
Fassade und Eingang des Plenargebaeudes des Hessichen Landtags in Wiesbaden (Foto vom 26.04.2023). Der Hessische Landtag
Foto: IMAGO/Heike Lyding (www.imago-images.de) | In der Debatte des Hessischen Landtags zum „Gesetz zum Schutz vor Störung Schwangerer bei Schwangerschaftsberatung und -abbruch“ schlugen die Wellen der Debatte hoch.

Anfang März hat die Fraktion „Die Linke“ einen Entwurf für ein „Hessisches Gesetz zum Schutz vor Störung Schwangerer bei Schwangerschaftsberatung und -abbruch“ in den Hessischen Landtag eingebracht. Am vergangenen Freitag veranstalteten nun der Innenausschuss und der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss dazu eine Öffentliche Anhörung im Wiesbadener Landtag. Und die hatte es streckenweise durchaus in sich. Doch dazu später mehr.

Zunächst: Der Gesetzesentwurf, der die Drucksachennummer 20/10658 trägt, sieht vor, um staatlich anerkannte Beratungsstellen, die jene Scheine ausstellen, die schwangere Frauen zu einer straffreien vorgeburtlichen Kindstötung berechtigen sowie um „Kliniken und Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden“, eine „Schutzzone“ von 150 Metern zu errichten. Während der Öffnungszeiten dieser Einrichtungen sollen dort keine Versammlungen mehr stattfinden, „sofern sie sich thematisch auf die Schwangerschaftskonfliktberatung bzw. Schwangerschaftsabbrüche beziehen“.

Da der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz – SchKG)“ nicht nur „ein Recht auf eine anonyme und ergebnisoffene Beratung zugesichert, sondern zugleich eine Beratungspflicht vor einem möglichen Schwangerschaftsabbruch eingeführt“ habe, sei er „in besonderer Weise verpflichtet, die Rahmenbedingungen für die Beratung sicherzustellen“. Ungewollt Schwangere hätten „nicht die Wahl eine Beratung aufzusuchen“ oder dies zu unterlassen. „Die Fristenregelung“ bedinge zudem, „dass eine Beratung in einem zeitlich sehr eng gefassten Rahmen erfolgen“ müsse, „so dass ein zeitliches oder örtliches Ausweichen vor möglichen Versammlungen einer beratungssuchenden Person nicht auferlegt werden“ könne, heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfes. Und weiter: „Versammlungen, insbesondere Dauerkundgebungen, vor Beratungseinrichtungen, Praxen und Kliniken, die sich auf das Für und Wider der Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs“ bezögen, stellten „einen Angriff auf die sexuelle und körperliche Selbstbestimmung von (ungewollt) Schwangeren dar und beschränkten die Möglichkeit eines ungehinderten und unbeeinflussten Besuchs“.

„Mit Gebeten konfrontiert“

Dazu muss man wissen: Zwei Mal im Jahr beten Aktivisten der weltweit tätigen Lebensschutzorganisation „40 Days for Life“ – nomen est omen – 40 Tage lange vor der „Pro Familia“-Beratungsstelle im Frankfurter Nobelviertel Westend. Wichtig auch: Pro Familia ist nicht nur bundesweit in der Schwangerenkonfliktberatung tätig, sondern unterhält in einigen Städten auch selbst Abtreibungseinrichtungen, teilweise sogar in demselben Gebäude, in dem die Organisation auch Schwangere berät. Sieht man einmal von den Auftaktveranstaltungen zu den Terminen im Frühjahr und im Herbst ab, beten und singen während der 40 Tage im Durchschnitt fünf bis zehn Aktivisten in unmittelbarer Nähe der Pro Familia-Beratungsstelle. Ohne Lautsprecher oder Megafon, in Gesprächslautstärke.

In der zu der Anhörung eingereichten schriftlichen Stellungnahme von Pro Familia liest sich das jedoch so: „Weiterhin wird unsere Beratungsstelle an zweimal 40 Tagen im Jahr belagert. Weiterhin werden unsere Klient*innen mit Blicken, Plakaten, Gesängen und Gebeten konfrontiert, die das erklärte Ziel haben, Einfluss zu nehmen auf eine höchstpersönliche Lebensentscheidung. Dies betrifft nicht nur die Verunsicherung und das Erzeugen von Schuldgefühlen bei den betroffenen Frauen*, sondern auch das Sicherheitsempfinden und das Recht auf Anonymität.“ Es gebe „Lebensumstände, in denen eine Schwangerschaft mit fundamentaler Verzweiflung und Todesängsten“ einhergehe. „Jede Störung des Hilfesystems kann dann weitreichende Folgen für das Leben der Betroffenen haben. Aber auch in weniger dramatischen Ausgangslagen brauchen die Frauen* ein Beratungssetting, das sie so gut wie möglich unterstützt und stärkt. Jede Störung desselben wirkt sich auf das körperliche und psychische Wohlbefinden aus und behindert die Fähigkeit zu Aufnahme von Informationen.“

Vor Blicken schützen

Aber, war da nicht was? Tritt nicht Pro Familia dafür ein, nach dem Werbeverbot für Abtreibung (ehemals § 219a) nun auch das Verbot vorgeburtlicher Kindstötungen (§ 218) aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen? Lehnt nicht Pro Familia eigentlich die abtreibungswilligen Frauen vom Gesetzgeber auferlegte Pflicht, sich zuvor beraten zu lassen, sogar ab, weil diese Frauen in unerträglicher Weise bevormunde? Wie kann es sein, dass die angeblich so starken, selbstbewussten und selbstbestimmten Frauen, die derart souverän agieren, dass selbst die Bewerbung von Abtreibungen ihre Entscheidung in einem Schwangerschaftskonflikt nicht beeinträchtigen, auf dem Weg zu einer Beratungsstelle nun vor „Blicken, Plakaten, Gesängen und Gebeten“ geschützt werden müssen? Und: Ist das nicht ein Widerspruch?

Einen, den Professor Frank Louwen, Vorsitzender des Pro Familia-Landesverbands Hessen, auf einem Instagram-Video so aufzulösen versucht: „Aber wenn wir sagen, dass Frauen in unserem Rechtssystem heute eine Pflichtberatung brauchen, dann müssen Frauen einen freien Zugang zu dieser Pflichtberatung haben, der im Gesetz so vorgeschrieben ist und dann haben Politiker dafür einzustehen, dass Frauen dieses Recht dann auch wahrnehmen und dieser Pflicht nachkommen.“ Im Hauptberuf ist Louwen Leiter der Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt. Als solcher war er auch als Sachverständiger zu der Anhörung im Wiesbadener Landtag geladen, sagte aber ab. An vorgeburtlichen Kindstötungen durchführenden Ärzten herrschte dennoch kein Mangel.

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Abtreibungsärzte als Sachverständige

Mit Kristina Hänel (Gießen) und Nora Szász (Kassel) waren gleich zwei prominente Abtreibungsärzte unter den Sachverständigen. Erstere griff in ihrer Stellungnahme, wie bei ähnlichen Auftritten zuvor, erneut tief in die Kiste der Demagogie: Da Abtreibungen immer noch ein „gesellschaftliches Tabuthema“ seien, käme „der Gang in die Praxis“ für abtreibungswillige Frauen einem „Spießrutenlaufen“ gleich. Offenbar gewillt, das Kopfkino der Abgeordneten in Gang zu setzen, fuhr Hänel fort: Für abtreibungswillige Frauen bedeuteten „diese Gänge, auch wenn sie nicht körperlich berührt werden – wobei sie sich im Übrigen nie sicher sein können – im übertragenen Sinne genau diese Schläge“. Hiebe, die „genau in die offenen seelischen Wunden dieser Betroffenen geschlagen werden“. Und als wäre das noch nicht genug, gipfelte die Stellungnahme der Galionsfigur der deutschen Abtreibungslobby gar in der Behauptung: „Dieses Gefühl der Bedrohung“ sei „von den Abtreibungsgegnern intendiert“.

Mit anderen Worten: Die Aktivisten von 40 Days for Life beteten gar nicht, in der Hoffnung, dass sich die Frauen in buchstäblicher letzter Sekunde doch gegen eine Abtreibung und für das Leben ihres ungeborenen Kindes entschieden, nein, es gehe ihnen darum, Frauen in Angst und Schrecken zu versetzen. Wer erwartet hätte, dass daraufhin einer der Abgeordneten Hänel fragte, wie sie ihre hellseherischen Fähigkeiten erworben habe, wurde enttäuscht. Was wohl auch daran liegt, dass die Geschäftsordnung des Hessischen Landtags den Abgeordneten vorschreibt, die geladenen Sachverständigen mit Respekt zu behandeln.

Probleme, die nicht existieren

Daran wollten sich allerdings nicht alle halten. Nachdem die Vorsitzende des Landesverbandes Hessen der Christdemokraten für das Leben (CDL), Cornelia Kaminski, ihre Stellungnahme vorgetragen hatte und den Fragen der Abgeordneten Rede und Antwort stand, meldete sich die Abgeordnete und frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Nadine Gersberg, zu Wort. Sie habe gar keine Frage, wolle aber mal klarstellen, wie „unsäglich“ der Auftritt Kaminskis gewesen sei. Auch frage sie sich, „wieso so jemand überhaupt eingeladen“ werde. Weder lautstarke Protestrufe der CDU-Abgeordneten Holger Bellino und Thomas Hering, noch der Hinweis auf die Geschäftsordnung, vermochten den Furor Gersbergs zu stoppen.

Dabei hatte die sachlich und kenntnisreich argumentierende Lebensrechtlerin, übrigens die einzige in der Runde, lediglich darauf hingewiesen, dass der Gesetzesentwurf ein Problem beschreibe, das gar nicht existiere. Das sei auch der Grund dafür, dass „die entsprechenden Gerichtsverfahren, mittels derer die Versammlungen in der Nähe der Beratungseinrichtungen verboten werden sollte, gescheitert“ seien. Die „Beweisaufnahme der Gerichte“ habe ergeben, dass „Persönlichkeitsrechte von Schwangeren nicht eingeschränkt worden“ seien. Insofern sei „eine Regelung per Gesetz auch nicht erforderlich“. Auch werde in keiner der „vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen zur Anhörung“ – immerhin 67 Seiten DIN A4 – auch nur „ein konkreter Fall geschildert, in dem es tatsächlich zu einer Belästigung von Schwangeren durch Gebetswachen gekommen wäre“. Ferner hätte „in keinem der einschlägigen Gerichtsverfahren eine Zeugin benannt werden“ können, die eine entsprechende Aussage gemacht hätte. Auch gebe es „kein einziges Ordnungswidrigkeitsverfahren in Bezug auf solche Belästigungen“. Ihr selbst sei auch kein Fall bekannt, in dem die Bedrohung oder Belästigung eines Arztes durch Mahnwachen vor Gericht verhandelt worden wäre, so Kaminski.

Zahl der Abtreibungen steigt

Mehr noch: Gäbe es Belästigungen und Bedrohungen, die den Zugang zu Abtreibungen erschwerten, müssten die Abtreibungszahlen sinken. Das Gegenteil sei jedoch der Fall. Stattdessen sei die Zahl der Einrichtungen, die Abtreibungen vornähmen, im vergangenen Jahr bundesweit gestiegen. In Hessen stünden den noch 44 Krankenhäusern mit Geburtshilfe jetzt 74 Abtreibungseinrichtungen gegenüber. Damit habe Hessen pro Kopf fast doppelt so viele Abtreibungseinrichtungen, die zur Bundesstatistik meldeten, wie das Land Bayern. Dementsprechend sei auch die Zahl der Abtreibungen im letzten Jahr gestiegen: „In Hessen um über 13 Prozent und damit ein Drittel mehr als im Bundesdurchschnitt“, so Kaminski weiter.

Entzaubert verließen die Gladiatoren der Abtreibungslobby nach dreieinhalb Stunden den Plenarsaal. Ob sich damit auch der Gesetzesentwurf erledigt hat, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Insofern bleibt es spannend.

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Themen & Autoren
Stefan Rehder Abtreibungsgegner Christdemokraten für das Leben Die Linke

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